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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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zu mir sagen wird: Guter Freund! Du prätendirst keine Rücksichten
nehmen zu wollen, und nimmst doch Rücksichten auf die Münchner?
-- Zu welchem Zweck sollte ich sie nehmen? Mein Bündel liegt
heut wie morgen geschnürt hinter mir, und die Welt ist weit, zumal
für einen deutschen Schriftsteller, der frei wie ein Vogel oder vogel¬
frei ist und auch mitunter wohl auf einen Zweig kommt, aber nicht
auf einen grünen, sondern wie die Schwalbe, höchstens auf einen
dürren. Hierbei bleibt es sich gleich, ob er das eine Land und die
eine Stadt verlassen muß, weil er sich mit den Verhältnissen und
Menschen nicht auf die Dauer vertragen kann, oder das andre Land
und die andre Stadt, weil sich die Menschen und Verhältnisse nicht
mit ihm vertragen können; in beiden Fällen war er ein fremder Kör¬
per, welcher ausgeschieden wird over sich selbst ausschied, weil er in
den Organismus des Ganzen nicht paßte.

Es ist überhaupt ein eigenes Ding in und um Deutschland.
Als der Schriftsteller S. eine uns Allen wohlbekannte Stadt ge¬
zwungen verlassen mußte, wie waren da die aufgeklärten Liberalen
und Radikalen thätig nachzuweisen, er habe die Stadt nicht seiner
freimüthigen Ansichten wegen verlassen müssen, sondern darum, weil
er es versäumt habe, seinen Paß und seine Aufenthaltskarte verlän¬
gern zu lassen. Sie ließen dem Armen nicht einmal den Trost, sich
als Märtyrer ihrer Sache, für die er doch geschrieben, ansehen zu
dürfen. War dies die Folge einer persönlichen Abneigung oder die
Folge der deutschen Kleinstädterei? Man überlege nur: die deut¬
schen Liberalen, welche auf Nordamerika, als auf einen Musterstaat
der Freiheit hinweisen, beriefen sich in diesem Falle auf Paß und
Aufenthaltskarte! -- Alles wie in London oder New-York, nur
daß zufällig weder die Times noch das Morning Chronicle von
dieser echt deutsch kläglichen Geschichte Notiz nahmen.

Die Berliner streichen die Leipziger, diese jene, Beide ganz Oest¬
reich, ganz Hannover u. s. w. mit ihren Millionen Einwohnern aus
dem Register des Liberalismus; da möcht' ich doch wissen, welch ein
Fetzen deutschen Landes und Volkes übrig bleibt, worauf man sich
Rechnung macht. Ein noch vor Kurzem berühmter, politischer Dich¬
ter äußerte als Erfahrungsresultat seiner Triumphfahrten: der Leipzi¬
ger Liberalismus ist seicht, der Berliner hohl, nur der Königsberger
hat Kern und Kraft. Diese Leute sind, wenn sie an einer tadle


zu mir sagen wird: Guter Freund! Du prätendirst keine Rücksichten
nehmen zu wollen, und nimmst doch Rücksichten auf die Münchner?
— Zu welchem Zweck sollte ich sie nehmen? Mein Bündel liegt
heut wie morgen geschnürt hinter mir, und die Welt ist weit, zumal
für einen deutschen Schriftsteller, der frei wie ein Vogel oder vogel¬
frei ist und auch mitunter wohl auf einen Zweig kommt, aber nicht
auf einen grünen, sondern wie die Schwalbe, höchstens auf einen
dürren. Hierbei bleibt es sich gleich, ob er das eine Land und die
eine Stadt verlassen muß, weil er sich mit den Verhältnissen und
Menschen nicht auf die Dauer vertragen kann, oder das andre Land
und die andre Stadt, weil sich die Menschen und Verhältnisse nicht
mit ihm vertragen können; in beiden Fällen war er ein fremder Kör¬
per, welcher ausgeschieden wird over sich selbst ausschied, weil er in
den Organismus des Ganzen nicht paßte.

Es ist überhaupt ein eigenes Ding in und um Deutschland.
Als der Schriftsteller S. eine uns Allen wohlbekannte Stadt ge¬
zwungen verlassen mußte, wie waren da die aufgeklärten Liberalen
und Radikalen thätig nachzuweisen, er habe die Stadt nicht seiner
freimüthigen Ansichten wegen verlassen müssen, sondern darum, weil
er es versäumt habe, seinen Paß und seine Aufenthaltskarte verlän¬
gern zu lassen. Sie ließen dem Armen nicht einmal den Trost, sich
als Märtyrer ihrer Sache, für die er doch geschrieben, ansehen zu
dürfen. War dies die Folge einer persönlichen Abneigung oder die
Folge der deutschen Kleinstädterei? Man überlege nur: die deut¬
schen Liberalen, welche auf Nordamerika, als auf einen Musterstaat
der Freiheit hinweisen, beriefen sich in diesem Falle auf Paß und
Aufenthaltskarte! — Alles wie in London oder New-York, nur
daß zufällig weder die Times noch das Morning Chronicle von
dieser echt deutsch kläglichen Geschichte Notiz nahmen.

Die Berliner streichen die Leipziger, diese jene, Beide ganz Oest¬
reich, ganz Hannover u. s. w. mit ihren Millionen Einwohnern aus
dem Register des Liberalismus; da möcht' ich doch wissen, welch ein
Fetzen deutschen Landes und Volkes übrig bleibt, worauf man sich
Rechnung macht. Ein noch vor Kurzem berühmter, politischer Dich¬
ter äußerte als Erfahrungsresultat seiner Triumphfahrten: der Leipzi¬
ger Liberalismus ist seicht, der Berliner hohl, nur der Königsberger
hat Kern und Kraft. Diese Leute sind, wenn sie an einer tadle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/267>, abgerufen am 01.09.2024.