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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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reits untergegangen, und wir glaubten, uns nun ruhig in unsere
Gemächer zurückziehen zu können. Aber draußen stand ein ganzer
Schwarm Studenten, um uns einzuladen, wir möchten doch auch
die Locale ihrer Nationen sehen, da wir das Haus der Goldländer
besucht hätten. Zur Erläuterung muß ich sagen, daß die Studenten
von Upsala, nach den Provinzen, aus denen sie stammen, in vierzehn
Nationen geschieden sind, wobei man jedoch nicht gerade die Insti¬
tutionen unserer deutschen "Landsmannschaften" als Norm anzuneh¬
men braucht. Es fehlt ihnen die buntfarbige Burschicvsität, die troz-
zige Freiheit und die muntere Schlaglust, welche Dinge den Letzteren
so sehr eigen sind. Die "Nationen" werden vom Staate anerkannt
und stehen unter der speciellen Aufsicht und Leitung der Professoren.

Nun besitzt jede Nation ihr besonderes Gebäude in Upsala, doch
gleicht das eine dem anderen beinahe ganz. Zuerst kommt ein ge¬
räumiger Versammlungssaal mit einem Katheder, wo die Porträts
hochberühmter Leute als Votivtafeln und Vorbilder aufgehängt sind;
daran stößt ein Bibliothekzimmer, und neben dem Hause liegt ein
kleiner, wohlerhaltener Garten. Wir wurden also von den Deputa¬
tionen in Empfang genommen und mußten sie begleiten, wenn wir
sie nicht tief verletzen wollten. Da der Abend bereits feine Schatten
über die Welt gelegt hatte, zündete man einige Fackeln an und führte
uns noch durch die Gebäude von dreizehn Verbindungen. Ueberall
zeigte man uns die Zimmer, die Bilder, die Bücher und die Gärten,
und wie voll freundlicher Bescheidenheit sich dabei auch die Musen¬
söhne benahmen, wir waren doch herzlich schlaff und müde, als wir
gegen eisf Uhr endlich unser Gasthaus erreichten.

Desto besser mundete nun das Abendbrod, welches durch die
Bekannten mit Sorgfalt angeordnet war. In demselben spielte, da¬
mit wir dies Gericht kennen lernten, gebratenes Neimthierfleisch --
Keen-Kote -- eine Rolle. Es kommt eingesalzen in großer Menge
hierher, ist wohlschmeckend und sehr fett, aber zähe. In Stockholm
liebt man es nicht, während die Studenten es gern essen, weil es
Nahrhaftigkeit und Billigkeit vereinigt. Sie mögen wohl nöthig ha¬
ben, sparsam zu sein, denn man studirt hier mit völliger Ruhe und
Gelassenheit; man übereilt sich nicht so, wie bei uns. Ich habe in
Upsala manchen wackerm Studiosus Medicinae gesehen, der wohl
über dreißig zählte, und der, seiner Beleibtheit nach, recht gut schon


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reits untergegangen, und wir glaubten, uns nun ruhig in unsere
Gemächer zurückziehen zu können. Aber draußen stand ein ganzer
Schwarm Studenten, um uns einzuladen, wir möchten doch auch
die Locale ihrer Nationen sehen, da wir das Haus der Goldländer
besucht hätten. Zur Erläuterung muß ich sagen, daß die Studenten
von Upsala, nach den Provinzen, aus denen sie stammen, in vierzehn
Nationen geschieden sind, wobei man jedoch nicht gerade die Insti¬
tutionen unserer deutschen „Landsmannschaften" als Norm anzuneh¬
men braucht. Es fehlt ihnen die buntfarbige Burschicvsität, die troz-
zige Freiheit und die muntere Schlaglust, welche Dinge den Letzteren
so sehr eigen sind. Die „Nationen" werden vom Staate anerkannt
und stehen unter der speciellen Aufsicht und Leitung der Professoren.

Nun besitzt jede Nation ihr besonderes Gebäude in Upsala, doch
gleicht das eine dem anderen beinahe ganz. Zuerst kommt ein ge¬
räumiger Versammlungssaal mit einem Katheder, wo die Porträts
hochberühmter Leute als Votivtafeln und Vorbilder aufgehängt sind;
daran stößt ein Bibliothekzimmer, und neben dem Hause liegt ein
kleiner, wohlerhaltener Garten. Wir wurden also von den Deputa¬
tionen in Empfang genommen und mußten sie begleiten, wenn wir
sie nicht tief verletzen wollten. Da der Abend bereits feine Schatten
über die Welt gelegt hatte, zündete man einige Fackeln an und führte
uns noch durch die Gebäude von dreizehn Verbindungen. Ueberall
zeigte man uns die Zimmer, die Bilder, die Bücher und die Gärten,
und wie voll freundlicher Bescheidenheit sich dabei auch die Musen¬
söhne benahmen, wir waren doch herzlich schlaff und müde, als wir
gegen eisf Uhr endlich unser Gasthaus erreichten.

Desto besser mundete nun das Abendbrod, welches durch die
Bekannten mit Sorgfalt angeordnet war. In demselben spielte, da¬
mit wir dies Gericht kennen lernten, gebratenes Neimthierfleisch —
Keen-Kote — eine Rolle. Es kommt eingesalzen in großer Menge
hierher, ist wohlschmeckend und sehr fett, aber zähe. In Stockholm
liebt man es nicht, während die Studenten es gern essen, weil es
Nahrhaftigkeit und Billigkeit vereinigt. Sie mögen wohl nöthig ha¬
ben, sparsam zu sein, denn man studirt hier mit völliger Ruhe und
Gelassenheit; man übereilt sich nicht so, wie bei uns. Ich habe in
Upsala manchen wackerm Studiosus Medicinae gesehen, der wohl
über dreißig zählte, und der, seiner Beleibtheit nach, recht gut schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/255>, abgerufen am 27.07.2024.