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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Medicinalrath hätte sein können. Sechs Monate des Jahres haben
sie Ferien, und in der Zwischenzeit kommt beinahe eben so viel Zeit
auf Commerse, als auf die Facultätswtssenschaft. Bei den Commer-
sen wird Punsch, und zwar nicht wenig, getrunken, allein die Theo¬
logen nehmen niemals, oder doch höchst vorsichtig daran Theil. Die¬
selben sind nämlich freiwillig-gezwungene Mitglieder der Mäßigkeits¬
vereine, welche man in Schweden überall findet. Durch ihre Tracht
zeichnen sich die hiesigen Studenten nicht aus, und duelliren sich zwei,
so bewaffnen sie sich mit tüchtigen Stöcken, richten sich aber in dem
Kampfe oft übel zu.

Die Studenten von Schweden, Dänemark und Norwegen hat¬
ten vor ein Paar Monden in Upsala ein gemeinsames Fest gefeiert,
wobei viele überflüssige Reden gehalten, viele pomphafte Lieder ge¬
sungen wurden. Die ausgesprochene Tendenz des Festes war, die
Stammverwandten traulich zu grüßen und den Sinn für Einheit der
skandinavischen Reiche zu beleben. Am schlechtesten bekam die Sache
etlichen finnischen Musensöhnen aus Helsingfors, die auch hier ge¬
wesen, denn als sie in ihre Heimath zurückkehrten, wurde ihnen die
Fortsetzung der akademischen Laufbahn verweigert. Im obersten gro¬
ßen Saale der Bibliothek, der noch nicht fertig gebaut ist, hatten die
Zusammenkünfte statt, und wir sahen denselben mit Galerien, Tan¬
nen, Fahnen und Emblemen reichlich verziert.

Eine solche Feier kann sehr nachhaltig wirken auf die empfäng¬
lichen Gemüther strebelustiger Jugend, aber das Ganze muß auch
ungeschminkte Wahrheit, echte Begeisterung sein. Man verzeiht sol¬
chen jungen Himmelsstürmern alle Keckheit, allen Uebermuth; nur
Heuchelschein und Lüge verzeiht man ihnen nicht. Und hier herrschte
gemachte Gluth, erkünstelter Taumel. Die Studenten haben statt des Wei¬
nes mit einander gefärbtes Wasser getrunken und haben sich dann alle
berauscht gestellt. Das ist sehr schlimm! -- Ich sage es ungern, ich
schreibe es mit Betrübniß nieder, aber es läßt sich nicht verkennen
. . . das Gift blendenden Prunkes hat sich im Norden tief einge¬
fressen. Die Festgesänge sind gedruckt, und als ich sie las, grinste
mich der Schwulst schwedischen Tiradenwesens, das jede Natürlichkeit
verachtet, das immer auf geschraubten Stelzen geht, widerwärtig
daraus an.

Das Liederheft trägt ein schönes Motto aus der Il-ivv-M-U-


Medicinalrath hätte sein können. Sechs Monate des Jahres haben
sie Ferien, und in der Zwischenzeit kommt beinahe eben so viel Zeit
auf Commerse, als auf die Facultätswtssenschaft. Bei den Commer-
sen wird Punsch, und zwar nicht wenig, getrunken, allein die Theo¬
logen nehmen niemals, oder doch höchst vorsichtig daran Theil. Die¬
selben sind nämlich freiwillig-gezwungene Mitglieder der Mäßigkeits¬
vereine, welche man in Schweden überall findet. Durch ihre Tracht
zeichnen sich die hiesigen Studenten nicht aus, und duelliren sich zwei,
so bewaffnen sie sich mit tüchtigen Stöcken, richten sich aber in dem
Kampfe oft übel zu.

Die Studenten von Schweden, Dänemark und Norwegen hat¬
ten vor ein Paar Monden in Upsala ein gemeinsames Fest gefeiert,
wobei viele überflüssige Reden gehalten, viele pomphafte Lieder ge¬
sungen wurden. Die ausgesprochene Tendenz des Festes war, die
Stammverwandten traulich zu grüßen und den Sinn für Einheit der
skandinavischen Reiche zu beleben. Am schlechtesten bekam die Sache
etlichen finnischen Musensöhnen aus Helsingfors, die auch hier ge¬
wesen, denn als sie in ihre Heimath zurückkehrten, wurde ihnen die
Fortsetzung der akademischen Laufbahn verweigert. Im obersten gro¬
ßen Saale der Bibliothek, der noch nicht fertig gebaut ist, hatten die
Zusammenkünfte statt, und wir sahen denselben mit Galerien, Tan¬
nen, Fahnen und Emblemen reichlich verziert.

Eine solche Feier kann sehr nachhaltig wirken auf die empfäng¬
lichen Gemüther strebelustiger Jugend, aber das Ganze muß auch
ungeschminkte Wahrheit, echte Begeisterung sein. Man verzeiht sol¬
chen jungen Himmelsstürmern alle Keckheit, allen Uebermuth; nur
Heuchelschein und Lüge verzeiht man ihnen nicht. Und hier herrschte
gemachte Gluth, erkünstelter Taumel. Die Studenten haben statt des Wei¬
nes mit einander gefärbtes Wasser getrunken und haben sich dann alle
berauscht gestellt. Das ist sehr schlimm! — Ich sage es ungern, ich
schreibe es mit Betrübniß nieder, aber es läßt sich nicht verkennen
. . . das Gift blendenden Prunkes hat sich im Norden tief einge¬
fressen. Die Festgesänge sind gedruckt, und als ich sie las, grinste
mich der Schwulst schwedischen Tiradenwesens, das jede Natürlichkeit
verachtet, das immer auf geschraubten Stelzen geht, widerwärtig
daraus an.

Das Liederheft trägt ein schönes Motto aus der Il-ivv-M-U-


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[0256] Medicinalrath hätte sein können. Sechs Monate des Jahres haben sie Ferien, und in der Zwischenzeit kommt beinahe eben so viel Zeit auf Commerse, als auf die Facultätswtssenschaft. Bei den Commer- sen wird Punsch, und zwar nicht wenig, getrunken, allein die Theo¬ logen nehmen niemals, oder doch höchst vorsichtig daran Theil. Die¬ selben sind nämlich freiwillig-gezwungene Mitglieder der Mäßigkeits¬ vereine, welche man in Schweden überall findet. Durch ihre Tracht zeichnen sich die hiesigen Studenten nicht aus, und duelliren sich zwei, so bewaffnen sie sich mit tüchtigen Stöcken, richten sich aber in dem Kampfe oft übel zu. Die Studenten von Schweden, Dänemark und Norwegen hat¬ ten vor ein Paar Monden in Upsala ein gemeinsames Fest gefeiert, wobei viele überflüssige Reden gehalten, viele pomphafte Lieder ge¬ sungen wurden. Die ausgesprochene Tendenz des Festes war, die Stammverwandten traulich zu grüßen und den Sinn für Einheit der skandinavischen Reiche zu beleben. Am schlechtesten bekam die Sache etlichen finnischen Musensöhnen aus Helsingfors, die auch hier ge¬ wesen, denn als sie in ihre Heimath zurückkehrten, wurde ihnen die Fortsetzung der akademischen Laufbahn verweigert. Im obersten gro¬ ßen Saale der Bibliothek, der noch nicht fertig gebaut ist, hatten die Zusammenkünfte statt, und wir sahen denselben mit Galerien, Tan¬ nen, Fahnen und Emblemen reichlich verziert. Eine solche Feier kann sehr nachhaltig wirken auf die empfäng¬ lichen Gemüther strebelustiger Jugend, aber das Ganze muß auch ungeschminkte Wahrheit, echte Begeisterung sein. Man verzeiht sol¬ chen jungen Himmelsstürmern alle Keckheit, allen Uebermuth; nur Heuchelschein und Lüge verzeiht man ihnen nicht. Und hier herrschte gemachte Gluth, erkünstelter Taumel. Die Studenten haben statt des Wei¬ nes mit einander gefärbtes Wasser getrunken und haben sich dann alle berauscht gestellt. Das ist sehr schlimm! — Ich sage es ungern, ich schreibe es mit Betrübniß nieder, aber es läßt sich nicht verkennen . . . das Gift blendenden Prunkes hat sich im Norden tief einge¬ fressen. Die Festgesänge sind gedruckt, und als ich sie las, grinste mich der Schwulst schwedischen Tiradenwesens, das jede Natürlichkeit verachtet, das immer auf geschraubten Stelzen geht, widerwärtig daraus an. Das Liederheft trägt ein schönes Motto aus der Il-ivv-M-U-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/256>, abgerufen am 01.09.2024.