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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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einfachsten Kleide vor, was nur zum Leben, zur Oeffentlichkeit sich
drängt, und nicht einmal Euer Geldbeutel wird sonderlich bei einem
oder dem anderen Abfall leiden. Die größeren Bühnen wären recht
gut im Stande, zwei Stücke zu gleicher Zeit einzustudiren, und alle
Monate könnte ein neues Paar ohne große Anstrengung erscheinen.
Aber hemmt das viele Gastiren, sowohl Eurer Künstler auf frem¬
den Bühnen, als fremder Künstler auf Euren eigenen. Eine Aus¬
nahme zuweilen wirkt befruchtend und belebend; fortwährende Gast¬
rollen hemmen die stetige Entwickelung des Dramas und setzen die
einzelne Persönlichkeit über die Sache. Werst, wenn Ihr doch Opern,
Ballets, Genrebilder, Concerte, französisches Theater u. s. w. haben
müßt, werst für das deutsche Drama doch mindestens einen oder zwei
Abende allwöchentlich ab, verfährt planmäßig und mit Ordnung,
lasset dem Guten gewissenhaft seinen Raum und mengt nicht Eins
in'S Andere und Alles durcheinander. Wenn ich speciell von der
Berliner Bühne sprechen soll, so hätte gerade diese jetzt Ge¬
legenheit und Raum genug, das nationale Drama kräftigst zu
fördern und zu unterstützen. Ihre Oper, ihr Ballet, sie liegen nun
einmal darnieder. Letzteres hat zwar kein verächtliches Corps, auch
ein Paar gute Solotänzer; aber die Solostimmen sind entweder alt,
häßlich und steif -- und wo fordert man mit mehr Recht Jugend,
Schönheit und Anmuth? -- oder sie sind zwar jung und hübsch,
aber höchst mittelmäßige, ja schlechte Tänzerinnen. Nun hat aller¬
dings das Berliner Publicum für diese viel Geduld, für jene eine
rührende Pietät, aus zäher Vorliebe für das Alte; aber bietet ihm
unaufhörlich daS Bessere und weckt sein Interesse für das wahrhaft
Interessante, so wird es das Schlechte von selbst fallen lassen; denn
eben weil es so ungemein empfänglich und vielseitig ist, läßt es sich
doch am Ende auch für echte Kunst gewinnen und erziehen. Was
die Oper betrifft, so wird in unseren Tagen wenig Bedeutendes pro<
ducirt, die genialen, schöpferischen Kräfte sind zu Grabe getragen, der
Strom der Kunst hat sich zersplittert in unzählige seichte Bäche der
Virtuosität und des heillosesten Dilettantismus. Die Berliner Ge¬
sangsmittel sind überdies mit zwei Ausnahmen von ganz geringem,
oder gar keinem Werthe. Das Schauspiel dagegen hat trotz des
Verlustes Seidelmann's und der vielversprechenden Neumann noch im¬
mer schöne Kräfte, die, wenn sie zusammengehalten und gehörig be-


einfachsten Kleide vor, was nur zum Leben, zur Oeffentlichkeit sich
drängt, und nicht einmal Euer Geldbeutel wird sonderlich bei einem
oder dem anderen Abfall leiden. Die größeren Bühnen wären recht
gut im Stande, zwei Stücke zu gleicher Zeit einzustudiren, und alle
Monate könnte ein neues Paar ohne große Anstrengung erscheinen.
Aber hemmt das viele Gastiren, sowohl Eurer Künstler auf frem¬
den Bühnen, als fremder Künstler auf Euren eigenen. Eine Aus¬
nahme zuweilen wirkt befruchtend und belebend; fortwährende Gast¬
rollen hemmen die stetige Entwickelung des Dramas und setzen die
einzelne Persönlichkeit über die Sache. Werst, wenn Ihr doch Opern,
Ballets, Genrebilder, Concerte, französisches Theater u. s. w. haben
müßt, werst für das deutsche Drama doch mindestens einen oder zwei
Abende allwöchentlich ab, verfährt planmäßig und mit Ordnung,
lasset dem Guten gewissenhaft seinen Raum und mengt nicht Eins
in'S Andere und Alles durcheinander. Wenn ich speciell von der
Berliner Bühne sprechen soll, so hätte gerade diese jetzt Ge¬
legenheit und Raum genug, das nationale Drama kräftigst zu
fördern und zu unterstützen. Ihre Oper, ihr Ballet, sie liegen nun
einmal darnieder. Letzteres hat zwar kein verächtliches Corps, auch
ein Paar gute Solotänzer; aber die Solostimmen sind entweder alt,
häßlich und steif — und wo fordert man mit mehr Recht Jugend,
Schönheit und Anmuth? — oder sie sind zwar jung und hübsch,
aber höchst mittelmäßige, ja schlechte Tänzerinnen. Nun hat aller¬
dings das Berliner Publicum für diese viel Geduld, für jene eine
rührende Pietät, aus zäher Vorliebe für das Alte; aber bietet ihm
unaufhörlich daS Bessere und weckt sein Interesse für das wahrhaft
Interessante, so wird es das Schlechte von selbst fallen lassen; denn
eben weil es so ungemein empfänglich und vielseitig ist, läßt es sich
doch am Ende auch für echte Kunst gewinnen und erziehen. Was
die Oper betrifft, so wird in unseren Tagen wenig Bedeutendes pro<
ducirt, die genialen, schöpferischen Kräfte sind zu Grabe getragen, der
Strom der Kunst hat sich zersplittert in unzählige seichte Bäche der
Virtuosität und des heillosesten Dilettantismus. Die Berliner Ge¬
sangsmittel sind überdies mit zwei Ausnahmen von ganz geringem,
oder gar keinem Werthe. Das Schauspiel dagegen hat trotz des
Verlustes Seidelmann's und der vielversprechenden Neumann noch im¬
mer schöne Kräfte, die, wenn sie zusammengehalten und gehörig be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/24>, abgerufen am 27.07.2024.