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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Friedrich, der ihr die poetischsten, d. h. kostspieligsten Geschenke macht.
Sie wird wieder lebensfroh, Lothar fühlt, daß er verloren ist und
entsagt;^es schmerzt sie, die arme, tiefpoetische Frau, und sie sucht
Lothar zum Bleiben zu bewegen, heirathet aber doch den Grasen
Friedrich.

Ist Friedrich vielleicht ein "dämonischer" Mensch, der ihre Phan-
taste reizt? Hat sie erkannt, daß sie Lothar nur verehren, Friedrich
allein wirklich lieben könnte? O nein, das wäre zu altmodisch.
Friedrich ist ein gewöhnlicher Weltmann, und sie liebt ihn gar nicht,
ist sich dessen auch klar bewußt. Nur der Glanz seines Hauses reizt
ihren "poetischen" Sinn, und halb gedankenlos läßt sie sich Heimchen.
Zu ihrer Ehre müssen wir sagen, daß sie Lothar dabei immer noch
schmerzlich liebt und oft denkt: ach wenn er mir so liebe Sachen
schenken könnte! Lothar denkt ihrer eben so; sie ist ihm "eine Hie¬
roglyphe", ein "undinenhaftes" Wesen. Er geht nach Paris und
wird ein großer Gelehrter, Lydia aber findet ihre Schwiegermutter
unerträglich, sieht sich von ihrem Mann durchschaut, nachdem sie
sich an ihn zu gewöhnen und merkwürdig viel Sinn für das Schal¬
ten und Walten in einem großen Haufe, ja sogar einiges Verständ¬
niß des Börsenspiels zu zeigen angefangen; sie flüchtet in ihrer
Leidenschaft zu Lothar. Der aber führt sie, mit blutendem ^Herzen,
zu ihrer Pflicht zurück, und der gemüthvollen Leserin bleibt die Ge¬
wißheit, daß die arme Lydia sehr, sehr unglücklich mitten in ihrer
Pracht und daß ihr Herz sehr, sehr zerrissen ist mitten unter ihren
Trümeaur, Shawls und Tapeten! --

Ein Verfasser von "moralischen Erzählungen für die höhere Ju¬
gend" hätte aus der Heldin ganz folgerichtig ein warnendes Exem¬
pel gemacht, um unsere Amalien, Louisen, Charlotten alle zu erinnern,
daß nicht äußerer Glanz und Staat, sondern nur wahre Liebe glück¬
lich macht. Das ist freilich zu platt, und da könnte Lydia keine mo¬
derne Geniussin spielen. -- Ein bloßer Sittenmaler, ein Zeichner
der blasirten großen Welt, wie die "frivolen" Franzosen zu sein pfle¬
gen, hätte dieselbe Geschichte als ein Bild vom Lauf der Welt er¬
zählt; er hätte Lothar eine alberne Tugendrolle spielen und Lydia
lächelnd ihr Glück machen lassen. Das wäre Alles so pikant und
fein, mit so gottlosem Behagen ausgemalt, aber es läge doch ""H
eine Lehre, ein Sinn darin.


Friedrich, der ihr die poetischsten, d. h. kostspieligsten Geschenke macht.
Sie wird wieder lebensfroh, Lothar fühlt, daß er verloren ist und
entsagt;^es schmerzt sie, die arme, tiefpoetische Frau, und sie sucht
Lothar zum Bleiben zu bewegen, heirathet aber doch den Grasen
Friedrich.

Ist Friedrich vielleicht ein „dämonischer" Mensch, der ihre Phan-
taste reizt? Hat sie erkannt, daß sie Lothar nur verehren, Friedrich
allein wirklich lieben könnte? O nein, das wäre zu altmodisch.
Friedrich ist ein gewöhnlicher Weltmann, und sie liebt ihn gar nicht,
ist sich dessen auch klar bewußt. Nur der Glanz seines Hauses reizt
ihren „poetischen" Sinn, und halb gedankenlos läßt sie sich Heimchen.
Zu ihrer Ehre müssen wir sagen, daß sie Lothar dabei immer noch
schmerzlich liebt und oft denkt: ach wenn er mir so liebe Sachen
schenken könnte! Lothar denkt ihrer eben so; sie ist ihm „eine Hie¬
roglyphe", ein „undinenhaftes" Wesen. Er geht nach Paris und
wird ein großer Gelehrter, Lydia aber findet ihre Schwiegermutter
unerträglich, sieht sich von ihrem Mann durchschaut, nachdem sie
sich an ihn zu gewöhnen und merkwürdig viel Sinn für das Schal¬
ten und Walten in einem großen Haufe, ja sogar einiges Verständ¬
niß des Börsenspiels zu zeigen angefangen; sie flüchtet in ihrer
Leidenschaft zu Lothar. Der aber führt sie, mit blutendem ^Herzen,
zu ihrer Pflicht zurück, und der gemüthvollen Leserin bleibt die Ge¬
wißheit, daß die arme Lydia sehr, sehr unglücklich mitten in ihrer
Pracht und daß ihr Herz sehr, sehr zerrissen ist mitten unter ihren
Trümeaur, Shawls und Tapeten! —

Ein Verfasser von „moralischen Erzählungen für die höhere Ju¬
gend" hätte aus der Heldin ganz folgerichtig ein warnendes Exem¬
pel gemacht, um unsere Amalien, Louisen, Charlotten alle zu erinnern,
daß nicht äußerer Glanz und Staat, sondern nur wahre Liebe glück¬
lich macht. Das ist freilich zu platt, und da könnte Lydia keine mo¬
derne Geniussin spielen. — Ein bloßer Sittenmaler, ein Zeichner
der blasirten großen Welt, wie die „frivolen" Franzosen zu sein pfle¬
gen, hätte dieselbe Geschichte als ein Bild vom Lauf der Welt er¬
zählt; er hätte Lothar eine alberne Tugendrolle spielen und Lydia
lächelnd ihr Glück machen lassen. Das wäre Alles so pikant und
fein, mit so gottlosem Behagen ausgemalt, aber es läge doch «"H
eine Lehre, ein Sinn darin.


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[0228] Friedrich, der ihr die poetischsten, d. h. kostspieligsten Geschenke macht. Sie wird wieder lebensfroh, Lothar fühlt, daß er verloren ist und entsagt;^es schmerzt sie, die arme, tiefpoetische Frau, und sie sucht Lothar zum Bleiben zu bewegen, heirathet aber doch den Grasen Friedrich. Ist Friedrich vielleicht ein „dämonischer" Mensch, der ihre Phan- taste reizt? Hat sie erkannt, daß sie Lothar nur verehren, Friedrich allein wirklich lieben könnte? O nein, das wäre zu altmodisch. Friedrich ist ein gewöhnlicher Weltmann, und sie liebt ihn gar nicht, ist sich dessen auch klar bewußt. Nur der Glanz seines Hauses reizt ihren „poetischen" Sinn, und halb gedankenlos läßt sie sich Heimchen. Zu ihrer Ehre müssen wir sagen, daß sie Lothar dabei immer noch schmerzlich liebt und oft denkt: ach wenn er mir so liebe Sachen schenken könnte! Lothar denkt ihrer eben so; sie ist ihm „eine Hie¬ roglyphe", ein „undinenhaftes" Wesen. Er geht nach Paris und wird ein großer Gelehrter, Lydia aber findet ihre Schwiegermutter unerträglich, sieht sich von ihrem Mann durchschaut, nachdem sie sich an ihn zu gewöhnen und merkwürdig viel Sinn für das Schal¬ ten und Walten in einem großen Haufe, ja sogar einiges Verständ¬ niß des Börsenspiels zu zeigen angefangen; sie flüchtet in ihrer Leidenschaft zu Lothar. Der aber führt sie, mit blutendem ^Herzen, zu ihrer Pflicht zurück, und der gemüthvollen Leserin bleibt die Ge¬ wißheit, daß die arme Lydia sehr, sehr unglücklich mitten in ihrer Pracht und daß ihr Herz sehr, sehr zerrissen ist mitten unter ihren Trümeaur, Shawls und Tapeten! — Ein Verfasser von „moralischen Erzählungen für die höhere Ju¬ gend" hätte aus der Heldin ganz folgerichtig ein warnendes Exem¬ pel gemacht, um unsere Amalien, Louisen, Charlotten alle zu erinnern, daß nicht äußerer Glanz und Staat, sondern nur wahre Liebe glück¬ lich macht. Das ist freilich zu platt, und da könnte Lydia keine mo¬ derne Geniussin spielen. — Ein bloßer Sittenmaler, ein Zeichner der blasirten großen Welt, wie die „frivolen" Franzosen zu sein pfle¬ gen, hätte dieselbe Geschichte als ein Bild vom Lauf der Welt er¬ zählt; er hätte Lothar eine alberne Tugendrolle spielen und Lydia lächelnd ihr Glück machen lassen. Das wäre Alles so pikant und fein, mit so gottlosem Behagen ausgemalt, aber es läge doch «"H eine Lehre, ein Sinn darin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/228>, abgerufen am 27.07.2024.