Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.nahten Welt zu bezeichnend, als daß man seine Quellen nicht genauer Im "Falkenberg" wurde uns ein gewöhnlicher Wüstling als nahten Welt zu bezeichnend, als daß man seine Quellen nicht genauer Im „Falkenberg" wurde uns ein gewöhnlicher Wüstling als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181411"/> <p xml:id="ID_623" prev="#ID_622"> nahten Welt zu bezeichnend, als daß man seine Quellen nicht genauer<lb/> untersuchen sollte. Aber warum soll man sich von dieser Txiletten-<lb/> literatur nicht angezogen fühlen? Man tritt wie in ein duftendes<lb/> Boudoir; die äußere Ausstattung entspricht der innern — und wir<lb/> finden sogar mehr als geschmackvolle Meubles darin; lyrische Blumen,<lb/> blendende Lichter der Reflection und überraschende Zeitklänge, die frei¬<lb/> lich oft nur darum überraschen, weil sie dem Papagei statt der<lb/> Nachtigall in den Mund gelegt sind. Theresens Styl ist weich und<lb/> schmiegsam, wie Velin; einzelne Bemerkungen verrathen ein fleißig<lb/> und andächtig geführtes Tagebuch; über den Naturmalereien weht<lb/> ein Hauch reizender Phantasie, — aber des Pudels Kern? Die<lb/> Charaktere, die Erfindung und die Lebensanschauung? Lassen wir<lb/> uns von dieser Lydia belehren, was die moderne — nicht aristokra--<lb/> lische, sondern — Convcrsationspoesie für Begriffe hat von höheren<lb/> Naturen, was sie edle Verirrungen und tragische Conflicte nennt.</p><lb/> <p xml:id="ID_624" next="#ID_625"> Im „Falkenberg" wurde uns ein gewöhnlicher Wüstling als<lb/> „dämonischer Mensch" vorgestellt. Hier wird uns ein prunksüchtiges<lb/> und wunderschönes Weib, das wie ein Buch spricht und wie ein<lb/> Genie empfindet, als die Quintessenz modern genialer Weiblichkeit<lb/> vorgeführt. Lydia ist eine junge Wittwe, die in einem Proceß ihr<lb/> ungeheueres Vermögen verliert; einer von ihren Gegnern, Baron<lb/> Lothar, der gegen sie eine Rente von zweihundertfunfzig Thalern<lb/> gewonnen, wird von ihr bezaubert und nimmt sich der Hilflosen an;<lb/> er will sie erziehen, ihre Verhältnisse ordnen, sie an Genügsamkeit<lb/> und Glück gewöhnen. Lothar ist ganz ihr Widerspiel, ein Mann<lb/> und das ein starker, milder Mann; sie aber ist so kindlich unschul¬<lb/> dig, sie weiß das Geld nicht zu achten, weiß nicht zu rechnen; sie<lb/> ist ganz Poesie. Sie schwärmt für den Genuß der Frühlingsluft,<lb/> aber notabene nur in einer pompösen Villa, sie muß erhabene Kunst¬<lb/> werke um sich haben, welche Tausende kosten, aber eben so sehr<lb/> liebt sie die theuersten Cashemirshawls, Diamanten und Pferde. Lo¬<lb/> thar opfert sich, sein kleines Vermögen, sein idyllisches Glück, seine<lb/> Ruhe, seine Gesundheit in der anstrengendsten Arbeit und Sorge<lb/> für ihre Zukunft; sie ist erst gerührt, dann verehrt sie den Selbst-<lb/> verläugnenden, endlich liebt sie ihn mit der Liebe höherer Seelen,<lb/> aber sie weint, so oft der Geliebte ihr zuredet, einem oder dem an¬<lb/> dern Lunlögegenstand zu entsagen. Da kommt ein reicher Graf</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0227]
nahten Welt zu bezeichnend, als daß man seine Quellen nicht genauer
untersuchen sollte. Aber warum soll man sich von dieser Txiletten-
literatur nicht angezogen fühlen? Man tritt wie in ein duftendes
Boudoir; die äußere Ausstattung entspricht der innern — und wir
finden sogar mehr als geschmackvolle Meubles darin; lyrische Blumen,
blendende Lichter der Reflection und überraschende Zeitklänge, die frei¬
lich oft nur darum überraschen, weil sie dem Papagei statt der
Nachtigall in den Mund gelegt sind. Theresens Styl ist weich und
schmiegsam, wie Velin; einzelne Bemerkungen verrathen ein fleißig
und andächtig geführtes Tagebuch; über den Naturmalereien weht
ein Hauch reizender Phantasie, — aber des Pudels Kern? Die
Charaktere, die Erfindung und die Lebensanschauung? Lassen wir
uns von dieser Lydia belehren, was die moderne — nicht aristokra--
lische, sondern — Convcrsationspoesie für Begriffe hat von höheren
Naturen, was sie edle Verirrungen und tragische Conflicte nennt.
Im „Falkenberg" wurde uns ein gewöhnlicher Wüstling als
„dämonischer Mensch" vorgestellt. Hier wird uns ein prunksüchtiges
und wunderschönes Weib, das wie ein Buch spricht und wie ein
Genie empfindet, als die Quintessenz modern genialer Weiblichkeit
vorgeführt. Lydia ist eine junge Wittwe, die in einem Proceß ihr
ungeheueres Vermögen verliert; einer von ihren Gegnern, Baron
Lothar, der gegen sie eine Rente von zweihundertfunfzig Thalern
gewonnen, wird von ihr bezaubert und nimmt sich der Hilflosen an;
er will sie erziehen, ihre Verhältnisse ordnen, sie an Genügsamkeit
und Glück gewöhnen. Lothar ist ganz ihr Widerspiel, ein Mann
und das ein starker, milder Mann; sie aber ist so kindlich unschul¬
dig, sie weiß das Geld nicht zu achten, weiß nicht zu rechnen; sie
ist ganz Poesie. Sie schwärmt für den Genuß der Frühlingsluft,
aber notabene nur in einer pompösen Villa, sie muß erhabene Kunst¬
werke um sich haben, welche Tausende kosten, aber eben so sehr
liebt sie die theuersten Cashemirshawls, Diamanten und Pferde. Lo¬
thar opfert sich, sein kleines Vermögen, sein idyllisches Glück, seine
Ruhe, seine Gesundheit in der anstrengendsten Arbeit und Sorge
für ihre Zukunft; sie ist erst gerührt, dann verehrt sie den Selbst-
verläugnenden, endlich liebt sie ihn mit der Liebe höherer Seelen,
aber sie weint, so oft der Geliebte ihr zuredet, einem oder dem an¬
dern Lunlögegenstand zu entsagen. Da kommt ein reicher Graf
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