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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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wie die Romantiker einst, freilich mehr aus Uebermuth und Leckerei,
nach allen denkbaren Formen griffen, so die jüngsten Dramatiker aus
Noth und Verlegenheit. Gutzkow aber hat, wie man sagt, mit sei¬
nem neuesten Lustspiel, Zopf und Schwert, zugleich eine neue Gat¬
tung eröffnet, die historische Komödie. Dies wäre so ein Surrogat
für die politische. schicket Euch in die Zeit, denn es ist eine böse
Zeit! Und unsere jungen Dramatiker schicken sich, sie sind äußerst be¬
scheiden. Haben sie es doch nicht verschmäht, den jungen Most in
die alten Schläuche Kotzebue's und Jffland's zu schütten. Fürwahr!
das alte bürgerliche Schauspiel hat eine erstaunlich zähe Lebenskraft!
Vergebens hat Schiller, nachdem er ihm selbst, wie Lessing und Göthe,
seinen Tribut bezahlt, den Schatten Shakspeare's gegen dasselbe her¬
aufbeschworen :


"--- Man siehet bei uns nur Pfarrer, Commcrzienräthe,

Fähndriche, Secretärs oder Husarcnmajors.
Aber ich bitte Dich, Freund, was kann denn dieser Misere

Großes begegnen, was kann Großes denn durch sie geschehn?
Was? Sie machen Kabale, sie leihen auf Pfänder, sie stecken

Silberne Löffel ein, wagen den Pranger und mehr!
Woher nehmt Ihr denn aber das große, gigantische Schicksal,

Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt?
Das sind Grillen! Uns selbst und unsere guten Bekannten,

Unsren Jammer und Noth suchen und finden wir hier....."


Die alte Bürgerliche aber steckt ihr Philistervolk in andere Mas¬
ken und schreibt nun auf den Zettel: Geheimräthe, Assessoren ze. --
Ja, sie mag sich wenden und drehen, unsere Melpomene, der Zopf,
der hängt ihr hinten. Man hat freilich Ehrenrettungen dieses dramati¬
schen Zopfes, der mir zuweilen wie ein Weichselzopf vorkommt, ge¬
schrieben und gesagt, er sei die wahre Form für das deutsche Drama.
Und das Ärgerlichste ist, man kann es nicht einmal rundweg ver¬
neinen; nicht blos bei uns, auch bei anderen Völkern des neueren
Europa scheint sich das Original - Volksthümliche des dramatischen
Geistes in die niederen Regionen geflüchtet zu haben; oder will man
lieber sagen, daß es sich darüber nicht erhoben? Die Engländer ha¬
ben ihre Nüpelfarcen, die Italiener ihre Masken, die Franzosen ihr
Vaudeville, und auf uns käme dann das Zopfdrama, als reinster
Ausdruck des deutschen Michelthums. Wer kann es ändern! Das


Gr-nzl'oder ISii. II. A

wie die Romantiker einst, freilich mehr aus Uebermuth und Leckerei,
nach allen denkbaren Formen griffen, so die jüngsten Dramatiker aus
Noth und Verlegenheit. Gutzkow aber hat, wie man sagt, mit sei¬
nem neuesten Lustspiel, Zopf und Schwert, zugleich eine neue Gat¬
tung eröffnet, die historische Komödie. Dies wäre so ein Surrogat
für die politische. schicket Euch in die Zeit, denn es ist eine böse
Zeit! Und unsere jungen Dramatiker schicken sich, sie sind äußerst be¬
scheiden. Haben sie es doch nicht verschmäht, den jungen Most in
die alten Schläuche Kotzebue's und Jffland's zu schütten. Fürwahr!
das alte bürgerliche Schauspiel hat eine erstaunlich zähe Lebenskraft!
Vergebens hat Schiller, nachdem er ihm selbst, wie Lessing und Göthe,
seinen Tribut bezahlt, den Schatten Shakspeare's gegen dasselbe her¬
aufbeschworen :


„--- Man siehet bei uns nur Pfarrer, Commcrzienräthe,

Fähndriche, Secretärs oder Husarcnmajors.
Aber ich bitte Dich, Freund, was kann denn dieser Misere

Großes begegnen, was kann Großes denn durch sie geschehn?
Was? Sie machen Kabale, sie leihen auf Pfänder, sie stecken

Silberne Löffel ein, wagen den Pranger und mehr!
Woher nehmt Ihr denn aber das große, gigantische Schicksal,

Welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt?
Das sind Grillen! Uns selbst und unsere guten Bekannten,

Unsren Jammer und Noth suchen und finden wir hier....."


Die alte Bürgerliche aber steckt ihr Philistervolk in andere Mas¬
ken und schreibt nun auf den Zettel: Geheimräthe, Assessoren ze. —
Ja, sie mag sich wenden und drehen, unsere Melpomene, der Zopf,
der hängt ihr hinten. Man hat freilich Ehrenrettungen dieses dramati¬
schen Zopfes, der mir zuweilen wie ein Weichselzopf vorkommt, ge¬
schrieben und gesagt, er sei die wahre Form für das deutsche Drama.
Und das Ärgerlichste ist, man kann es nicht einmal rundweg ver¬
neinen; nicht blos bei uns, auch bei anderen Völkern des neueren
Europa scheint sich das Original - Volksthümliche des dramatischen
Geistes in die niederen Regionen geflüchtet zu haben; oder will man
lieber sagen, daß es sich darüber nicht erhoben? Die Engländer ha¬
ben ihre Nüpelfarcen, die Italiener ihre Masken, die Franzosen ihr
Vaudeville, und auf uns käme dann das Zopfdrama, als reinster
Ausdruck des deutschen Michelthums. Wer kann es ändern! Das


Gr-nzl'oder ISii. II. A
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/21>, abgerufen am 01.09.2024.