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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Dennoch scheint er selbst dabei etwas zu vermissen. Und allerdings
lehrt Schiller, lehrt Lessing, lehren Andere, daß die Shakspeare'sche
Form, die für historische Tragödien wohl immerdar Grundform blei¬
ben wird, bei uns am zweckmäßigsten einer gewissen Ermäßigung zu
unterwerfen ist. Im Ganzen aber hat sich doch auch Schiller mit
der Form nur auf eine anständige Weise abgefunden, hat hier und
da geändert, wohl auch gebessert; eine allgemein giltige Gestalt hat
er dem Theater nicht gegeben, und wenn er vielleicht am nachdrück¬
lichsten auf dasselbe gewirkr, so liegt dies mehr in seiner Gesinnung,
in seinein Charakter und darin, daß er den einmal eingeschlagenen
Weg am consequentesten verfolgt hat. Neben und nach Schiller und
Göthe haben denn gerade die begabtesten Dichter immer wieder
von vorn angefangen, wie das die deutsche Art ist. Von
vorn, ich meine von Shakspeare. Shakspeare'sche Form, mehr oder
weniger modificirt, aber bis auf die neueste Zeit fast von allen Dich¬
tern deS höhern Dramas festgehalten, hier und da gräcisirende Ver--
suche, auch wohl Dichtungen in dieser und jener Schiller'schen oder
Göthe'schen Manier, nirgends ein letzter Abschluß. Und so harrt
die Formfrage noch immer ihrer Erledigung. Laube in der "Ele¬
ganten" sagt irgendwo von sich und den andern neuen Dramatikern:
Wie man uns auch beurtheilen mag, wir wissen wenigstens, was
wir wollen. -- Heißt nun dies Was eben wirklich Was, so glaube
ich, ich kenne es auch, dieses Was. Man will sich in den Besitz
der Bühne setzen, will das Drama mit dem Inhalt der Zeit erfüllen
und wo möglich für das Theater eine echtdeutsche, unsrer Bildungs"
Stufe gemäße Gestalt und Form finden. Heißt jenes Was wir wol-
en -- und nach dem Zusammenhange scheint es beinahe so --
heißt es zugleich: Wie wir sollen, so ist Laube in dem Besitze eines
großen Geheimnisses, und ich wünschte sehr, er hätte es uns mitgeth ne.
Wäre aber das Wie so klar, worin läge es denn, daß unsre jüng¬
sten Dramatiker so gut wie die früheren herumgreifen und tappen
nach Form und Stoff und schwankend und unsicher die verschieden¬
sten Weisen durchprobiren? Hier auf dem Kothurn Shakspeare'S,
dort auf dem Soccus des Aristophanes, von Platen und Tieck neu
besohlt, ja dort sogar in den heruntergetretenen Pantoffeln deö so¬
genannten bürgerlichen Drama's. Hier läßt sich die junge Muse in
Versen, dort in Prosa, dort abwechselnd in beiden vernehmen. Und


Dennoch scheint er selbst dabei etwas zu vermissen. Und allerdings
lehrt Schiller, lehrt Lessing, lehren Andere, daß die Shakspeare'sche
Form, die für historische Tragödien wohl immerdar Grundform blei¬
ben wird, bei uns am zweckmäßigsten einer gewissen Ermäßigung zu
unterwerfen ist. Im Ganzen aber hat sich doch auch Schiller mit
der Form nur auf eine anständige Weise abgefunden, hat hier und
da geändert, wohl auch gebessert; eine allgemein giltige Gestalt hat
er dem Theater nicht gegeben, und wenn er vielleicht am nachdrück¬
lichsten auf dasselbe gewirkr, so liegt dies mehr in seiner Gesinnung,
in seinein Charakter und darin, daß er den einmal eingeschlagenen
Weg am consequentesten verfolgt hat. Neben und nach Schiller und
Göthe haben denn gerade die begabtesten Dichter immer wieder
von vorn angefangen, wie das die deutsche Art ist. Von
vorn, ich meine von Shakspeare. Shakspeare'sche Form, mehr oder
weniger modificirt, aber bis auf die neueste Zeit fast von allen Dich¬
tern deS höhern Dramas festgehalten, hier und da gräcisirende Ver--
suche, auch wohl Dichtungen in dieser und jener Schiller'schen oder
Göthe'schen Manier, nirgends ein letzter Abschluß. Und so harrt
die Formfrage noch immer ihrer Erledigung. Laube in der „Ele¬
ganten" sagt irgendwo von sich und den andern neuen Dramatikern:
Wie man uns auch beurtheilen mag, wir wissen wenigstens, was
wir wollen. — Heißt nun dies Was eben wirklich Was, so glaube
ich, ich kenne es auch, dieses Was. Man will sich in den Besitz
der Bühne setzen, will das Drama mit dem Inhalt der Zeit erfüllen
und wo möglich für das Theater eine echtdeutsche, unsrer Bildungs«
Stufe gemäße Gestalt und Form finden. Heißt jenes Was wir wol-
en — und nach dem Zusammenhange scheint es beinahe so —
heißt es zugleich: Wie wir sollen, so ist Laube in dem Besitze eines
großen Geheimnisses, und ich wünschte sehr, er hätte es uns mitgeth ne.
Wäre aber das Wie so klar, worin läge es denn, daß unsre jüng¬
sten Dramatiker so gut wie die früheren herumgreifen und tappen
nach Form und Stoff und schwankend und unsicher die verschieden¬
sten Weisen durchprobiren? Hier auf dem Kothurn Shakspeare'S,
dort auf dem Soccus des Aristophanes, von Platen und Tieck neu
besohlt, ja dort sogar in den heruntergetretenen Pantoffeln deö so¬
genannten bürgerlichen Drama's. Hier läßt sich die junge Muse in
Versen, dort in Prosa, dort abwechselnd in beiden vernehmen. Und


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[0020] Dennoch scheint er selbst dabei etwas zu vermissen. Und allerdings lehrt Schiller, lehrt Lessing, lehren Andere, daß die Shakspeare'sche Form, die für historische Tragödien wohl immerdar Grundform blei¬ ben wird, bei uns am zweckmäßigsten einer gewissen Ermäßigung zu unterwerfen ist. Im Ganzen aber hat sich doch auch Schiller mit der Form nur auf eine anständige Weise abgefunden, hat hier und da geändert, wohl auch gebessert; eine allgemein giltige Gestalt hat er dem Theater nicht gegeben, und wenn er vielleicht am nachdrück¬ lichsten auf dasselbe gewirkr, so liegt dies mehr in seiner Gesinnung, in seinein Charakter und darin, daß er den einmal eingeschlagenen Weg am consequentesten verfolgt hat. Neben und nach Schiller und Göthe haben denn gerade die begabtesten Dichter immer wieder von vorn angefangen, wie das die deutsche Art ist. Von vorn, ich meine von Shakspeare. Shakspeare'sche Form, mehr oder weniger modificirt, aber bis auf die neueste Zeit fast von allen Dich¬ tern deS höhern Dramas festgehalten, hier und da gräcisirende Ver-- suche, auch wohl Dichtungen in dieser und jener Schiller'schen oder Göthe'schen Manier, nirgends ein letzter Abschluß. Und so harrt die Formfrage noch immer ihrer Erledigung. Laube in der „Ele¬ ganten" sagt irgendwo von sich und den andern neuen Dramatikern: Wie man uns auch beurtheilen mag, wir wissen wenigstens, was wir wollen. — Heißt nun dies Was eben wirklich Was, so glaube ich, ich kenne es auch, dieses Was. Man will sich in den Besitz der Bühne setzen, will das Drama mit dem Inhalt der Zeit erfüllen und wo möglich für das Theater eine echtdeutsche, unsrer Bildungs« Stufe gemäße Gestalt und Form finden. Heißt jenes Was wir wol- en — und nach dem Zusammenhange scheint es beinahe so — heißt es zugleich: Wie wir sollen, so ist Laube in dem Besitze eines großen Geheimnisses, und ich wünschte sehr, er hätte es uns mitgeth ne. Wäre aber das Wie so klar, worin läge es denn, daß unsre jüng¬ sten Dramatiker so gut wie die früheren herumgreifen und tappen nach Form und Stoff und schwankend und unsicher die verschieden¬ sten Weisen durchprobiren? Hier auf dem Kothurn Shakspeare'S, dort auf dem Soccus des Aristophanes, von Platen und Tieck neu besohlt, ja dort sogar in den heruntergetretenen Pantoffeln deö so¬ genannten bürgerlichen Drama's. Hier läßt sich die junge Muse in Versen, dort in Prosa, dort abwechselnd in beiden vernehmen. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/20>, abgerufen am 01.09.2024.