Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hüter der Wahrheit gegen die Unnatur und die Lüge, gegen die
Sentimentalität und die Affectation, wo er sie auch traf.

Diese außerordentliche Thätigkeit fand nicht ganz die Anerken¬
nung, die sie zu fordern berechtigt war. Einer unserer größten Ge¬
schichtsforscher, Manso, schrieb im Jahre 1824: Ich verdanke Schlos¬
sern mehrere Nachweisungen und nützliche Winke, und gewiß verdan¬
ken ihm Beides auch Andere in anderen Theilen der Geschichte.
Um so mehr kann er sich mit dieser stillen Anerkennung seines Ver¬
dienstes für das Schweigen, welches unsere meisten literarischen Blät¬
ter heute noch über sein Werk (die Weltgeschichte) beobachten, für
entschädigt halten. Das muß auch jetzt noch, nach zwanzig Jahren,
gelten. Er hatte keine Clique von Freunden, die ihn trug, keinen
ruhmrediger Verleger, der in einem Dutzend abhängiger Tagesblät¬
ter sein Lob ausposaunt hätt.'. Wohl aber hatte er Feinde, denen
seine Offenheit, seine Rücksichtslosigkeit ein Dorn war. Seine Ge¬
schichte des achtzehnten Jahrhunderts war all den Leuten, welche die
Finsterniß und die Dämmerung lieber haben, als daS Licht, ein gro¬
ßer Stein des Anstoßes. Sie schalten über seine "classische Grob¬
heit", oder mindestens über seine Grämlichkeit und Schwarzsichtigkeit
und setzten ihn, wie vor Kurzem Herr Heinrich von Sybel in Bonn,
nach Möglichkeit herab, aber diesen Stein werden sie nicht verdauen.
Seine Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts ist schon in mehreren
Auflagen erschienen, ist in Kreise gedrungen, die sich sonst um Ge¬
schichtsbücher gar wenig bekümmern, ist auch bereits theilweise in'ö
Französische, Englische und Holländische übertragen worden. Dieses
Werk haben wir als das bekannteste vorzugsweise im Auge, indem
wir die Eigenthümlichkeiten seiner Geschichtschreibung lind die Haupt¬
verdienste seiner historischen. Leistungen, wie folgt, bezeichnen.

Das erste Lob Schlossers ist ein harter Tadel gegen unsere
gesammte Geschichtschreibung, und wir setzen uns selbst hartem Tadel
aus, indem wir das hier so klar auszusprechen wagen. Die meisten
deutschen Geschichtsbücher haben nämlich, besonders wenn sie die
neuere Zeit behandeln, einen panegyristischen Charakter. Aus
allerlei Rücksichten und in allerlei Absichten suche" unsere Historiker
von den Volksbewegungen und ihren Führern möglichst viel Schlim¬
mes und von den Fürsten und Ministern möglichst viel Gutes zu
sagen. Das kann nicht geschehen, ohne absichtliche Täuschung' oder


Hüter der Wahrheit gegen die Unnatur und die Lüge, gegen die
Sentimentalität und die Affectation, wo er sie auch traf.

Diese außerordentliche Thätigkeit fand nicht ganz die Anerken¬
nung, die sie zu fordern berechtigt war. Einer unserer größten Ge¬
schichtsforscher, Manso, schrieb im Jahre 1824: Ich verdanke Schlos¬
sern mehrere Nachweisungen und nützliche Winke, und gewiß verdan¬
ken ihm Beides auch Andere in anderen Theilen der Geschichte.
Um so mehr kann er sich mit dieser stillen Anerkennung seines Ver¬
dienstes für das Schweigen, welches unsere meisten literarischen Blät¬
ter heute noch über sein Werk (die Weltgeschichte) beobachten, für
entschädigt halten. Das muß auch jetzt noch, nach zwanzig Jahren,
gelten. Er hatte keine Clique von Freunden, die ihn trug, keinen
ruhmrediger Verleger, der in einem Dutzend abhängiger Tagesblät¬
ter sein Lob ausposaunt hätt.'. Wohl aber hatte er Feinde, denen
seine Offenheit, seine Rücksichtslosigkeit ein Dorn war. Seine Ge¬
schichte des achtzehnten Jahrhunderts war all den Leuten, welche die
Finsterniß und die Dämmerung lieber haben, als daS Licht, ein gro¬
ßer Stein des Anstoßes. Sie schalten über seine „classische Grob¬
heit", oder mindestens über seine Grämlichkeit und Schwarzsichtigkeit
und setzten ihn, wie vor Kurzem Herr Heinrich von Sybel in Bonn,
nach Möglichkeit herab, aber diesen Stein werden sie nicht verdauen.
Seine Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts ist schon in mehreren
Auflagen erschienen, ist in Kreise gedrungen, die sich sonst um Ge¬
schichtsbücher gar wenig bekümmern, ist auch bereits theilweise in'ö
Französische, Englische und Holländische übertragen worden. Dieses
Werk haben wir als das bekannteste vorzugsweise im Auge, indem
wir die Eigenthümlichkeiten seiner Geschichtschreibung lind die Haupt¬
verdienste seiner historischen. Leistungen, wie folgt, bezeichnen.

Das erste Lob Schlossers ist ein harter Tadel gegen unsere
gesammte Geschichtschreibung, und wir setzen uns selbst hartem Tadel
aus, indem wir das hier so klar auszusprechen wagen. Die meisten
deutschen Geschichtsbücher haben nämlich, besonders wenn sie die
neuere Zeit behandeln, einen panegyristischen Charakter. Aus
allerlei Rücksichten und in allerlei Absichten suche» unsere Historiker
von den Volksbewegungen und ihren Führern möglichst viel Schlim¬
mes und von den Fürsten und Ministern möglichst viel Gutes zu
sagen. Das kann nicht geschehen, ohne absichtliche Täuschung' oder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181386"/>
          <p xml:id="ID_556" prev="#ID_555"> Hüter der Wahrheit gegen die Unnatur und die Lüge, gegen die<lb/>
Sentimentalität und die Affectation, wo er sie auch traf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_557"> Diese außerordentliche Thätigkeit fand nicht ganz die Anerken¬<lb/>
nung, die sie zu fordern berechtigt war. Einer unserer größten Ge¬<lb/>
schichtsforscher, Manso, schrieb im Jahre 1824: Ich verdanke Schlos¬<lb/>
sern mehrere Nachweisungen und nützliche Winke, und gewiß verdan¬<lb/>
ken ihm Beides auch Andere in anderen Theilen der Geschichte.<lb/>
Um so mehr kann er sich mit dieser stillen Anerkennung seines Ver¬<lb/>
dienstes für das Schweigen, welches unsere meisten literarischen Blät¬<lb/>
ter heute noch über sein Werk (die Weltgeschichte) beobachten, für<lb/>
entschädigt halten. Das muß auch jetzt noch, nach zwanzig Jahren,<lb/>
gelten. Er hatte keine Clique von Freunden, die ihn trug, keinen<lb/>
ruhmrediger Verleger, der in einem Dutzend abhängiger Tagesblät¬<lb/>
ter sein Lob ausposaunt hätt.'. Wohl aber hatte er Feinde, denen<lb/>
seine Offenheit, seine Rücksichtslosigkeit ein Dorn war. Seine Ge¬<lb/>
schichte des achtzehnten Jahrhunderts war all den Leuten, welche die<lb/>
Finsterniß und die Dämmerung lieber haben, als daS Licht, ein gro¬<lb/>
ßer Stein des Anstoßes. Sie schalten über seine &#x201E;classische Grob¬<lb/>
heit", oder mindestens über seine Grämlichkeit und Schwarzsichtigkeit<lb/>
und setzten ihn, wie vor Kurzem Herr Heinrich von Sybel in Bonn,<lb/>
nach Möglichkeit herab, aber diesen Stein werden sie nicht verdauen.<lb/>
Seine Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts ist schon in mehreren<lb/>
Auflagen erschienen, ist in Kreise gedrungen, die sich sonst um Ge¬<lb/>
schichtsbücher gar wenig bekümmern, ist auch bereits theilweise in'ö<lb/>
Französische, Englische und Holländische übertragen worden. Dieses<lb/>
Werk haben wir als das bekannteste vorzugsweise im Auge, indem<lb/>
wir die Eigenthümlichkeiten seiner Geschichtschreibung lind die Haupt¬<lb/>
verdienste seiner historischen. Leistungen, wie folgt, bezeichnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_558" next="#ID_559"> Das erste Lob Schlossers ist ein harter Tadel gegen unsere<lb/>
gesammte Geschichtschreibung, und wir setzen uns selbst hartem Tadel<lb/>
aus, indem wir das hier so klar auszusprechen wagen. Die meisten<lb/>
deutschen Geschichtsbücher haben nämlich, besonders wenn sie die<lb/>
neuere Zeit behandeln, einen panegyristischen Charakter. Aus<lb/>
allerlei Rücksichten und in allerlei Absichten suche» unsere Historiker<lb/>
von den Volksbewegungen und ihren Führern möglichst viel Schlim¬<lb/>
mes und von den Fürsten und Ministern möglichst viel Gutes zu<lb/>
sagen. Das kann nicht geschehen, ohne absichtliche Täuschung' oder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Hüter der Wahrheit gegen die Unnatur und die Lüge, gegen die Sentimentalität und die Affectation, wo er sie auch traf. Diese außerordentliche Thätigkeit fand nicht ganz die Anerken¬ nung, die sie zu fordern berechtigt war. Einer unserer größten Ge¬ schichtsforscher, Manso, schrieb im Jahre 1824: Ich verdanke Schlos¬ sern mehrere Nachweisungen und nützliche Winke, und gewiß verdan¬ ken ihm Beides auch Andere in anderen Theilen der Geschichte. Um so mehr kann er sich mit dieser stillen Anerkennung seines Ver¬ dienstes für das Schweigen, welches unsere meisten literarischen Blät¬ ter heute noch über sein Werk (die Weltgeschichte) beobachten, für entschädigt halten. Das muß auch jetzt noch, nach zwanzig Jahren, gelten. Er hatte keine Clique von Freunden, die ihn trug, keinen ruhmrediger Verleger, der in einem Dutzend abhängiger Tagesblät¬ ter sein Lob ausposaunt hätt.'. Wohl aber hatte er Feinde, denen seine Offenheit, seine Rücksichtslosigkeit ein Dorn war. Seine Ge¬ schichte des achtzehnten Jahrhunderts war all den Leuten, welche die Finsterniß und die Dämmerung lieber haben, als daS Licht, ein gro¬ ßer Stein des Anstoßes. Sie schalten über seine „classische Grob¬ heit", oder mindestens über seine Grämlichkeit und Schwarzsichtigkeit und setzten ihn, wie vor Kurzem Herr Heinrich von Sybel in Bonn, nach Möglichkeit herab, aber diesen Stein werden sie nicht verdauen. Seine Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts ist schon in mehreren Auflagen erschienen, ist in Kreise gedrungen, die sich sonst um Ge¬ schichtsbücher gar wenig bekümmern, ist auch bereits theilweise in'ö Französische, Englische und Holländische übertragen worden. Dieses Werk haben wir als das bekannteste vorzugsweise im Auge, indem wir die Eigenthümlichkeiten seiner Geschichtschreibung lind die Haupt¬ verdienste seiner historischen. Leistungen, wie folgt, bezeichnen. Das erste Lob Schlossers ist ein harter Tadel gegen unsere gesammte Geschichtschreibung, und wir setzen uns selbst hartem Tadel aus, indem wir das hier so klar auszusprechen wagen. Die meisten deutschen Geschichtsbücher haben nämlich, besonders wenn sie die neuere Zeit behandeln, einen panegyristischen Charakter. Aus allerlei Rücksichten und in allerlei Absichten suche» unsere Historiker von den Volksbewegungen und ihren Führern möglichst viel Schlim¬ mes und von den Fürsten und Ministern möglichst viel Gutes zu sagen. Das kann nicht geschehen, ohne absichtliche Täuschung' oder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/202>, abgerufen am 01.09.2024.