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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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besonders Thukydides, beschäftigten ihn vorzugsweise. Im Jahre
1807 trat er zuerst mit dem berühmten Buche "Abälard und Dulcin,
Leben und Meinungen eines Schwärmers und eines Philosophen"
hervor. Seitdem wendete er sich immer bestimmter der Geschichte
zu. Früh zeigte er eine starke Neigung zur Skepsis und Ironie. Die
norddeutsche Derbheit und diese negative Richtung ist ihm geblieben,
obgleich im Jahre 4810 ein Umschlag in seinem inneren Leben er¬
folgte. "Es ward mir eine neue Seite des menschlichen Lebens ge¬
zeigt", schreibt er, "ich hörte auf, an allem wahrhaft Menschlichen zu
zweifeln. Der Adel der menschlichen Seele, an den ich nicht mehr
geglaubt hatte, und den ich nur in der Dichtung zu finden meinte,
zeigte sich mir im äußeren Verkehr. Die idealischen Träume meiner
Jugend von Freundschaft und wahrem Leben schienen mir kein eitler
Wahn mehr, und ich gewann neuen Muth für den Kampf mit der Ge<
meinheit. Ich ward eingeweiht in die Geheimnisse schöner Seelen,
die der Haufen auch nicht einmal ahnt, und lernte mich meiner selbst
schämen." Erst spät wurde er öffentlicher Lehrer an einer Schule,
dann am Lyceum in Frankfurt, endlich auch Stadtbibliothekar da¬
selbst. Drei Rufe an die Universitäten''Heidelberg, Jena und Mar¬
burg lehnte er ab, bis er 1817 doch nach Heidelberg an des nach
Berlin übersiedelnden Wilkens Stelle als ordentlicher Professor der
Geschichte abging. Seitdem hat er beinahe dreißig Jahre als aka¬
demischer Lehrer gewirkt. Die edelsten Jünglinge aus allen Gauen
Deutschlands haben zu seinen Füßen gesessen, sind durch ihn in das
Studium der Geschichte eingeführt worden, haben aus seinen Worten
Ansichten sür's Leben, aus seinen Gesinnungen Kraft zu einem hin¬
gebenden Wirken geschöpft. Dem Schreiber dieser Zeilen, einem der
vielen unbedeutenden Lehrer der Geschichte, war es nicht vergönnt,
in Heidelberg unter Schlosser seine Studien zu machen, aber er hörte
ihn wenigstens eine Stunde über englische Geschichte sprechen im
Sommer 1842 und fand da ein solches Ueberschauen aller Verhält¬
nisse, die Klarheit des Blickes, die Körnigkeit des Ausdrucks und
jene Wärme einer festen Ueberzeugung, die unauslöschliche Spuren
in der Seele der Zuhörer zurückläßt. Außer dem Katheder erlangte
er einen großen Einfluß durch seine Kritiken in den Heidelberger
Jahrbüchern der Literatur. In ihnen focht er als ein treuer


besonders Thukydides, beschäftigten ihn vorzugsweise. Im Jahre
1807 trat er zuerst mit dem berühmten Buche „Abälard und Dulcin,
Leben und Meinungen eines Schwärmers und eines Philosophen"
hervor. Seitdem wendete er sich immer bestimmter der Geschichte
zu. Früh zeigte er eine starke Neigung zur Skepsis und Ironie. Die
norddeutsche Derbheit und diese negative Richtung ist ihm geblieben,
obgleich im Jahre 4810 ein Umschlag in seinem inneren Leben er¬
folgte. „Es ward mir eine neue Seite des menschlichen Lebens ge¬
zeigt", schreibt er, „ich hörte auf, an allem wahrhaft Menschlichen zu
zweifeln. Der Adel der menschlichen Seele, an den ich nicht mehr
geglaubt hatte, und den ich nur in der Dichtung zu finden meinte,
zeigte sich mir im äußeren Verkehr. Die idealischen Träume meiner
Jugend von Freundschaft und wahrem Leben schienen mir kein eitler
Wahn mehr, und ich gewann neuen Muth für den Kampf mit der Ge<
meinheit. Ich ward eingeweiht in die Geheimnisse schöner Seelen,
die der Haufen auch nicht einmal ahnt, und lernte mich meiner selbst
schämen." Erst spät wurde er öffentlicher Lehrer an einer Schule,
dann am Lyceum in Frankfurt, endlich auch Stadtbibliothekar da¬
selbst. Drei Rufe an die Universitäten''Heidelberg, Jena und Mar¬
burg lehnte er ab, bis er 1817 doch nach Heidelberg an des nach
Berlin übersiedelnden Wilkens Stelle als ordentlicher Professor der
Geschichte abging. Seitdem hat er beinahe dreißig Jahre als aka¬
demischer Lehrer gewirkt. Die edelsten Jünglinge aus allen Gauen
Deutschlands haben zu seinen Füßen gesessen, sind durch ihn in das
Studium der Geschichte eingeführt worden, haben aus seinen Worten
Ansichten sür's Leben, aus seinen Gesinnungen Kraft zu einem hin¬
gebenden Wirken geschöpft. Dem Schreiber dieser Zeilen, einem der
vielen unbedeutenden Lehrer der Geschichte, war es nicht vergönnt,
in Heidelberg unter Schlosser seine Studien zu machen, aber er hörte
ihn wenigstens eine Stunde über englische Geschichte sprechen im
Sommer 1842 und fand da ein solches Ueberschauen aller Verhält¬
nisse, die Klarheit des Blickes, die Körnigkeit des Ausdrucks und
jene Wärme einer festen Ueberzeugung, die unauslöschliche Spuren
in der Seele der Zuhörer zurückläßt. Außer dem Katheder erlangte
er einen großen Einfluß durch seine Kritiken in den Heidelberger
Jahrbüchern der Literatur. In ihnen focht er als ein treuer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/201>, abgerufen am 01.09.2024.