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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Fragen Sie nur nach den einzelnen Ziffern, nach Gerichtspflege, nach
dem Stand der Wissenschaft, der Industrie, der Kunst, so dürften
Sie die Antwort leicht ahnen. Die Gerichtspflege ist nicht langsam
und scrupulöö. Dies beweisen die zahllosen Haufen von Galeeren-
züchtlingen, die man mit ihren pittoresken gelben und rochen Jacken, mit
ihrem melodischen Kettengerasscl, mit der pompösen Begleitung von
Soldaten mit geladenem Gewehr in jeder Straße Neapels arbeiten
sieht. Oft wird auch der allzugroßen Ueberfüllung der Gefängnisse
mit den dadurch entstehenden Nachtheilen für die Gesundheit der Ver¬
urteilte" durch eine runde Zahl von Hinrichtungen energisch abgehol¬
fen. Dn! König, der, wie bekannt, früher ein Gegner der Todesstrafe
gewesen, ist nun von dieser Ansicht zurückgekommen, und dem Gericht
kommt es jetzt auf ein Dutzend Füselirungen mehr oder weniger nicht
an, wie ja das Beispiel der beiden unglücklichen, tollköpfiger, aber
blutjungen und ohnmächtigen Bandieras und ihrer Gefährten bewie¬
sen hat, die selbst Oesterreich nicht hätte hinrichten lassen, wenn sie
ihm in die Hände gefallen wären. Allerdings ist unter den Galeeren¬
sträflingen zum wenigsten der vierte Mann -- Dank sei es dem vor¬
trefflichen, unter dem Schutze der Religion geleiteten Volksunterricht
-- ein Mörder, indessen sind es nicht gewöhnliche Räuber, sondern
meist solche Menschen, die in einer freundschaftlichen Discussion mit
ihren Freunden, mit ihrer Geliebten, oft auch mit ihren Eltern, die¬
sen einen Messerstich versetzten, was allerdings nicht sehr christlich,
weil ja die Ermordeten ohne Beichte in's jenseitige Leben gehen. Al¬
lerdings hat die Weisheit der inneren Verwaltung bereits den für
unsere Zeit so merkwürdigen Fortschritt gethan, daß man annehmen
kann, es befinden sich gegenwärtig in Neapel blos fünfzehntau¬
send Menschen, die kein Obdach haben und Nachts unter freiem
Himmel schlafen, während die Ja-Hi dieser Obdachlosen vor mehreren
Jahren das Doppelte betrug. Hier findet sich zugleich ein Fingerzeig
für die industriellen Zustande des Landes. Würde das Gouvernement
der weisen Friedenspolitik folgen, die jeder aufgeklärte Staat unserer
Zeit als das beste Mittel zur Hebung der materiellen und moralischen
Kraft der Staatsgenossen erkennt, würde es nicht durch unvernünf¬
tige Jolle Handel und Gewerbe lahmen, würde es die gehörige Frei¬
heit und Aufmunterung zur Errichtung von Fabriken und Gcwerks-
statten größerer Art geben, so würden die hunderttausend Taugenichtse
Neapels, welche den poetischen Titel Lazzaroni führen und aus deren
Mitte die Verbrecher der scheußlichsten Art hervorgehen, bald zu einem
thätigen Leben verlockt werden, und die Aussicht auf einen anständi¬
gen Lohn, auf bürgerliche Achtung und Behaglichkeit würde allmälig
die thierische Faulheit und das bittere s-er nivnte verdrängen. Welch
ein Staat könnte dieses Königreich beider Sizilien unter einer ver¬
nünftigen Administration werden! Hier, wo die Natur so verschwen-


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Fragen Sie nur nach den einzelnen Ziffern, nach Gerichtspflege, nach
dem Stand der Wissenschaft, der Industrie, der Kunst, so dürften
Sie die Antwort leicht ahnen. Die Gerichtspflege ist nicht langsam
und scrupulöö. Dies beweisen die zahllosen Haufen von Galeeren-
züchtlingen, die man mit ihren pittoresken gelben und rochen Jacken, mit
ihrem melodischen Kettengerasscl, mit der pompösen Begleitung von
Soldaten mit geladenem Gewehr in jeder Straße Neapels arbeiten
sieht. Oft wird auch der allzugroßen Ueberfüllung der Gefängnisse
mit den dadurch entstehenden Nachtheilen für die Gesundheit der Ver¬
urteilte» durch eine runde Zahl von Hinrichtungen energisch abgehol¬
fen. Dn! König, der, wie bekannt, früher ein Gegner der Todesstrafe
gewesen, ist nun von dieser Ansicht zurückgekommen, und dem Gericht
kommt es jetzt auf ein Dutzend Füselirungen mehr oder weniger nicht
an, wie ja das Beispiel der beiden unglücklichen, tollköpfiger, aber
blutjungen und ohnmächtigen Bandieras und ihrer Gefährten bewie¬
sen hat, die selbst Oesterreich nicht hätte hinrichten lassen, wenn sie
ihm in die Hände gefallen wären. Allerdings ist unter den Galeeren¬
sträflingen zum wenigsten der vierte Mann — Dank sei es dem vor¬
trefflichen, unter dem Schutze der Religion geleiteten Volksunterricht
— ein Mörder, indessen sind es nicht gewöhnliche Räuber, sondern
meist solche Menschen, die in einer freundschaftlichen Discussion mit
ihren Freunden, mit ihrer Geliebten, oft auch mit ihren Eltern, die¬
sen einen Messerstich versetzten, was allerdings nicht sehr christlich,
weil ja die Ermordeten ohne Beichte in's jenseitige Leben gehen. Al¬
lerdings hat die Weisheit der inneren Verwaltung bereits den für
unsere Zeit so merkwürdigen Fortschritt gethan, daß man annehmen
kann, es befinden sich gegenwärtig in Neapel blos fünfzehntau¬
send Menschen, die kein Obdach haben und Nachts unter freiem
Himmel schlafen, während die Ja-Hi dieser Obdachlosen vor mehreren
Jahren das Doppelte betrug. Hier findet sich zugleich ein Fingerzeig
für die industriellen Zustande des Landes. Würde das Gouvernement
der weisen Friedenspolitik folgen, die jeder aufgeklärte Staat unserer
Zeit als das beste Mittel zur Hebung der materiellen und moralischen
Kraft der Staatsgenossen erkennt, würde es nicht durch unvernünf¬
tige Jolle Handel und Gewerbe lahmen, würde es die gehörige Frei¬
heit und Aufmunterung zur Errichtung von Fabriken und Gcwerks-
statten größerer Art geben, so würden die hunderttausend Taugenichtse
Neapels, welche den poetischen Titel Lazzaroni führen und aus deren
Mitte die Verbrecher der scheußlichsten Art hervorgehen, bald zu einem
thätigen Leben verlockt werden, und die Aussicht auf einen anständi¬
gen Lohn, auf bürgerliche Achtung und Behaglichkeit würde allmälig
die thierische Faulheit und das bittere s-er nivnte verdrängen. Welch
ein Staat könnte dieses Königreich beider Sizilien unter einer ver¬
nünftigen Administration werden! Hier, wo die Natur so verschwen-


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[0183] Fragen Sie nur nach den einzelnen Ziffern, nach Gerichtspflege, nach dem Stand der Wissenschaft, der Industrie, der Kunst, so dürften Sie die Antwort leicht ahnen. Die Gerichtspflege ist nicht langsam und scrupulöö. Dies beweisen die zahllosen Haufen von Galeeren- züchtlingen, die man mit ihren pittoresken gelben und rochen Jacken, mit ihrem melodischen Kettengerasscl, mit der pompösen Begleitung von Soldaten mit geladenem Gewehr in jeder Straße Neapels arbeiten sieht. Oft wird auch der allzugroßen Ueberfüllung der Gefängnisse mit den dadurch entstehenden Nachtheilen für die Gesundheit der Ver¬ urteilte» durch eine runde Zahl von Hinrichtungen energisch abgehol¬ fen. Dn! König, der, wie bekannt, früher ein Gegner der Todesstrafe gewesen, ist nun von dieser Ansicht zurückgekommen, und dem Gericht kommt es jetzt auf ein Dutzend Füselirungen mehr oder weniger nicht an, wie ja das Beispiel der beiden unglücklichen, tollköpfiger, aber blutjungen und ohnmächtigen Bandieras und ihrer Gefährten bewie¬ sen hat, die selbst Oesterreich nicht hätte hinrichten lassen, wenn sie ihm in die Hände gefallen wären. Allerdings ist unter den Galeeren¬ sträflingen zum wenigsten der vierte Mann — Dank sei es dem vor¬ trefflichen, unter dem Schutze der Religion geleiteten Volksunterricht — ein Mörder, indessen sind es nicht gewöhnliche Räuber, sondern meist solche Menschen, die in einer freundschaftlichen Discussion mit ihren Freunden, mit ihrer Geliebten, oft auch mit ihren Eltern, die¬ sen einen Messerstich versetzten, was allerdings nicht sehr christlich, weil ja die Ermordeten ohne Beichte in's jenseitige Leben gehen. Al¬ lerdings hat die Weisheit der inneren Verwaltung bereits den für unsere Zeit so merkwürdigen Fortschritt gethan, daß man annehmen kann, es befinden sich gegenwärtig in Neapel blos fünfzehntau¬ send Menschen, die kein Obdach haben und Nachts unter freiem Himmel schlafen, während die Ja-Hi dieser Obdachlosen vor mehreren Jahren das Doppelte betrug. Hier findet sich zugleich ein Fingerzeig für die industriellen Zustande des Landes. Würde das Gouvernement der weisen Friedenspolitik folgen, die jeder aufgeklärte Staat unserer Zeit als das beste Mittel zur Hebung der materiellen und moralischen Kraft der Staatsgenossen erkennt, würde es nicht durch unvernünf¬ tige Jolle Handel und Gewerbe lahmen, würde es die gehörige Frei¬ heit und Aufmunterung zur Errichtung von Fabriken und Gcwerks- statten größerer Art geben, so würden die hunderttausend Taugenichtse Neapels, welche den poetischen Titel Lazzaroni führen und aus deren Mitte die Verbrecher der scheußlichsten Art hervorgehen, bald zu einem thätigen Leben verlockt werden, und die Aussicht auf einen anständi¬ gen Lohn, auf bürgerliche Achtung und Behaglichkeit würde allmälig die thierische Faulheit und das bittere s-er nivnte verdrängen. Welch ein Staat könnte dieses Königreich beider Sizilien unter einer ver¬ nünftigen Administration werden! Hier, wo die Natur so verschwen- 23»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/183>, abgerufen am 01.09.2024.