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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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derisch die leiseste Anstrengung der Menschen lohnt! Und doch gibt
eS, mit Ausnahme Irlands, kein Land der Welt, wo die Blöße der
Armuth, der Bettelstand und die blödsinnigste Verwahrlosung des
Körpers, wie des Geistes so nackt und schamlos auf der Straße liegt.
Bei einer solchen Verwaltung ist es allerdings ein menschlicher Zug
der Regierung, daß sie so wenig für Schulen, Unterricht und Auf¬
klärung unter dem Volke sorgt, ja augenscheinlich es davon entfernt
halt. Denn wie herzzerreißend wäre es, wenn dieses Volk zur Er¬
kenntniß käme, wenn es in den Apfel beißen würde, der ihm die Au¬
gen öffnete über seine Nacktheit, über die unbedeckte Scham, mit wel¬
cher es unter den übrigen civilisirten Völkern einhergeht.

Dieses Erwachen, diese Erkenntniß ist es auch, was man am
meisten fürchtet, dies ist es, was die Versuche einer Hand voll Mal¬
contenten, die in Malta oder sonst wo machtlos Freiheitspläne träu¬
men, so furchtbar macht, obgleich in Neapel selbst, d. h. im König¬
reich wie in der Hauptstadt kein Anzeichen von politischer Regsamkeit
sich vorfindet. Aber es ist vulkanischer Boden. Diese müßigen
Volkshaufen, leicht erregt, leichtgläubig, beutesüchtig, stehen zu jeder
Stunde dem zu Gebote, der ihre Leidenschaft zu schütteln weiß. Ein
Funke in diese Pulverkammer, und sie fliegt auf. Darum liegen vor
dem Palaste des Königs, dessen Hinterchore dicht am Rande des
Meeres sich befinden, stets acht treffliche Dachten bereit; bei dem er¬
sten Zeichen von Gefahr befindet sich die königliche Familie in Sicher¬
heit. Darum wurden Feste wie das Piedegrottefest veranstaltet, wo
der König (erst vorigen Sonntag) Musterung über dreißigtausend
Mann Truppen in Mitte der Stadt hält und das ganze Arsenal von
Feuerschlünden vor den Augen des Volkes mehrere Mal auf- und ab¬
geführt wird. Das Militär! Das ist der Glanzpunkt der neapolitanischen
Staatsverwaltung, die Lieblingsschöpfung des Königs. Dieser Staat,
der in seiner innern Entwicklung noch so unfertig ist, dessen zahlreiche
Bevölkerung der Regierung, welche die müßigen Hände nicht zu be¬
schäftigen weiß, eher wie eine Last als wie ein Reichthum erscheint,
dieser Staat hält eine Armee auf den Beinen, so stark, so trefflich
ausgerüstet und exercirt, so schlagfertig, als sollte sie jeden Tag auf
einen Eroberungskrieg ausziehen, um neues Land.dem Arbeiter, neue
Ausfuhrcanäle dem Handel zu gewinnen. Werfen wir einen Blick
auf die politische Stellung dieses Staats, so finden wir ihn von zwei
Polen gleichmäßig angezogen und abgestoßen: Oesterreich und Frank¬
reich. Wie einst Italien in Guelfen und Ghibellinen getheilt war, so
bekämpfen sich jetzt die beiden großen Nachbarstaaten um ihren Ein¬
fluß. In Oberitalien ist Oesterreich, dessen Herrscherdynastie in Seiten¬
linien auf dem Throne von Toskana, Modena, Parma sitzt, der treue
Beschützer des heiligen Stuhls, unzweideutig in seinem Einfluß über¬
wiegend; weniger sicher ist er seiner Sache bei dem sardinischen und


derisch die leiseste Anstrengung der Menschen lohnt! Und doch gibt
eS, mit Ausnahme Irlands, kein Land der Welt, wo die Blöße der
Armuth, der Bettelstand und die blödsinnigste Verwahrlosung des
Körpers, wie des Geistes so nackt und schamlos auf der Straße liegt.
Bei einer solchen Verwaltung ist es allerdings ein menschlicher Zug
der Regierung, daß sie so wenig für Schulen, Unterricht und Auf¬
klärung unter dem Volke sorgt, ja augenscheinlich es davon entfernt
halt. Denn wie herzzerreißend wäre es, wenn dieses Volk zur Er¬
kenntniß käme, wenn es in den Apfel beißen würde, der ihm die Au¬
gen öffnete über seine Nacktheit, über die unbedeckte Scham, mit wel¬
cher es unter den übrigen civilisirten Völkern einhergeht.

Dieses Erwachen, diese Erkenntniß ist es auch, was man am
meisten fürchtet, dies ist es, was die Versuche einer Hand voll Mal¬
contenten, die in Malta oder sonst wo machtlos Freiheitspläne träu¬
men, so furchtbar macht, obgleich in Neapel selbst, d. h. im König¬
reich wie in der Hauptstadt kein Anzeichen von politischer Regsamkeit
sich vorfindet. Aber es ist vulkanischer Boden. Diese müßigen
Volkshaufen, leicht erregt, leichtgläubig, beutesüchtig, stehen zu jeder
Stunde dem zu Gebote, der ihre Leidenschaft zu schütteln weiß. Ein
Funke in diese Pulverkammer, und sie fliegt auf. Darum liegen vor
dem Palaste des Königs, dessen Hinterchore dicht am Rande des
Meeres sich befinden, stets acht treffliche Dachten bereit; bei dem er¬
sten Zeichen von Gefahr befindet sich die königliche Familie in Sicher¬
heit. Darum wurden Feste wie das Piedegrottefest veranstaltet, wo
der König (erst vorigen Sonntag) Musterung über dreißigtausend
Mann Truppen in Mitte der Stadt hält und das ganze Arsenal von
Feuerschlünden vor den Augen des Volkes mehrere Mal auf- und ab¬
geführt wird. Das Militär! Das ist der Glanzpunkt der neapolitanischen
Staatsverwaltung, die Lieblingsschöpfung des Königs. Dieser Staat,
der in seiner innern Entwicklung noch so unfertig ist, dessen zahlreiche
Bevölkerung der Regierung, welche die müßigen Hände nicht zu be¬
schäftigen weiß, eher wie eine Last als wie ein Reichthum erscheint,
dieser Staat hält eine Armee auf den Beinen, so stark, so trefflich
ausgerüstet und exercirt, so schlagfertig, als sollte sie jeden Tag auf
einen Eroberungskrieg ausziehen, um neues Land.dem Arbeiter, neue
Ausfuhrcanäle dem Handel zu gewinnen. Werfen wir einen Blick
auf die politische Stellung dieses Staats, so finden wir ihn von zwei
Polen gleichmäßig angezogen und abgestoßen: Oesterreich und Frank¬
reich. Wie einst Italien in Guelfen und Ghibellinen getheilt war, so
bekämpfen sich jetzt die beiden großen Nachbarstaaten um ihren Ein¬
fluß. In Oberitalien ist Oesterreich, dessen Herrscherdynastie in Seiten¬
linien auf dem Throne von Toskana, Modena, Parma sitzt, der treue
Beschützer des heiligen Stuhls, unzweideutig in seinem Einfluß über¬
wiegend; weniger sicher ist er seiner Sache bei dem sardinischen und


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[0184] derisch die leiseste Anstrengung der Menschen lohnt! Und doch gibt eS, mit Ausnahme Irlands, kein Land der Welt, wo die Blöße der Armuth, der Bettelstand und die blödsinnigste Verwahrlosung des Körpers, wie des Geistes so nackt und schamlos auf der Straße liegt. Bei einer solchen Verwaltung ist es allerdings ein menschlicher Zug der Regierung, daß sie so wenig für Schulen, Unterricht und Auf¬ klärung unter dem Volke sorgt, ja augenscheinlich es davon entfernt halt. Denn wie herzzerreißend wäre es, wenn dieses Volk zur Er¬ kenntniß käme, wenn es in den Apfel beißen würde, der ihm die Au¬ gen öffnete über seine Nacktheit, über die unbedeckte Scham, mit wel¬ cher es unter den übrigen civilisirten Völkern einhergeht. Dieses Erwachen, diese Erkenntniß ist es auch, was man am meisten fürchtet, dies ist es, was die Versuche einer Hand voll Mal¬ contenten, die in Malta oder sonst wo machtlos Freiheitspläne träu¬ men, so furchtbar macht, obgleich in Neapel selbst, d. h. im König¬ reich wie in der Hauptstadt kein Anzeichen von politischer Regsamkeit sich vorfindet. Aber es ist vulkanischer Boden. Diese müßigen Volkshaufen, leicht erregt, leichtgläubig, beutesüchtig, stehen zu jeder Stunde dem zu Gebote, der ihre Leidenschaft zu schütteln weiß. Ein Funke in diese Pulverkammer, und sie fliegt auf. Darum liegen vor dem Palaste des Königs, dessen Hinterchore dicht am Rande des Meeres sich befinden, stets acht treffliche Dachten bereit; bei dem er¬ sten Zeichen von Gefahr befindet sich die königliche Familie in Sicher¬ heit. Darum wurden Feste wie das Piedegrottefest veranstaltet, wo der König (erst vorigen Sonntag) Musterung über dreißigtausend Mann Truppen in Mitte der Stadt hält und das ganze Arsenal von Feuerschlünden vor den Augen des Volkes mehrere Mal auf- und ab¬ geführt wird. Das Militär! Das ist der Glanzpunkt der neapolitanischen Staatsverwaltung, die Lieblingsschöpfung des Königs. Dieser Staat, der in seiner innern Entwicklung noch so unfertig ist, dessen zahlreiche Bevölkerung der Regierung, welche die müßigen Hände nicht zu be¬ schäftigen weiß, eher wie eine Last als wie ein Reichthum erscheint, dieser Staat hält eine Armee auf den Beinen, so stark, so trefflich ausgerüstet und exercirt, so schlagfertig, als sollte sie jeden Tag auf einen Eroberungskrieg ausziehen, um neues Land.dem Arbeiter, neue Ausfuhrcanäle dem Handel zu gewinnen. Werfen wir einen Blick auf die politische Stellung dieses Staats, so finden wir ihn von zwei Polen gleichmäßig angezogen und abgestoßen: Oesterreich und Frank¬ reich. Wie einst Italien in Guelfen und Ghibellinen getheilt war, so bekämpfen sich jetzt die beiden großen Nachbarstaaten um ihren Ein¬ fluß. In Oberitalien ist Oesterreich, dessen Herrscherdynastie in Seiten¬ linien auf dem Throne von Toskana, Modena, Parma sitzt, der treue Beschützer des heiligen Stuhls, unzweideutig in seinem Einfluß über¬ wiegend; weniger sicher ist er seiner Sache bei dem sardinischen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/184>, abgerufen am 01.09.2024.