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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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für die übrigen Schlafliedcr. Es gibt in Europa der absoluten Mon¬
archien genug, wo die Politik! das letzte Thema der öffentlichen Unter¬
haltung ist, indessen bei dem immer rüstiger und ausgebreiteter wer¬
denden Jndustriegeist ist der Fabrikant, der Geschäftsmann doch zu
sehr von den politischen Wechselfällen, von den Maßregeln der Regie¬
rung abhängig, um gleichgiltig zusehen zu können. Hier aber, wo
die Industrie in ihrer Kindheit ist, wo die wenigen Fabriken des Lan¬
des in den Handen von Fremden sind, und der Erportarionshandel
meist nur fast ausschließlich aus Naturprodukten besteht, fällt selbst je¬
nes Motiv weg. Die Ignoranz des Mittelstandes, bei dem Lesen
und Schreiben schon zur höheren Wissenschaft gerechnet wird (es gibt
hier reiche Kaufleute, die statt ihres Namens blos drei Kreuze unter¬
zeichnen), die beispiellos hohe Steuer, die auf die Einfuhr von Bü¬
chern aller Art gesetzt ist, machen Bücher und Journale zu einem sel¬
tenen Luxusgegenstand. In den meisten Kaffeehäusern würde man
vergebens nach einer Zeitung fragen, und es ist charakteristisch, daß
selbst im Caso de l'Europe in der Toledostraße, einem der glänzend¬
sten und größten Kaffeehäuser Europas, das stets von dem elegante¬
sten Publicum Neapels überfüllt ist, nur zwei Blätter sich vorfinden.
Und welche? II AmrmUo at-tlo diuo und das Pariser Unter¬
haltungsblatt I'IUustriltion. (Letzteres Blatt stets um zwei Monate
spater, als es in Paris ausgegeben wird!) Nicht einmal Galignani's
Messenger, oder das Journal des Dcbats (letzteres ist verboten), oder
die Augsburger Allgemeine, die man doch sonst in jeder großen Stadt
Italiens trifft, findet sich in einem öffentlichen Locale, und doch ist
die Zahl der hier lebenden Engländer und Franzosen an die achtzig¬
tausend. Die Fremden nehmen meist ihre Zuflucht zu ihren respec-
tiven Gesandtschaften. Wer an das Haus Rothschild Anweisungen
hat, und das ist fast mit allen Deutschen der Fall, findet dort neben
dem Comptoir ein hübsches Eabinet de Lectüre, in welchem die be¬
sten europäischen Journale zur Benutzung für die Fremden aufgelegt
sind, und wo man durch einen Bekannten leicht eingeführt werden
kann, auch wenn man keine Wechsel einzucassiren hat.

Soll ich nun Ihren Lesern einen kurzen Ueberblick der hiesigen
politischen Zustände geben, so befinde ich mich, wie ich glaube, auf
dem besten Wege dazu. Die inländische Politik des Königreichs hat
zwei Nenner: Militärherrschaft und Priesterherrschaft, zwei liebenswür¬
dige Staatselemente in einer Zeit des Friedens und des Fortschritts.
Für den öffentlichen Unterricht sorgen die Geistlichen, deren Zahl in
Neapel allein an vierzigtausend betragt, für die öffentliche Ordnung
sorgt das Militär. Die Polizei ist das verbindende Element zwischen
beiden und leiht bald dieser, bald jener ihren schützenden Arm. So ist
denn der Polizeiminister auch die gewaltigste Person im Staate, um
so mehr, als der König ein unbeschränktes Zutrauen zu ihm ')'"-


für die übrigen Schlafliedcr. Es gibt in Europa der absoluten Mon¬
archien genug, wo die Politik! das letzte Thema der öffentlichen Unter¬
haltung ist, indessen bei dem immer rüstiger und ausgebreiteter wer¬
denden Jndustriegeist ist der Fabrikant, der Geschäftsmann doch zu
sehr von den politischen Wechselfällen, von den Maßregeln der Regie¬
rung abhängig, um gleichgiltig zusehen zu können. Hier aber, wo
die Industrie in ihrer Kindheit ist, wo die wenigen Fabriken des Lan¬
des in den Handen von Fremden sind, und der Erportarionshandel
meist nur fast ausschließlich aus Naturprodukten besteht, fällt selbst je¬
nes Motiv weg. Die Ignoranz des Mittelstandes, bei dem Lesen
und Schreiben schon zur höheren Wissenschaft gerechnet wird (es gibt
hier reiche Kaufleute, die statt ihres Namens blos drei Kreuze unter¬
zeichnen), die beispiellos hohe Steuer, die auf die Einfuhr von Bü¬
chern aller Art gesetzt ist, machen Bücher und Journale zu einem sel¬
tenen Luxusgegenstand. In den meisten Kaffeehäusern würde man
vergebens nach einer Zeitung fragen, und es ist charakteristisch, daß
selbst im Caso de l'Europe in der Toledostraße, einem der glänzend¬
sten und größten Kaffeehäuser Europas, das stets von dem elegante¬
sten Publicum Neapels überfüllt ist, nur zwei Blätter sich vorfinden.
Und welche? II AmrmUo at-tlo diuo und das Pariser Unter¬
haltungsblatt I'IUustriltion. (Letzteres Blatt stets um zwei Monate
spater, als es in Paris ausgegeben wird!) Nicht einmal Galignani's
Messenger, oder das Journal des Dcbats (letzteres ist verboten), oder
die Augsburger Allgemeine, die man doch sonst in jeder großen Stadt
Italiens trifft, findet sich in einem öffentlichen Locale, und doch ist
die Zahl der hier lebenden Engländer und Franzosen an die achtzig¬
tausend. Die Fremden nehmen meist ihre Zuflucht zu ihren respec-
tiven Gesandtschaften. Wer an das Haus Rothschild Anweisungen
hat, und das ist fast mit allen Deutschen der Fall, findet dort neben
dem Comptoir ein hübsches Eabinet de Lectüre, in welchem die be¬
sten europäischen Journale zur Benutzung für die Fremden aufgelegt
sind, und wo man durch einen Bekannten leicht eingeführt werden
kann, auch wenn man keine Wechsel einzucassiren hat.

Soll ich nun Ihren Lesern einen kurzen Ueberblick der hiesigen
politischen Zustände geben, so befinde ich mich, wie ich glaube, auf
dem besten Wege dazu. Die inländische Politik des Königreichs hat
zwei Nenner: Militärherrschaft und Priesterherrschaft, zwei liebenswür¬
dige Staatselemente in einer Zeit des Friedens und des Fortschritts.
Für den öffentlichen Unterricht sorgen die Geistlichen, deren Zahl in
Neapel allein an vierzigtausend betragt, für die öffentliche Ordnung
sorgt das Militär. Die Polizei ist das verbindende Element zwischen
beiden und leiht bald dieser, bald jener ihren schützenden Arm. So ist
denn der Polizeiminister auch die gewaltigste Person im Staate, um
so mehr, als der König ein unbeschränktes Zutrauen zu ihm ')'"-


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[0182] für die übrigen Schlafliedcr. Es gibt in Europa der absoluten Mon¬ archien genug, wo die Politik! das letzte Thema der öffentlichen Unter¬ haltung ist, indessen bei dem immer rüstiger und ausgebreiteter wer¬ denden Jndustriegeist ist der Fabrikant, der Geschäftsmann doch zu sehr von den politischen Wechselfällen, von den Maßregeln der Regie¬ rung abhängig, um gleichgiltig zusehen zu können. Hier aber, wo die Industrie in ihrer Kindheit ist, wo die wenigen Fabriken des Lan¬ des in den Handen von Fremden sind, und der Erportarionshandel meist nur fast ausschließlich aus Naturprodukten besteht, fällt selbst je¬ nes Motiv weg. Die Ignoranz des Mittelstandes, bei dem Lesen und Schreiben schon zur höheren Wissenschaft gerechnet wird (es gibt hier reiche Kaufleute, die statt ihres Namens blos drei Kreuze unter¬ zeichnen), die beispiellos hohe Steuer, die auf die Einfuhr von Bü¬ chern aller Art gesetzt ist, machen Bücher und Journale zu einem sel¬ tenen Luxusgegenstand. In den meisten Kaffeehäusern würde man vergebens nach einer Zeitung fragen, und es ist charakteristisch, daß selbst im Caso de l'Europe in der Toledostraße, einem der glänzend¬ sten und größten Kaffeehäuser Europas, das stets von dem elegante¬ sten Publicum Neapels überfüllt ist, nur zwei Blätter sich vorfinden. Und welche? II AmrmUo at-tlo diuo und das Pariser Unter¬ haltungsblatt I'IUustriltion. (Letzteres Blatt stets um zwei Monate spater, als es in Paris ausgegeben wird!) Nicht einmal Galignani's Messenger, oder das Journal des Dcbats (letzteres ist verboten), oder die Augsburger Allgemeine, die man doch sonst in jeder großen Stadt Italiens trifft, findet sich in einem öffentlichen Locale, und doch ist die Zahl der hier lebenden Engländer und Franzosen an die achtzig¬ tausend. Die Fremden nehmen meist ihre Zuflucht zu ihren respec- tiven Gesandtschaften. Wer an das Haus Rothschild Anweisungen hat, und das ist fast mit allen Deutschen der Fall, findet dort neben dem Comptoir ein hübsches Eabinet de Lectüre, in welchem die be¬ sten europäischen Journale zur Benutzung für die Fremden aufgelegt sind, und wo man durch einen Bekannten leicht eingeführt werden kann, auch wenn man keine Wechsel einzucassiren hat. Soll ich nun Ihren Lesern einen kurzen Ueberblick der hiesigen politischen Zustände geben, so befinde ich mich, wie ich glaube, auf dem besten Wege dazu. Die inländische Politik des Königreichs hat zwei Nenner: Militärherrschaft und Priesterherrschaft, zwei liebenswür¬ dige Staatselemente in einer Zeit des Friedens und des Fortschritts. Für den öffentlichen Unterricht sorgen die Geistlichen, deren Zahl in Neapel allein an vierzigtausend betragt, für die öffentliche Ordnung sorgt das Militär. Die Polizei ist das verbindende Element zwischen beiden und leiht bald dieser, bald jener ihren schützenden Arm. So ist denn der Polizeiminister auch die gewaltigste Person im Staate, um so mehr, als der König ein unbeschränktes Zutrauen zu ihm ')'"-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/182>, abgerufen am 05.12.2024.