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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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An" Neapel.

Bricfgchcimniß, europäische Journale und Gesandtschaften. -- Rothschild'S
Cavinet de Lectüre. Militär- und Priesterherrschaft; Galeerensklaven und
Hinrichtungen. -- Die Industrie Neapels oder das bittere t-ir nivittv. -- Die
Lazzaroni. -- Auswärtige Politik; Guelfen und Ghibellinen. -- Der italieni¬
sche Zollvercinsplan oder Oesterreichs Hegemonie in Italien. -- Französische
Noten. -- Der Herzog von Aumale und seine Braut.

Sie sehen, lieber Kuranda, daß es mir Ernst um mein Verspre¬
chen ist, indem ich schon am zweiten Tage nach Ihrer so plötzlichen
Abreise mein neues Correspondentenamt antrete. Sie haben sich selbst
überzeugt, wie schwer es ist, von hier aus Nachrichten in politische
Blätter zu senden. Fast alle Briefe werden geöffnet, und wenn nicht
große Umwege und Kunstgriffe eingeschlagen werden, so schlüpft keine
Maus unaufgehalten durch die Post. Nicht einmal die französischen
Blatter haben eine Privatcocrcspondenz aus Neapel, das ihnen doch
wichtig genug ist. So klein die Zahl der hier lebenden Deutschen
auch immer ist, so hat man doch bei der Post Jemand, der auch die
deutschen Briefe durchmustert. Die Cabinetscouriere allein bieten ei¬
nen sicheren Weg zur uneröffneten Beförderung, und man muß den
hiesigen Gesandtschaften die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie
sehr gefällig gegen ihre Landsleute sind, die sich nicht in Politik mi¬
schen. Für politische Correspondenzen ist außer der erschwerten Com-
munication auch noch der Nachtheil, daß es hier keine öffentliche Mei¬
nung gibt, weil Niemand über Politik spricht, nicht etwa blos aus
Furcht, sondern aus vollständigem Mangel an Interesse daran. Das
untere Volk, das nicht einmal um sein Hauswesen sich kümmert,
kümmert sich natürlich noch weniger um Staatswesen; in den oberen
Classen ist die Indolenz nicht minder groß, und die Geistlichkeit sorgt


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An« Neapel.

Bricfgchcimniß, europäische Journale und Gesandtschaften. — Rothschild'S
Cavinet de Lectüre. Militär- und Priesterherrschaft; Galeerensklaven und
Hinrichtungen. — Die Industrie Neapels oder das bittere t-ir nivittv. — Die
Lazzaroni. — Auswärtige Politik; Guelfen und Ghibellinen. — Der italieni¬
sche Zollvercinsplan oder Oesterreichs Hegemonie in Italien. — Französische
Noten. — Der Herzog von Aumale und seine Braut.

Sie sehen, lieber Kuranda, daß es mir Ernst um mein Verspre¬
chen ist, indem ich schon am zweiten Tage nach Ihrer so plötzlichen
Abreise mein neues Correspondentenamt antrete. Sie haben sich selbst
überzeugt, wie schwer es ist, von hier aus Nachrichten in politische
Blätter zu senden. Fast alle Briefe werden geöffnet, und wenn nicht
große Umwege und Kunstgriffe eingeschlagen werden, so schlüpft keine
Maus unaufgehalten durch die Post. Nicht einmal die französischen
Blatter haben eine Privatcocrcspondenz aus Neapel, das ihnen doch
wichtig genug ist. So klein die Zahl der hier lebenden Deutschen
auch immer ist, so hat man doch bei der Post Jemand, der auch die
deutschen Briefe durchmustert. Die Cabinetscouriere allein bieten ei¬
nen sicheren Weg zur uneröffneten Beförderung, und man muß den
hiesigen Gesandtschaften die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie
sehr gefällig gegen ihre Landsleute sind, die sich nicht in Politik mi¬
schen. Für politische Correspondenzen ist außer der erschwerten Com-
munication auch noch der Nachtheil, daß es hier keine öffentliche Mei¬
nung gibt, weil Niemand über Politik spricht, nicht etwa blos aus
Furcht, sondern aus vollständigem Mangel an Interesse daran. Das
untere Volk, das nicht einmal um sein Hauswesen sich kümmert,
kümmert sich natürlich noch weniger um Staatswesen; in den oberen
Classen ist die Indolenz nicht minder groß, und die Geistlichkeit sorgt


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[0181] T a g e b u es. An« Neapel. Bricfgchcimniß, europäische Journale und Gesandtschaften. — Rothschild'S Cavinet de Lectüre. Militär- und Priesterherrschaft; Galeerensklaven und Hinrichtungen. — Die Industrie Neapels oder das bittere t-ir nivittv. — Die Lazzaroni. — Auswärtige Politik; Guelfen und Ghibellinen. — Der italieni¬ sche Zollvercinsplan oder Oesterreichs Hegemonie in Italien. — Französische Noten. — Der Herzog von Aumale und seine Braut. Sie sehen, lieber Kuranda, daß es mir Ernst um mein Verspre¬ chen ist, indem ich schon am zweiten Tage nach Ihrer so plötzlichen Abreise mein neues Correspondentenamt antrete. Sie haben sich selbst überzeugt, wie schwer es ist, von hier aus Nachrichten in politische Blätter zu senden. Fast alle Briefe werden geöffnet, und wenn nicht große Umwege und Kunstgriffe eingeschlagen werden, so schlüpft keine Maus unaufgehalten durch die Post. Nicht einmal die französischen Blatter haben eine Privatcocrcspondenz aus Neapel, das ihnen doch wichtig genug ist. So klein die Zahl der hier lebenden Deutschen auch immer ist, so hat man doch bei der Post Jemand, der auch die deutschen Briefe durchmustert. Die Cabinetscouriere allein bieten ei¬ nen sicheren Weg zur uneröffneten Beförderung, und man muß den hiesigen Gesandtschaften die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie sehr gefällig gegen ihre Landsleute sind, die sich nicht in Politik mi¬ schen. Für politische Correspondenzen ist außer der erschwerten Com- munication auch noch der Nachtheil, daß es hier keine öffentliche Mei¬ nung gibt, weil Niemand über Politik spricht, nicht etwa blos aus Furcht, sondern aus vollständigem Mangel an Interesse daran. Das untere Volk, das nicht einmal um sein Hauswesen sich kümmert, kümmert sich natürlich noch weniger um Staatswesen; in den oberen Classen ist die Indolenz nicht minder groß, und die Geistlichkeit sorgt Ärcnzbott» 1«i4- ». HZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/181>, abgerufen am 27.07.2024.