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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Seres Volkes gegen alle die "höheren Interessen" kennt, mögen sie
sich nennen wie sie wollen; wem die Geschichte gezeigt hat, daß die
Sklaverei der Massen noch niemals aufgehoben wurde und wem
durch Beispiele, welche nicht blos England und Frankreich, sondern
selbst Deutschland liefert, die Ueberzeugung sich aufdrängt, daß das
Rechtsbewußtsein im Volke nicht blos ein Schein bleiben, sondern
eine Wirklichkeit werden will, dieser mag wahrlich mit anderen Ge¬
fühlen, als die große Menge, die Räume des Berliner Zeughauses
betreten: der kann seinen Zweifel an dem Frieden der Gegenwart
nicht verbannen. --

Wie kostbar sind diese Goldgespinnste! Wie reizend diese Jac¬
quard-Kleiderzeuge! Wie geschmackvoll sind diese Vasen! Wie fein
gearbeitet diese Terzerolen! diese damascirten Büchsen! Wie sinn¬
reich ist die Einrichtung dieser Perrotinen! So rufen die meisten
Kritiker der Berliner GcwerbeauSstellung! Solche kleine Handwer-
kcrkntik hervorzurufen, ist gewiß nicht der Zweck bei der Einrichtung
unserer ersten deutschen GeWerbeausstellung gewesen. Im Gegentheil,
die GeWerbeausstellung will zeigen, welche Stellung die Industrie
heutzutage einnimmt, und zu Untersuchungen über das Verhältniß der
Industrie zu unserm Volkswohl auffordern Dieser Einladung Folge
zu leisten, und an die wenn auch wenig erfreulichen Resultate der¬
selben immer wieder zu erinnern, scheint uns verdienstlicher, als ein¬
zelne Ausstellungsgegenstände weitläuftig und deklamatorisch zu be¬
wundern!

Es gibt immer noch Leute, welche alle Industrie für ein Un¬
glück, für den Ruin des Volkes erklären und heftiger hassen, als Andere
den Absolutismus oder das Priesterthum. Allerdings hat sie von jenen
Beiden die Kunst gelernt, sich von ihren Opfern noch anjubeln und prei¬
sen zu lassen. Aber darin liegt der große Unterschied zwischen ihnen,
daß sie durchaus eine Tochter der modernen Selbständigkeit deS Gei¬
stes ist. Was die Philosophie in den abstracten Tiefen der Speku¬
lation versucht, das versucht die Industrie in der körperlichen, mate¬
riellen Welt; sie arbeiten Beive für die Befreiung der Menschen, sie
wissen Beide Nichts von übernatürlichen Mächten, sondern geben den
Menschen sich selber zurück und schmücken ihn mit den Attributen sei¬
ner Freiheit. Die Industrie an sich untergräbt gewiß nicht die Frei-


Seres Volkes gegen alle die „höheren Interessen" kennt, mögen sie
sich nennen wie sie wollen; wem die Geschichte gezeigt hat, daß die
Sklaverei der Massen noch niemals aufgehoben wurde und wem
durch Beispiele, welche nicht blos England und Frankreich, sondern
selbst Deutschland liefert, die Ueberzeugung sich aufdrängt, daß das
Rechtsbewußtsein im Volke nicht blos ein Schein bleiben, sondern
eine Wirklichkeit werden will, dieser mag wahrlich mit anderen Ge¬
fühlen, als die große Menge, die Räume des Berliner Zeughauses
betreten: der kann seinen Zweifel an dem Frieden der Gegenwart
nicht verbannen. —

Wie kostbar sind diese Goldgespinnste! Wie reizend diese Jac¬
quard-Kleiderzeuge! Wie geschmackvoll sind diese Vasen! Wie fein
gearbeitet diese Terzerolen! diese damascirten Büchsen! Wie sinn¬
reich ist die Einrichtung dieser Perrotinen! So rufen die meisten
Kritiker der Berliner GcwerbeauSstellung! Solche kleine Handwer-
kcrkntik hervorzurufen, ist gewiß nicht der Zweck bei der Einrichtung
unserer ersten deutschen GeWerbeausstellung gewesen. Im Gegentheil,
die GeWerbeausstellung will zeigen, welche Stellung die Industrie
heutzutage einnimmt, und zu Untersuchungen über das Verhältniß der
Industrie zu unserm Volkswohl auffordern Dieser Einladung Folge
zu leisten, und an die wenn auch wenig erfreulichen Resultate der¬
selben immer wieder zu erinnern, scheint uns verdienstlicher, als ein¬
zelne Ausstellungsgegenstände weitläuftig und deklamatorisch zu be¬
wundern!

Es gibt immer noch Leute, welche alle Industrie für ein Un¬
glück, für den Ruin des Volkes erklären und heftiger hassen, als Andere
den Absolutismus oder das Priesterthum. Allerdings hat sie von jenen
Beiden die Kunst gelernt, sich von ihren Opfern noch anjubeln und prei¬
sen zu lassen. Aber darin liegt der große Unterschied zwischen ihnen,
daß sie durchaus eine Tochter der modernen Selbständigkeit deS Gei¬
stes ist. Was die Philosophie in den abstracten Tiefen der Speku¬
lation versucht, das versucht die Industrie in der körperlichen, mate¬
riellen Welt; sie arbeiten Beive für die Befreiung der Menschen, sie
wissen Beide Nichts von übernatürlichen Mächten, sondern geben den
Menschen sich selber zurück und schmücken ihn mit den Attributen sei¬
ner Freiheit. Die Industrie an sich untergräbt gewiß nicht die Frei-


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[0168] Seres Volkes gegen alle die „höheren Interessen" kennt, mögen sie sich nennen wie sie wollen; wem die Geschichte gezeigt hat, daß die Sklaverei der Massen noch niemals aufgehoben wurde und wem durch Beispiele, welche nicht blos England und Frankreich, sondern selbst Deutschland liefert, die Ueberzeugung sich aufdrängt, daß das Rechtsbewußtsein im Volke nicht blos ein Schein bleiben, sondern eine Wirklichkeit werden will, dieser mag wahrlich mit anderen Ge¬ fühlen, als die große Menge, die Räume des Berliner Zeughauses betreten: der kann seinen Zweifel an dem Frieden der Gegenwart nicht verbannen. — Wie kostbar sind diese Goldgespinnste! Wie reizend diese Jac¬ quard-Kleiderzeuge! Wie geschmackvoll sind diese Vasen! Wie fein gearbeitet diese Terzerolen! diese damascirten Büchsen! Wie sinn¬ reich ist die Einrichtung dieser Perrotinen! So rufen die meisten Kritiker der Berliner GcwerbeauSstellung! Solche kleine Handwer- kcrkntik hervorzurufen, ist gewiß nicht der Zweck bei der Einrichtung unserer ersten deutschen GeWerbeausstellung gewesen. Im Gegentheil, die GeWerbeausstellung will zeigen, welche Stellung die Industrie heutzutage einnimmt, und zu Untersuchungen über das Verhältniß der Industrie zu unserm Volkswohl auffordern Dieser Einladung Folge zu leisten, und an die wenn auch wenig erfreulichen Resultate der¬ selben immer wieder zu erinnern, scheint uns verdienstlicher, als ein¬ zelne Ausstellungsgegenstände weitläuftig und deklamatorisch zu be¬ wundern! Es gibt immer noch Leute, welche alle Industrie für ein Un¬ glück, für den Ruin des Volkes erklären und heftiger hassen, als Andere den Absolutismus oder das Priesterthum. Allerdings hat sie von jenen Beiden die Kunst gelernt, sich von ihren Opfern noch anjubeln und prei¬ sen zu lassen. Aber darin liegt der große Unterschied zwischen ihnen, daß sie durchaus eine Tochter der modernen Selbständigkeit deS Gei¬ stes ist. Was die Philosophie in den abstracten Tiefen der Speku¬ lation versucht, das versucht die Industrie in der körperlichen, mate¬ riellen Welt; sie arbeiten Beive für die Befreiung der Menschen, sie wissen Beide Nichts von übernatürlichen Mächten, sondern geben den Menschen sich selber zurück und schmücken ihn mit den Attributen sei¬ ner Freiheit. Die Industrie an sich untergräbt gewiß nicht die Frei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/168>, abgerufen am 01.09.2024.