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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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reißen. Was hier auseinanderzusetzen ist. überlassen wir Palacky in
seiner trefflichen böhmischen Geschichte, die zugleich in deutscher und
böhmischer Sprache erscheint. Palacky ist kein Ultraczcche"), er ist von
tieferAchtung gegen deutschen Geist und deutsche Bildung erfüllt, und das
Ziel seines Strebens ist kein anderes, als sein Volk wo möglich auf
gleiche rechtliche und geistige Stufe mit dem deutschen zu erheben. Diese
gemäßigte Ansicht würde ihm in der Meinung vieler Enthusiasten schon
geschadet haben, wäre er nicht das Paradepferd, dessen sie nicht ent¬
behren können, um es bei jeder Gelegenheit, wo es sich um böhmi¬
sche Gelehrte handelt, vorzureiten. Seinen und Safarik's Namen
hört man dann überall. Männer von so tiefer Gelehrsamkeit und
wissenschaftlichem Forschungsgeiste sind auch der Leidenschaftlichkeit der
jüngeren Partei fremd, da sie längst das sind, was die Doktrinärs
den Julirevolutionärs. Daß Palacky seine Geschichte zuerst deutsch
herausgab, nehmen ihm die jungen Leute sehr übel. Ihre Lieblinge
sind Kaj. Tyl, ein feuriges, lebensvolles Talent, dessen gesammelte
Werke jetzt erscheinen, und der neuerlich einen Roman: "Der letzte
Czeche" begonnen hat; Hynek MLcha, ein Jüngling, der sich Byron
zum Muster nahm und bei hinreißender Beredsamkeit und poetischem
Schwung doch einen unerquicklichen, trostlosen Eindruck zurückläßt,
Nebesky, Bol. Jablonsky und Andere. Diese, dann Klicpera, Kla-
cel, Fr. Wocel und Andere repräsentiren den Parnaß. Philosophen
sind oder wollen sein Smetana in Pilsen und der originelle Pfarrer
von Libau, Heinrich Marck. Beide haben Compendien geschrieben.
Die großartigste Erscheinung in der Philosophie ist in Böhmen, und-
nicht allein in Böhmen, unstreitig Bolzano, der aber uns Deutschen
durch die Sprache angehört. Diesen großen philosophischen und ma¬
thematischen Geist ignoriren die Czechen, obgleich er in ihrer Mitte
lebt, weil er deutsch schreibt, während sie ihn im Gegenfalle bis in
den Himmel erheben würden. Demungeachtet ist sein Einfluß groß,
und im Wachsen begriffen, vorzüglich durch junge Geistliche; wie denn
in Böhmen überhaupt der Zustand der Geistlichkeit, besonders der
niederen, besser ist, als in anderen österreichischen Ländern. Es gibt
noch immer eine bedeutende Anzahl feuriger junger Leute, die als



ZlieReo
. ") In der Augsburger Allgemeine" behaupte ein deutscher Beurthe-ter
einer Geschichte gerade das Gegentheil. ^ >..

reißen. Was hier auseinanderzusetzen ist. überlassen wir Palacky in
seiner trefflichen böhmischen Geschichte, die zugleich in deutscher und
böhmischer Sprache erscheint. Palacky ist kein Ultraczcche»), er ist von
tieferAchtung gegen deutschen Geist und deutsche Bildung erfüllt, und das
Ziel seines Strebens ist kein anderes, als sein Volk wo möglich auf
gleiche rechtliche und geistige Stufe mit dem deutschen zu erheben. Diese
gemäßigte Ansicht würde ihm in der Meinung vieler Enthusiasten schon
geschadet haben, wäre er nicht das Paradepferd, dessen sie nicht ent¬
behren können, um es bei jeder Gelegenheit, wo es sich um böhmi¬
sche Gelehrte handelt, vorzureiten. Seinen und Safarik's Namen
hört man dann überall. Männer von so tiefer Gelehrsamkeit und
wissenschaftlichem Forschungsgeiste sind auch der Leidenschaftlichkeit der
jüngeren Partei fremd, da sie längst das sind, was die Doktrinärs
den Julirevolutionärs. Daß Palacky seine Geschichte zuerst deutsch
herausgab, nehmen ihm die jungen Leute sehr übel. Ihre Lieblinge
sind Kaj. Tyl, ein feuriges, lebensvolles Talent, dessen gesammelte
Werke jetzt erscheinen, und der neuerlich einen Roman: „Der letzte
Czeche" begonnen hat; Hynek MLcha, ein Jüngling, der sich Byron
zum Muster nahm und bei hinreißender Beredsamkeit und poetischem
Schwung doch einen unerquicklichen, trostlosen Eindruck zurückläßt,
Nebesky, Bol. Jablonsky und Andere. Diese, dann Klicpera, Kla-
cel, Fr. Wocel und Andere repräsentiren den Parnaß. Philosophen
sind oder wollen sein Smetana in Pilsen und der originelle Pfarrer
von Libau, Heinrich Marck. Beide haben Compendien geschrieben.
Die großartigste Erscheinung in der Philosophie ist in Böhmen, und-
nicht allein in Böhmen, unstreitig Bolzano, der aber uns Deutschen
durch die Sprache angehört. Diesen großen philosophischen und ma¬
thematischen Geist ignoriren die Czechen, obgleich er in ihrer Mitte
lebt, weil er deutsch schreibt, während sie ihn im Gegenfalle bis in
den Himmel erheben würden. Demungeachtet ist sein Einfluß groß,
und im Wachsen begriffen, vorzüglich durch junge Geistliche; wie denn
in Böhmen überhaupt der Zustand der Geistlichkeit, besonders der
niederen, besser ist, als in anderen österreichischen Ländern. Es gibt
noch immer eine bedeutende Anzahl feuriger junger Leute, die als



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[0164] reißen. Was hier auseinanderzusetzen ist. überlassen wir Palacky in seiner trefflichen böhmischen Geschichte, die zugleich in deutscher und böhmischer Sprache erscheint. Palacky ist kein Ultraczcche»), er ist von tieferAchtung gegen deutschen Geist und deutsche Bildung erfüllt, und das Ziel seines Strebens ist kein anderes, als sein Volk wo möglich auf gleiche rechtliche und geistige Stufe mit dem deutschen zu erheben. Diese gemäßigte Ansicht würde ihm in der Meinung vieler Enthusiasten schon geschadet haben, wäre er nicht das Paradepferd, dessen sie nicht ent¬ behren können, um es bei jeder Gelegenheit, wo es sich um böhmi¬ sche Gelehrte handelt, vorzureiten. Seinen und Safarik's Namen hört man dann überall. Männer von so tiefer Gelehrsamkeit und wissenschaftlichem Forschungsgeiste sind auch der Leidenschaftlichkeit der jüngeren Partei fremd, da sie längst das sind, was die Doktrinärs den Julirevolutionärs. Daß Palacky seine Geschichte zuerst deutsch herausgab, nehmen ihm die jungen Leute sehr übel. Ihre Lieblinge sind Kaj. Tyl, ein feuriges, lebensvolles Talent, dessen gesammelte Werke jetzt erscheinen, und der neuerlich einen Roman: „Der letzte Czeche" begonnen hat; Hynek MLcha, ein Jüngling, der sich Byron zum Muster nahm und bei hinreißender Beredsamkeit und poetischem Schwung doch einen unerquicklichen, trostlosen Eindruck zurückläßt, Nebesky, Bol. Jablonsky und Andere. Diese, dann Klicpera, Kla- cel, Fr. Wocel und Andere repräsentiren den Parnaß. Philosophen sind oder wollen sein Smetana in Pilsen und der originelle Pfarrer von Libau, Heinrich Marck. Beide haben Compendien geschrieben. Die großartigste Erscheinung in der Philosophie ist in Böhmen, und- nicht allein in Böhmen, unstreitig Bolzano, der aber uns Deutschen durch die Sprache angehört. Diesen großen philosophischen und ma¬ thematischen Geist ignoriren die Czechen, obgleich er in ihrer Mitte lebt, weil er deutsch schreibt, während sie ihn im Gegenfalle bis in den Himmel erheben würden. Demungeachtet ist sein Einfluß groß, und im Wachsen begriffen, vorzüglich durch junge Geistliche; wie denn in Böhmen überhaupt der Zustand der Geistlichkeit, besonders der niederen, besser ist, als in anderen österreichischen Ländern. Es gibt noch immer eine bedeutende Anzahl feuriger junger Leute, die als ZlieReo . ") In der Augsburger Allgemeine» behaupte ein deutscher Beurthe-ter einer Geschichte gerade das Gegentheil. ^ >..

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/164>, abgerufen am 27.07.2024.