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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Seelsorger oder Schriftsteller auf's Heilbringendste wirken und gesunde
Begriffe unter das verwahrloste Landvolk verbreiten. Einer der treff¬
lichsten unter ihnen, Stute, hat neuerlich die unübertroffenen Kinder¬
fabeln von W. Hey in's Böhmische übertragen. Auch haben sich die
böhmischen Geistlichen noch frei erhalten von dem Hegel'schen Un¬
sinn, den sich Anton Günther in christlichen zu verwandeln die ver¬
gebliche Mühe gegeben hat. Indeß dürste dies bald anders werden,
da der jetzige Professor der Dogmatik, ein persönlicher Freund Gün¬
ther's, sehr darauf bedacht ist, seine Begriffe hier heimisch zu machen.
Uebrigens fällt das Treiben der theologischen Universität ganz unter
den Tisch. Man kennt die Professoren kaum dem Namen nach, wäh¬
rend jene anderer Facultäten noch immer einen Lieblingsgegenstand
des Gesprächs ausmachen. Diese Eigenthümlichkeit einer Universitäts¬
stadt besitzt Prag noch immer und viel mehr als andere große
Städte, wo die Hochschule unter der Masse übriger Anstalten ver¬
schwindet. Die Präger haben so viel geistige Regsamkeit, daß die
Lehrmeinungen der Professoren sehr häusig den Vorwurf des Ge¬
sprächs in Gesellschaften bilden, wozu freilich der Umstand, daß die
Studenten den jungen Theil derselben ausmachen, viel beiträgt. Vor
der Hand ist die medicinische Facultät am besten bestellt und lockt
von Jahr zu Jahr mehr Besucher aus den angrenzenden deutschen
und slavischen Ländern herbei. An der philosophischen thut sich
Erner durch Schärfe und Schönheit des Vortrags hervor und hat
sich, für einen österreichischen Professor der Philosophie ein unerhör¬
ter Fall, auch als philosophischer Schriftsteller durch seine Kritik He¬
gel's und seine Fehde mit Rosenkranz einen Namen erworben. Sein
Rival in der Grase der Studenten, der Professor der Physik, H e ß-
ler, ist vor Kurzem nach Wien berufen worden. Eine wichtige
Neuerung ist die bevorstehende Einführung der Privatdocenten. Da¬
durch wird der schroff monarchischen Herrschaft der ordentlichen Pro¬
fessoren ein Ende gemacht, und junge kräftige Männer brauchen ihr
Feuer nicht erst verrauchen zu lassen, bevor sie auf eine Katheder ge-
langen können. Ueberhaupt steht dem ganzen Schulwesen eine
Reform bevor, die bald alle Scribenten über Oesterreich eines ihrer
Licblingsthemas berauben wird.(?) Man spricht von einem ähnlichen
Schulplane, wie der neue baierische ist, den der Benedictiner Rich¬
ter entworfen hat. Ein vortrefflicher Schulplan, den der Professor


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Seelsorger oder Schriftsteller auf's Heilbringendste wirken und gesunde
Begriffe unter das verwahrloste Landvolk verbreiten. Einer der treff¬
lichsten unter ihnen, Stute, hat neuerlich die unübertroffenen Kinder¬
fabeln von W. Hey in's Böhmische übertragen. Auch haben sich die
böhmischen Geistlichen noch frei erhalten von dem Hegel'schen Un¬
sinn, den sich Anton Günther in christlichen zu verwandeln die ver¬
gebliche Mühe gegeben hat. Indeß dürste dies bald anders werden,
da der jetzige Professor der Dogmatik, ein persönlicher Freund Gün¬
ther's, sehr darauf bedacht ist, seine Begriffe hier heimisch zu machen.
Uebrigens fällt das Treiben der theologischen Universität ganz unter
den Tisch. Man kennt die Professoren kaum dem Namen nach, wäh¬
rend jene anderer Facultäten noch immer einen Lieblingsgegenstand
des Gesprächs ausmachen. Diese Eigenthümlichkeit einer Universitäts¬
stadt besitzt Prag noch immer und viel mehr als andere große
Städte, wo die Hochschule unter der Masse übriger Anstalten ver¬
schwindet. Die Präger haben so viel geistige Regsamkeit, daß die
Lehrmeinungen der Professoren sehr häusig den Vorwurf des Ge¬
sprächs in Gesellschaften bilden, wozu freilich der Umstand, daß die
Studenten den jungen Theil derselben ausmachen, viel beiträgt. Vor
der Hand ist die medicinische Facultät am besten bestellt und lockt
von Jahr zu Jahr mehr Besucher aus den angrenzenden deutschen
und slavischen Ländern herbei. An der philosophischen thut sich
Erner durch Schärfe und Schönheit des Vortrags hervor und hat
sich, für einen österreichischen Professor der Philosophie ein unerhör¬
ter Fall, auch als philosophischer Schriftsteller durch seine Kritik He¬
gel's und seine Fehde mit Rosenkranz einen Namen erworben. Sein
Rival in der Grase der Studenten, der Professor der Physik, H e ß-
ler, ist vor Kurzem nach Wien berufen worden. Eine wichtige
Neuerung ist die bevorstehende Einführung der Privatdocenten. Da¬
durch wird der schroff monarchischen Herrschaft der ordentlichen Pro¬
fessoren ein Ende gemacht, und junge kräftige Männer brauchen ihr
Feuer nicht erst verrauchen zu lassen, bevor sie auf eine Katheder ge-
langen können. Ueberhaupt steht dem ganzen Schulwesen eine
Reform bevor, die bald alle Scribenten über Oesterreich eines ihrer
Licblingsthemas berauben wird.(?) Man spricht von einem ähnlichen
Schulplane, wie der neue baierische ist, den der Benedictiner Rich¬
ter entworfen hat. Ein vortrefflicher Schulplan, den der Professor


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[0165] Seelsorger oder Schriftsteller auf's Heilbringendste wirken und gesunde Begriffe unter das verwahrloste Landvolk verbreiten. Einer der treff¬ lichsten unter ihnen, Stute, hat neuerlich die unübertroffenen Kinder¬ fabeln von W. Hey in's Böhmische übertragen. Auch haben sich die böhmischen Geistlichen noch frei erhalten von dem Hegel'schen Un¬ sinn, den sich Anton Günther in christlichen zu verwandeln die ver¬ gebliche Mühe gegeben hat. Indeß dürste dies bald anders werden, da der jetzige Professor der Dogmatik, ein persönlicher Freund Gün¬ ther's, sehr darauf bedacht ist, seine Begriffe hier heimisch zu machen. Uebrigens fällt das Treiben der theologischen Universität ganz unter den Tisch. Man kennt die Professoren kaum dem Namen nach, wäh¬ rend jene anderer Facultäten noch immer einen Lieblingsgegenstand des Gesprächs ausmachen. Diese Eigenthümlichkeit einer Universitäts¬ stadt besitzt Prag noch immer und viel mehr als andere große Städte, wo die Hochschule unter der Masse übriger Anstalten ver¬ schwindet. Die Präger haben so viel geistige Regsamkeit, daß die Lehrmeinungen der Professoren sehr häusig den Vorwurf des Ge¬ sprächs in Gesellschaften bilden, wozu freilich der Umstand, daß die Studenten den jungen Theil derselben ausmachen, viel beiträgt. Vor der Hand ist die medicinische Facultät am besten bestellt und lockt von Jahr zu Jahr mehr Besucher aus den angrenzenden deutschen und slavischen Ländern herbei. An der philosophischen thut sich Erner durch Schärfe und Schönheit des Vortrags hervor und hat sich, für einen österreichischen Professor der Philosophie ein unerhör¬ ter Fall, auch als philosophischer Schriftsteller durch seine Kritik He¬ gel's und seine Fehde mit Rosenkranz einen Namen erworben. Sein Rival in der Grase der Studenten, der Professor der Physik, H e ß- ler, ist vor Kurzem nach Wien berufen worden. Eine wichtige Neuerung ist die bevorstehende Einführung der Privatdocenten. Da¬ durch wird der schroff monarchischen Herrschaft der ordentlichen Pro¬ fessoren ein Ende gemacht, und junge kräftige Männer brauchen ihr Feuer nicht erst verrauchen zu lassen, bevor sie auf eine Katheder ge- langen können. Ueberhaupt steht dem ganzen Schulwesen eine Reform bevor, die bald alle Scribenten über Oesterreich eines ihrer Licblingsthemas berauben wird.(?) Man spricht von einem ähnlichen Schulplane, wie der neue baierische ist, den der Benedictiner Rich¬ ter entworfen hat. Ein vortrefflicher Schulplan, den der Professor Grniztwtc» >>. ZI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/165>, abgerufen am 01.09.2024.