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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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ben, und dieser Bestand ist zuverlässig nur unter zwei Bedingungen
möglich: daß Herr von Holtei weder eins seiner Stücke aufführt, noch
selbst als Acteur auftritt, zwei Bedingungen, denen auszuweichen ihm
bei seinen bekannten Marotten schwer fallen wird, indeß ihm jede
Unvorsichtigkeit nach der einen jener Seiten sofort seine Stellung ver¬
leiden wird. Seit dem Erscheinen der "vierzig Jahre" ist seine Si¬
tuation in unserer Stadt sowohl, als bei dem Theater schwierig ge¬
worden. Wer wird nicht eine Wiederholung pikanter Jndiscretionen,
ein rücksichtsloses Ausplaudern graziöser Liederlichkeiten fürchten? --
Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß wir eine geheime Polizei be¬
sitzen. Das ist ganz in der Ordnung. Das Volk hat immer eine
Meinung, und wenn diese sich nicht öffentlich durch Schrift und Rede
aussprechen darf, so thut sie's im Geheimen, unbehorcht und unbe-
lauscht. Die Regierung muß die Meinung des Volkes kennen, um
ihre Maßnahmen darnach einzurichten. Die öffentlich-geh eine Mei¬
nung kann sie aber nur durch geheime Polizei erfahren, jenes schlechte
und widerliche Surrogat der Preßfreiheit. Früher nahm unser Bür¬
ger kein Blatt vor den Mund und kritisirte frischweg Minister und
Räthe. Jetzt sieht er sich erst zehnmal um, ehe er ein Wort spricht,
und vergißt gewiß nicht, hinzuzusetzen: unter uns gesagt. Vor eini¬
gen Tagen war ich in einem öffentlichen Locale, wo sich viele schlichte
Bürger versammelt hatten. Eine Justizperson sprach sich etwas bit¬
ter gegen eine richterliche Behörde aus. Tags darauf liegt schon die
gehässigste Denunciation auf dem Bureau dieser Behörde. -- Die
hiesigen Bäcker feierten ein Fest in dem Gasthofe zur "goldenen
Gans." Tags darauf weiß unsere Polizei besser, als mancher der
ehrlichen Meister, was die "unruhigen Köpfe" den Junftgenossen in's
Gewissen geredet. -- Vor einigen Tagen trafen die neuen Freilig-
rath'schen Aeitgedichte "Ein Glaubensbekenntniß" betitelt, hier ein.
Ich erinnere mich nicht, daß je eine literarische Erscheinung solche
Wirkung hervorgebracht, als diese Lieder des entpensionirten Dichters.
Herweg!) schlug in die junge Generation gewaltig ein, Freiligrath hat
das ganze deutsche Volk getroffen. Der Schmerz des getäuschten Preu¬
ßen weint aus ihm; er gab dem sarkastischen Patriotismus die lang
entbehrten Worte. Einen Kranz für ihn! --

Der Breslauer Verein gegen das Hutabnehmen fand nach dem
alten Sprichworte, daß ein Narr viele Narren macht, in den Pro-
vinzialstädten Nachahmung. Der Mensch wird erst durch Erfahrung
klug, und so sind denn auch diese Reformers bald zu der Ueberzeug¬
ung gekommen, daß sie ihre verkappten Grundsatze nicht consequent
durchführen können. Die Anwesenheit des Königs brachte ihren Sta¬
tuten zuerst ein bedeutendes Loch bei. Sodann fühlten sie auch die
Gemeinschädlichkeit des Vereins, als ein Dominialbesitzer einen seiner
Eingesessenen wegen der neuen Art des Gcüßens tüchtig durchgeprü-


ben, und dieser Bestand ist zuverlässig nur unter zwei Bedingungen
möglich: daß Herr von Holtei weder eins seiner Stücke aufführt, noch
selbst als Acteur auftritt, zwei Bedingungen, denen auszuweichen ihm
bei seinen bekannten Marotten schwer fallen wird, indeß ihm jede
Unvorsichtigkeit nach der einen jener Seiten sofort seine Stellung ver¬
leiden wird. Seit dem Erscheinen der „vierzig Jahre" ist seine Si¬
tuation in unserer Stadt sowohl, als bei dem Theater schwierig ge¬
worden. Wer wird nicht eine Wiederholung pikanter Jndiscretionen,
ein rücksichtsloses Ausplaudern graziöser Liederlichkeiten fürchten? —
Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß wir eine geheime Polizei be¬
sitzen. Das ist ganz in der Ordnung. Das Volk hat immer eine
Meinung, und wenn diese sich nicht öffentlich durch Schrift und Rede
aussprechen darf, so thut sie's im Geheimen, unbehorcht und unbe-
lauscht. Die Regierung muß die Meinung des Volkes kennen, um
ihre Maßnahmen darnach einzurichten. Die öffentlich-geh eine Mei¬
nung kann sie aber nur durch geheime Polizei erfahren, jenes schlechte
und widerliche Surrogat der Preßfreiheit. Früher nahm unser Bür¬
ger kein Blatt vor den Mund und kritisirte frischweg Minister und
Räthe. Jetzt sieht er sich erst zehnmal um, ehe er ein Wort spricht,
und vergißt gewiß nicht, hinzuzusetzen: unter uns gesagt. Vor eini¬
gen Tagen war ich in einem öffentlichen Locale, wo sich viele schlichte
Bürger versammelt hatten. Eine Justizperson sprach sich etwas bit¬
ter gegen eine richterliche Behörde aus. Tags darauf liegt schon die
gehässigste Denunciation auf dem Bureau dieser Behörde. — Die
hiesigen Bäcker feierten ein Fest in dem Gasthofe zur „goldenen
Gans." Tags darauf weiß unsere Polizei besser, als mancher der
ehrlichen Meister, was die „unruhigen Köpfe" den Junftgenossen in's
Gewissen geredet. — Vor einigen Tagen trafen die neuen Freilig-
rath'schen Aeitgedichte „Ein Glaubensbekenntniß" betitelt, hier ein.
Ich erinnere mich nicht, daß je eine literarische Erscheinung solche
Wirkung hervorgebracht, als diese Lieder des entpensionirten Dichters.
Herweg!) schlug in die junge Generation gewaltig ein, Freiligrath hat
das ganze deutsche Volk getroffen. Der Schmerz des getäuschten Preu¬
ßen weint aus ihm; er gab dem sarkastischen Patriotismus die lang
entbehrten Worte. Einen Kranz für ihn! —

Der Breslauer Verein gegen das Hutabnehmen fand nach dem
alten Sprichworte, daß ein Narr viele Narren macht, in den Pro-
vinzialstädten Nachahmung. Der Mensch wird erst durch Erfahrung
klug, und so sind denn auch diese Reformers bald zu der Ueberzeug¬
ung gekommen, daß sie ihre verkappten Grundsatze nicht consequent
durchführen können. Die Anwesenheit des Königs brachte ihren Sta¬
tuten zuerst ein bedeutendes Loch bei. Sodann fühlten sie auch die
Gemeinschädlichkeit des Vereins, als ein Dominialbesitzer einen seiner
Eingesessenen wegen der neuen Art des Gcüßens tüchtig durchgeprü-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/137>, abgerufen am 01.09.2024.