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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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II.
Aus Bresla u.

Theater. -- "Moliere" in Breslau. -- Holtei als Thcaterdirector. -- Die
öffentlich-geheime Meinung? Denunciationen. -- "Ein Glaubensbekenntnis!"
von Freüigrath- -- Der Berein gegen das Hutabnehmen und die Censur,

Ich versprach Ihnen in meinem letzten Schreiben eine kurze Cha¬
rakteristik unserer Theaterzustände. Jetzt bedauere ich beinahe diese
Voreiligkeit, denn indem ich mich frage, wodurch sich unsere Bühne
wohl von den, übrigen in unserem lieben deutschen Vaterlands unter¬
scheide, finde ich, daß sie im Wesentlichen nicht aus der Art geschla¬
gen ist. Wollte ich also ihre Tugenden und Fehler des Weitern er¬
örtern, so müßte ich die Naturgeschichte der Species abschreiben und
Alles das wiederholen, was im Allgemeinen Wahres und Gründliches
über das deutsche Theaterwesen gesagt worden ist. Ueberdies bin ich
auch der Ansicht, daß das Interesse für diesen Zweig der Kunst: für
die Bretter, welche die Welt bedeuten, in gar keinem Verhältniß
steht mit demjenigen, welches die wirkliche Welt von uns verlangt.
-- Neulich wurde ein schlechtes, aus dem Französischen übersetztes
Stück, "Moliere", gegeben, das aber einige treffliche Reden gegen die
heuchlerische Frömmigkeit und katzenbuckelnde Pictisterei enthielt, die
sich an den Stufen des Thrones einnistet und die Staatsregierung
zu einer Bckehrungspropaganda umformen möchte. Es war gerade
um die Zeit, als ein wichtiges Amt in Schlesien besetzt wurde. Der
Schauspieler Baison sprach jene Reden mit scharfer Acccntuation und
gesundem demokratischen Unwillen. Ich dachte jeden Augenblick: jetzt
geht's los, jetzt erhebt sich der Donner des Beifalls; aber es blieb
still, kein Finger regte sich. Wahrhaftig, ich begreife nicht, warum
stets sechs oder sieben Polizisten in's Theater geschickt werden. Manche
meinen, es geschehe deshalb, um die ungebürstcccn Rothröcke an der
Wohlthat der Volksbildung Theil nehmen zu lassen. Nun, von dem
Benehmen der uniformirten Schüler zu schließen, muß das eine schlechte
Schule sein. -- Ich habe Ihnen bereits gemeldet, daß in dem Re¬
gime unserer Bühne ein wesentlicher Wechsel vor sich gegangen ist.
Herr Or. Rinds, der bisherige Dramaturg und Generalbevollmäch¬
tigte des Direccors, Herrn von Vcierst, ist nach mehrjähriger Wirk¬
samkeit ausgeschieden; und nach dem Scheitern der mit dem Herrn
Dr. Schweitzer wegen der Uebernahme der erledigten Functionen ge¬
führten Unterhandlungen, hat, zu einigem Erstaunen der Stadt, Herr
von Holtei die Stelle überkommen. Wer die theatralischen Fahrnisse
des Herrn von Holtei, dessen Leben sich dadurch auszeichnet, daß "ihm
bisher Alles mißglückt und verunglückt ist, kennt, kann an einen län¬
geren Bestand des von ihm eingegangenen Verhältnisses nicht glau-


II.
Aus Bresla u.

Theater. — „Moliere" in Breslau. — Holtei als Thcaterdirector. — Die
öffentlich-geheime Meinung? Denunciationen. — „Ein Glaubensbekenntnis!"
von Freüigrath- — Der Berein gegen das Hutabnehmen und die Censur,

Ich versprach Ihnen in meinem letzten Schreiben eine kurze Cha¬
rakteristik unserer Theaterzustände. Jetzt bedauere ich beinahe diese
Voreiligkeit, denn indem ich mich frage, wodurch sich unsere Bühne
wohl von den, übrigen in unserem lieben deutschen Vaterlands unter¬
scheide, finde ich, daß sie im Wesentlichen nicht aus der Art geschla¬
gen ist. Wollte ich also ihre Tugenden und Fehler des Weitern er¬
örtern, so müßte ich die Naturgeschichte der Species abschreiben und
Alles das wiederholen, was im Allgemeinen Wahres und Gründliches
über das deutsche Theaterwesen gesagt worden ist. Ueberdies bin ich
auch der Ansicht, daß das Interesse für diesen Zweig der Kunst: für
die Bretter, welche die Welt bedeuten, in gar keinem Verhältniß
steht mit demjenigen, welches die wirkliche Welt von uns verlangt.
— Neulich wurde ein schlechtes, aus dem Französischen übersetztes
Stück, „Moliere", gegeben, das aber einige treffliche Reden gegen die
heuchlerische Frömmigkeit und katzenbuckelnde Pictisterei enthielt, die
sich an den Stufen des Thrones einnistet und die Staatsregierung
zu einer Bckehrungspropaganda umformen möchte. Es war gerade
um die Zeit, als ein wichtiges Amt in Schlesien besetzt wurde. Der
Schauspieler Baison sprach jene Reden mit scharfer Acccntuation und
gesundem demokratischen Unwillen. Ich dachte jeden Augenblick: jetzt
geht's los, jetzt erhebt sich der Donner des Beifalls; aber es blieb
still, kein Finger regte sich. Wahrhaftig, ich begreife nicht, warum
stets sechs oder sieben Polizisten in's Theater geschickt werden. Manche
meinen, es geschehe deshalb, um die ungebürstcccn Rothröcke an der
Wohlthat der Volksbildung Theil nehmen zu lassen. Nun, von dem
Benehmen der uniformirten Schüler zu schließen, muß das eine schlechte
Schule sein. — Ich habe Ihnen bereits gemeldet, daß in dem Re¬
gime unserer Bühne ein wesentlicher Wechsel vor sich gegangen ist.
Herr Or. Rinds, der bisherige Dramaturg und Generalbevollmäch¬
tigte des Direccors, Herrn von Vcierst, ist nach mehrjähriger Wirk¬
samkeit ausgeschieden; und nach dem Scheitern der mit dem Herrn
Dr. Schweitzer wegen der Uebernahme der erledigten Functionen ge¬
führten Unterhandlungen, hat, zu einigem Erstaunen der Stadt, Herr
von Holtei die Stelle überkommen. Wer die theatralischen Fahrnisse
des Herrn von Holtei, dessen Leben sich dadurch auszeichnet, daß »ihm
bisher Alles mißglückt und verunglückt ist, kennt, kann an einen län¬
geren Bestand des von ihm eingegangenen Verhältnisses nicht glau-


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[0136] II. Aus Bresla u. Theater. — „Moliere" in Breslau. — Holtei als Thcaterdirector. — Die öffentlich-geheime Meinung? Denunciationen. — „Ein Glaubensbekenntnis!" von Freüigrath- — Der Berein gegen das Hutabnehmen und die Censur, Ich versprach Ihnen in meinem letzten Schreiben eine kurze Cha¬ rakteristik unserer Theaterzustände. Jetzt bedauere ich beinahe diese Voreiligkeit, denn indem ich mich frage, wodurch sich unsere Bühne wohl von den, übrigen in unserem lieben deutschen Vaterlands unter¬ scheide, finde ich, daß sie im Wesentlichen nicht aus der Art geschla¬ gen ist. Wollte ich also ihre Tugenden und Fehler des Weitern er¬ örtern, so müßte ich die Naturgeschichte der Species abschreiben und Alles das wiederholen, was im Allgemeinen Wahres und Gründliches über das deutsche Theaterwesen gesagt worden ist. Ueberdies bin ich auch der Ansicht, daß das Interesse für diesen Zweig der Kunst: für die Bretter, welche die Welt bedeuten, in gar keinem Verhältniß steht mit demjenigen, welches die wirkliche Welt von uns verlangt. — Neulich wurde ein schlechtes, aus dem Französischen übersetztes Stück, „Moliere", gegeben, das aber einige treffliche Reden gegen die heuchlerische Frömmigkeit und katzenbuckelnde Pictisterei enthielt, die sich an den Stufen des Thrones einnistet und die Staatsregierung zu einer Bckehrungspropaganda umformen möchte. Es war gerade um die Zeit, als ein wichtiges Amt in Schlesien besetzt wurde. Der Schauspieler Baison sprach jene Reden mit scharfer Acccntuation und gesundem demokratischen Unwillen. Ich dachte jeden Augenblick: jetzt geht's los, jetzt erhebt sich der Donner des Beifalls; aber es blieb still, kein Finger regte sich. Wahrhaftig, ich begreife nicht, warum stets sechs oder sieben Polizisten in's Theater geschickt werden. Manche meinen, es geschehe deshalb, um die ungebürstcccn Rothröcke an der Wohlthat der Volksbildung Theil nehmen zu lassen. Nun, von dem Benehmen der uniformirten Schüler zu schließen, muß das eine schlechte Schule sein. — Ich habe Ihnen bereits gemeldet, daß in dem Re¬ gime unserer Bühne ein wesentlicher Wechsel vor sich gegangen ist. Herr Or. Rinds, der bisherige Dramaturg und Generalbevollmäch¬ tigte des Direccors, Herrn von Vcierst, ist nach mehrjähriger Wirk¬ samkeit ausgeschieden; und nach dem Scheitern der mit dem Herrn Dr. Schweitzer wegen der Uebernahme der erledigten Functionen ge¬ führten Unterhandlungen, hat, zu einigem Erstaunen der Stadt, Herr von Holtei die Stelle überkommen. Wer die theatralischen Fahrnisse des Herrn von Holtei, dessen Leben sich dadurch auszeichnet, daß »ihm bisher Alles mißglückt und verunglückt ist, kennt, kann an einen län¬ geren Bestand des von ihm eingegangenen Verhältnisses nicht glau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/136>, abgerufen am 01.09.2024.