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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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haben gute Augen und verstehen uns ziemlich auf die Deutung des
Herzens aus den Zügen des Gesichts. --

Am andern Morgen rief mich Friedrich mit betrübten Mienen
zu seinem Herrn. Er war so eben zurückgekehrt und hatte die trau¬
rigsten Nachrichten von S. mitgebracht. Elise, des Professors Gat¬
tin, war nicht mehr. Eine ansteckende Krankheit hatte sie wenige
Monde nach Robert'S heimlicher Entfernung dahingerafft. Was
aus dem Kinde geworden, konnte Friedrich lange nicht erfahren.
Nur soviel hatte er gehört, daß es von Verwandren aufgenommen
worden sei. Haus und Güter waren schon lange verkauft und über¬
haupt Alles so verändert gewesen, daß der ehrliche Diener fast Nichts
mehr erkannt hatte.

Bei meinem Eintreten fand ich den Professor in einem sehr
Übeln Zustande. Das Haupt hing schlaff auf die Brust herab, und
die Lippe bewegte sich, als murmelte sie dunkle Worte. Ich faßte
seine Hand und sprach: Erhalten Sie Ihr Leben wenigstens noch
Ihrer Tochter; denn die dort oben bedürfen unsrer Liebe und unsrer
Thränen nicht mehr.

Der Schachtelmann erhob ein wenig den Kopf, sah mich weh¬
müthig an und sagte: Wohl wahr! -- allein wird sie mich dort
nicht anklagen, nicht zürnend mir entgegentreten, wenn auch meine
Stunde schlägt? Und hab' ich nicht unrecht an Elisen gehandelt?

-- Wer wollte das glauben, warf ich ein, nicht mit dem irdi¬
schen Maße vergilt der, welcher sein Staubgewand abgeworfen; er
liebt nur und verzeiht.

-- Staub! -- Staub! -- ächzte der Kranke, Du hast mein
Leben vergiftet, hast mein Glück zertrümmert, hast mich zum Frevler
gemacht! --

Eine lange Pause folgte. Endlich drückte der Professor meine
Hand stärker und sprach zu sich selbst: Toni! Toni! wo weilst Du?
wo soll ich Dich finden? -- Herr Doctor, sagte er dann zu mir,
Sie haben sich meiner angenommen, mehr als ich je von den Men¬
schen erwartet hatte. Versagen Sie mir die letzte Bitte nicht. Hel¬
fen Sie mir meine Toni suchen. Ich allein bin zu schwach zu einem
solchen Unternehmen, und doch ist meine Sehnsucht gewachsen alt
meiner Schuld! ach, Sie wissen nicht, was ein Vaterherz leidet,
wenn es nach seinem Kinde verlangt.


haben gute Augen und verstehen uns ziemlich auf die Deutung des
Herzens aus den Zügen des Gesichts. —

Am andern Morgen rief mich Friedrich mit betrübten Mienen
zu seinem Herrn. Er war so eben zurückgekehrt und hatte die trau¬
rigsten Nachrichten von S. mitgebracht. Elise, des Professors Gat¬
tin, war nicht mehr. Eine ansteckende Krankheit hatte sie wenige
Monde nach Robert'S heimlicher Entfernung dahingerafft. Was
aus dem Kinde geworden, konnte Friedrich lange nicht erfahren.
Nur soviel hatte er gehört, daß es von Verwandren aufgenommen
worden sei. Haus und Güter waren schon lange verkauft und über¬
haupt Alles so verändert gewesen, daß der ehrliche Diener fast Nichts
mehr erkannt hatte.

Bei meinem Eintreten fand ich den Professor in einem sehr
Übeln Zustande. Das Haupt hing schlaff auf die Brust herab, und
die Lippe bewegte sich, als murmelte sie dunkle Worte. Ich faßte
seine Hand und sprach: Erhalten Sie Ihr Leben wenigstens noch
Ihrer Tochter; denn die dort oben bedürfen unsrer Liebe und unsrer
Thränen nicht mehr.

Der Schachtelmann erhob ein wenig den Kopf, sah mich weh¬
müthig an und sagte: Wohl wahr! — allein wird sie mich dort
nicht anklagen, nicht zürnend mir entgegentreten, wenn auch meine
Stunde schlägt? Und hab' ich nicht unrecht an Elisen gehandelt?

— Wer wollte das glauben, warf ich ein, nicht mit dem irdi¬
schen Maße vergilt der, welcher sein Staubgewand abgeworfen; er
liebt nur und verzeiht.

— Staub! — Staub! — ächzte der Kranke, Du hast mein
Leben vergiftet, hast mein Glück zertrümmert, hast mich zum Frevler
gemacht! —

Eine lange Pause folgte. Endlich drückte der Professor meine
Hand stärker und sprach zu sich selbst: Toni! Toni! wo weilst Du?
wo soll ich Dich finden? — Herr Doctor, sagte er dann zu mir,
Sie haben sich meiner angenommen, mehr als ich je von den Men¬
schen erwartet hatte. Versagen Sie mir die letzte Bitte nicht. Hel¬
fen Sie mir meine Toni suchen. Ich allein bin zu schwach zu einem
solchen Unternehmen, und doch ist meine Sehnsucht gewachsen alt
meiner Schuld! ach, Sie wissen nicht, was ein Vaterherz leidet,
wenn es nach seinem Kinde verlangt.


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[0122] haben gute Augen und verstehen uns ziemlich auf die Deutung des Herzens aus den Zügen des Gesichts. — Am andern Morgen rief mich Friedrich mit betrübten Mienen zu seinem Herrn. Er war so eben zurückgekehrt und hatte die trau¬ rigsten Nachrichten von S. mitgebracht. Elise, des Professors Gat¬ tin, war nicht mehr. Eine ansteckende Krankheit hatte sie wenige Monde nach Robert'S heimlicher Entfernung dahingerafft. Was aus dem Kinde geworden, konnte Friedrich lange nicht erfahren. Nur soviel hatte er gehört, daß es von Verwandren aufgenommen worden sei. Haus und Güter waren schon lange verkauft und über¬ haupt Alles so verändert gewesen, daß der ehrliche Diener fast Nichts mehr erkannt hatte. Bei meinem Eintreten fand ich den Professor in einem sehr Übeln Zustande. Das Haupt hing schlaff auf die Brust herab, und die Lippe bewegte sich, als murmelte sie dunkle Worte. Ich faßte seine Hand und sprach: Erhalten Sie Ihr Leben wenigstens noch Ihrer Tochter; denn die dort oben bedürfen unsrer Liebe und unsrer Thränen nicht mehr. Der Schachtelmann erhob ein wenig den Kopf, sah mich weh¬ müthig an und sagte: Wohl wahr! — allein wird sie mich dort nicht anklagen, nicht zürnend mir entgegentreten, wenn auch meine Stunde schlägt? Und hab' ich nicht unrecht an Elisen gehandelt? — Wer wollte das glauben, warf ich ein, nicht mit dem irdi¬ schen Maße vergilt der, welcher sein Staubgewand abgeworfen; er liebt nur und verzeiht. — Staub! — Staub! — ächzte der Kranke, Du hast mein Leben vergiftet, hast mein Glück zertrümmert, hast mich zum Frevler gemacht! — Eine lange Pause folgte. Endlich drückte der Professor meine Hand stärker und sprach zu sich selbst: Toni! Toni! wo weilst Du? wo soll ich Dich finden? — Herr Doctor, sagte er dann zu mir, Sie haben sich meiner angenommen, mehr als ich je von den Men¬ schen erwartet hatte. Versagen Sie mir die letzte Bitte nicht. Hel¬ fen Sie mir meine Toni suchen. Ich allein bin zu schwach zu einem solchen Unternehmen, und doch ist meine Sehnsucht gewachsen alt meiner Schuld! ach, Sie wissen nicht, was ein Vaterherz leidet, wenn es nach seinem Kinde verlangt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/122>, abgerufen am 01.09.2024.