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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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mir kein gutes Zeichen. Sie wissen oder ahnen jedoch, wohin ich
ihn gesandt habe?

-- Nein, sagte ich ziemlich kalt.

-- Ich mußte endlich Kunde von meiner Gattin und meiner
Tochter haben. Nicht länger trug ich die Ungewißheit über das Le¬
ben meiner Toni. Seitdem ich mich etwas stärker fühlte und die
Hoffnung auf Genesung lebendiger ward, schrieb ich an Elise den
ersten Brief seit meiner Flucht. Vergib, so schrieb ich^ unter An¬
dern,, vergib mir, theuerste Freundin, was ich an Dir und unserem
Kinde gethan. Ich habe hart und lange dafür gebüßt. Komm wie"
der zurück in meine Arme, an mein Herz, laß das Vergangene,
laß meinen Fehltritt hinsinken in das Meer der Vergessenheit, und
nimm mich wieder auf, wie damals, als ich Dich zuerst fand an
dem Grabe meiner Eltern. Da richtetest Du durch sanfte Güte den
Trauernden auf und küßtest die Thränen von seiner Wange, da
fand ich an Deiner Brust ein schönes, ach nur zu kurzes Glück, um
das ich mich selbst betrogen habe. Darum komm, daß ich unsrer
Toni Lächeln noch einmal sehe, bevor ich sterbe, und ihre Hand mir
freundlich die Augen zudrücken möge. Kommt, Ihr Lieben, ohne
Verzug hierher, wo die heißeste Sehnsucht Euch erwartet. -- Dieses
und noch Manches schrieb ich meiner Frau und gab Friedrich den
gemessensten Befehl, so schnell wie möglich zu reisen. Auch -- fuhr
er nach einer Pause fort -- kann ich Ihnen, lieber Freund, etwas
sagen, was ich Ihnen sonst nicht hätte mittheilen können, und was
Ihnen vielleicht als die Laune eines alten Mannes vorkommen wird.
Ich hatte immer eine besondere Zuneigung zu Ihnen, ich malte Ihr
Bild und hing es neben das meiner Toni; ich dachte, Sie könnten
meiner Toni gut sein, und ich hätte sie Ihnen mit Freuden gegeben.
Jetzt, da es anders gekommen ist, da Sie die Nichte der Frau Forst¬
räthin lieben, kann ich es Ihnen wohl entdecken. Und wahrlich,
Wilhelmine ist ein reizendes, gutes Wesen, ich könnte sie lieben wie
meine Tochter. Sie werden glücklich sein mit ihr. Zürnen Sie nur
einem alten Manne nicht, der so wenig Freude auf Erden gefunden
hat und dem dieser Wunsch so theuer geworden war.

Ich mußte lächeln und bemerkte, daß ich ja noch nicht wisse,
ob meine Neigung von Wilhelminen erwiedert werde? Aber der
Schachtelmann wollte Nichts davon wissen und sagte: Wir Maler


mir kein gutes Zeichen. Sie wissen oder ahnen jedoch, wohin ich
ihn gesandt habe?

— Nein, sagte ich ziemlich kalt.

— Ich mußte endlich Kunde von meiner Gattin und meiner
Tochter haben. Nicht länger trug ich die Ungewißheit über das Le¬
ben meiner Toni. Seitdem ich mich etwas stärker fühlte und die
Hoffnung auf Genesung lebendiger ward, schrieb ich an Elise den
ersten Brief seit meiner Flucht. Vergib, so schrieb ich^ unter An¬
dern,, vergib mir, theuerste Freundin, was ich an Dir und unserem
Kinde gethan. Ich habe hart und lange dafür gebüßt. Komm wie»
der zurück in meine Arme, an mein Herz, laß das Vergangene,
laß meinen Fehltritt hinsinken in das Meer der Vergessenheit, und
nimm mich wieder auf, wie damals, als ich Dich zuerst fand an
dem Grabe meiner Eltern. Da richtetest Du durch sanfte Güte den
Trauernden auf und küßtest die Thränen von seiner Wange, da
fand ich an Deiner Brust ein schönes, ach nur zu kurzes Glück, um
das ich mich selbst betrogen habe. Darum komm, daß ich unsrer
Toni Lächeln noch einmal sehe, bevor ich sterbe, und ihre Hand mir
freundlich die Augen zudrücken möge. Kommt, Ihr Lieben, ohne
Verzug hierher, wo die heißeste Sehnsucht Euch erwartet. — Dieses
und noch Manches schrieb ich meiner Frau und gab Friedrich den
gemessensten Befehl, so schnell wie möglich zu reisen. Auch — fuhr
er nach einer Pause fort — kann ich Ihnen, lieber Freund, etwas
sagen, was ich Ihnen sonst nicht hätte mittheilen können, und was
Ihnen vielleicht als die Laune eines alten Mannes vorkommen wird.
Ich hatte immer eine besondere Zuneigung zu Ihnen, ich malte Ihr
Bild und hing es neben das meiner Toni; ich dachte, Sie könnten
meiner Toni gut sein, und ich hätte sie Ihnen mit Freuden gegeben.
Jetzt, da es anders gekommen ist, da Sie die Nichte der Frau Forst¬
räthin lieben, kann ich es Ihnen wohl entdecken. Und wahrlich,
Wilhelmine ist ein reizendes, gutes Wesen, ich könnte sie lieben wie
meine Tochter. Sie werden glücklich sein mit ihr. Zürnen Sie nur
einem alten Manne nicht, der so wenig Freude auf Erden gefunden
hat und dem dieser Wunsch so theuer geworden war.

Ich mußte lächeln und bemerkte, daß ich ja noch nicht wisse,
ob meine Neigung von Wilhelminen erwiedert werde? Aber der
Schachtelmann wollte Nichts davon wissen und sagte: Wir Maler


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/121>, abgerufen am 01.09.2024.