Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich wollte den Schachtelmann meines Beistandes eben versichern,
als die Thür heftig aufgerissen ward und ein hochgewachsener Mann
hereintrat. So wie er den Professor erblickte, mäßigteer jedoch seine
Schritte, und seine Züge verriethen Wehmuth und Trauer.'

-- Edler Robert, sprach er sanft zu diesem, so führt mich den¬
noch ein günstiger Zufall zu Dir, den ich lange schon als todt be¬
weint habe. -- Es lebe Antwerpen! --

Bei diesen Worten und dem Tone dieser Stimme schrack der
Kranke empor, schaute unsichern Blickes nach dem Fremden, allein
bald strahlte ein Heller Glanz der Freude über sein Gesicht, und er
rief: Wendelin! mein Wendelin! --

-- So kennst Du mich noch? entgegnete dieser, umfaßte den
Schachtelmann und drückte ihn bewegt an seine Brust.

Die beiden Freunde hielten sich lange so umschlungen, und ich
dankte aufrichtig der weisen Fügung des Himmels, welche dem Pro¬
fessor in der Stunde, wo ihm Gattin und Tochter entrissen waren,
den alten lieben Genossen, den Theilnehmer der glücklichen Tage
von Antwerpen wiedergab. Denn auch Toni, so schloß ich, wird
schwerlich wieder aufgefunden werden, und Friedrich hatte ihre Auf¬
nahme bei Verwandten nur erfunden, um den guten Herrn nicht
mit Einem Schlage zu todten. -- .Interessant war es mir, als Arzt
die Wirkungen der Zeit an den beiden Malern zu beobachten, die
an Jahren gleich, doch in Hinsicht auf Haltung und Aussehen des
Körpers so verschieden waren, daß man den Schachtelmann recht
gut Hütte für den Vater Wendelin's halten können. Der Letztere
zeigte noch die deutlichsten Spuren von Kraft und hoher Lebens¬
fülle: seine Wangen waren voll und schön geröthet, seine Stirn ohne
Furchen, seirHHaar noch dicht und braun, und aus den Augen blitzte
Geist und jugendliches Feuer. Wie matt war dagegen Robert's
Blick, wie welk und runzelvoll sein ganzes Gesicht, und die einzelnen
spärlichen Locken erschienen weiß und silbern; seine Haltung war ge¬
bückt und kummervoll, während Wendelin sich hoch und stolz erhob.
Hat ein trauriger Wahn schon so scharfe Stacheln, um ein edles Ge¬
fäß so schnell zu verderben -- dachte ich -- wie muß erst wirkliches
Elend auf Körper und Geist einwirken, den Lebenssaft eintrocknen
und den Menschen sicher und frühe in die Grube stürzen? --

Wendelin erzählte in kurzen Umrissen seine Geschichte seit dem


Ich wollte den Schachtelmann meines Beistandes eben versichern,
als die Thür heftig aufgerissen ward und ein hochgewachsener Mann
hereintrat. So wie er den Professor erblickte, mäßigteer jedoch seine
Schritte, und seine Züge verriethen Wehmuth und Trauer.'

— Edler Robert, sprach er sanft zu diesem, so führt mich den¬
noch ein günstiger Zufall zu Dir, den ich lange schon als todt be¬
weint habe. — Es lebe Antwerpen! —

Bei diesen Worten und dem Tone dieser Stimme schrack der
Kranke empor, schaute unsichern Blickes nach dem Fremden, allein
bald strahlte ein Heller Glanz der Freude über sein Gesicht, und er
rief: Wendelin! mein Wendelin! —

— So kennst Du mich noch? entgegnete dieser, umfaßte den
Schachtelmann und drückte ihn bewegt an seine Brust.

Die beiden Freunde hielten sich lange so umschlungen, und ich
dankte aufrichtig der weisen Fügung des Himmels, welche dem Pro¬
fessor in der Stunde, wo ihm Gattin und Tochter entrissen waren,
den alten lieben Genossen, den Theilnehmer der glücklichen Tage
von Antwerpen wiedergab. Denn auch Toni, so schloß ich, wird
schwerlich wieder aufgefunden werden, und Friedrich hatte ihre Auf¬
nahme bei Verwandten nur erfunden, um den guten Herrn nicht
mit Einem Schlage zu todten. — .Interessant war es mir, als Arzt
die Wirkungen der Zeit an den beiden Malern zu beobachten, die
an Jahren gleich, doch in Hinsicht auf Haltung und Aussehen des
Körpers so verschieden waren, daß man den Schachtelmann recht
gut Hütte für den Vater Wendelin's halten können. Der Letztere
zeigte noch die deutlichsten Spuren von Kraft und hoher Lebens¬
fülle: seine Wangen waren voll und schön geröthet, seine Stirn ohne
Furchen, seirHHaar noch dicht und braun, und aus den Augen blitzte
Geist und jugendliches Feuer. Wie matt war dagegen Robert's
Blick, wie welk und runzelvoll sein ganzes Gesicht, und die einzelnen
spärlichen Locken erschienen weiß und silbern; seine Haltung war ge¬
bückt und kummervoll, während Wendelin sich hoch und stolz erhob.
Hat ein trauriger Wahn schon so scharfe Stacheln, um ein edles Ge¬
fäß so schnell zu verderben -- dachte ich — wie muß erst wirkliches
Elend auf Körper und Geist einwirken, den Lebenssaft eintrocknen
und den Menschen sicher und frühe in die Grube stürzen? —

Wendelin erzählte in kurzen Umrissen seine Geschichte seit dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181307"/>
            <p xml:id="ID_386"> Ich wollte den Schachtelmann meines Beistandes eben versichern,<lb/>
als die Thür heftig aufgerissen ward und ein hochgewachsener Mann<lb/>
hereintrat. So wie er den Professor erblickte, mäßigteer jedoch seine<lb/>
Schritte, und seine Züge verriethen Wehmuth und Trauer.'</p><lb/>
            <p xml:id="ID_387"> &#x2014; Edler Robert, sprach er sanft zu diesem, so führt mich den¬<lb/>
noch ein günstiger Zufall zu Dir, den ich lange schon als todt be¬<lb/>
weint habe. &#x2014;  Es lebe Antwerpen! &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_388"> Bei diesen Worten und dem Tone dieser Stimme schrack der<lb/>
Kranke empor, schaute unsichern Blickes nach dem Fremden, allein<lb/>
bald strahlte ein Heller Glanz der Freude über sein Gesicht, und er<lb/>
rief: Wendelin! mein Wendelin! &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_389"> &#x2014; So kennst Du mich noch? entgegnete dieser, umfaßte den<lb/>
Schachtelmann und drückte ihn bewegt an seine Brust.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_390"> Die beiden Freunde hielten sich lange so umschlungen, und ich<lb/>
dankte aufrichtig der weisen Fügung des Himmels, welche dem Pro¬<lb/>
fessor in der Stunde, wo ihm Gattin und Tochter entrissen waren,<lb/>
den alten lieben Genossen, den Theilnehmer der glücklichen Tage<lb/>
von Antwerpen wiedergab. Denn auch Toni, so schloß ich, wird<lb/>
schwerlich wieder aufgefunden werden, und Friedrich hatte ihre Auf¬<lb/>
nahme bei Verwandten nur erfunden, um den guten Herrn nicht<lb/>
mit Einem Schlage zu todten. &#x2014; .Interessant war es mir, als Arzt<lb/>
die Wirkungen der Zeit an den beiden Malern zu beobachten, die<lb/>
an Jahren gleich, doch in Hinsicht auf Haltung und Aussehen des<lb/>
Körpers so verschieden waren, daß man den Schachtelmann recht<lb/>
gut Hütte für den Vater Wendelin's halten können. Der Letztere<lb/>
zeigte noch die deutlichsten Spuren von Kraft und hoher Lebens¬<lb/>
fülle: seine Wangen waren voll und schön geröthet, seine Stirn ohne<lb/>
Furchen, seirHHaar noch dicht und braun, und aus den Augen blitzte<lb/>
Geist und jugendliches Feuer. Wie matt war dagegen Robert's<lb/>
Blick, wie welk und runzelvoll sein ganzes Gesicht, und die einzelnen<lb/>
spärlichen Locken erschienen weiß und silbern; seine Haltung war ge¬<lb/>
bückt und kummervoll, während Wendelin sich hoch und stolz erhob.<lb/>
Hat ein trauriger Wahn schon so scharfe Stacheln, um ein edles Ge¬<lb/>
fäß so schnell zu verderben -- dachte ich &#x2014; wie muß erst wirkliches<lb/>
Elend auf Körper und Geist einwirken, den Lebenssaft eintrocknen<lb/>
und den Menschen sicher und frühe in die Grube stürzen? &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_391" next="#ID_392"> Wendelin erzählte in kurzen Umrissen seine Geschichte seit dem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0123] Ich wollte den Schachtelmann meines Beistandes eben versichern, als die Thür heftig aufgerissen ward und ein hochgewachsener Mann hereintrat. So wie er den Professor erblickte, mäßigteer jedoch seine Schritte, und seine Züge verriethen Wehmuth und Trauer.' — Edler Robert, sprach er sanft zu diesem, so führt mich den¬ noch ein günstiger Zufall zu Dir, den ich lange schon als todt be¬ weint habe. — Es lebe Antwerpen! — Bei diesen Worten und dem Tone dieser Stimme schrack der Kranke empor, schaute unsichern Blickes nach dem Fremden, allein bald strahlte ein Heller Glanz der Freude über sein Gesicht, und er rief: Wendelin! mein Wendelin! — — So kennst Du mich noch? entgegnete dieser, umfaßte den Schachtelmann und drückte ihn bewegt an seine Brust. Die beiden Freunde hielten sich lange so umschlungen, und ich dankte aufrichtig der weisen Fügung des Himmels, welche dem Pro¬ fessor in der Stunde, wo ihm Gattin und Tochter entrissen waren, den alten lieben Genossen, den Theilnehmer der glücklichen Tage von Antwerpen wiedergab. Denn auch Toni, so schloß ich, wird schwerlich wieder aufgefunden werden, und Friedrich hatte ihre Auf¬ nahme bei Verwandten nur erfunden, um den guten Herrn nicht mit Einem Schlage zu todten. — .Interessant war es mir, als Arzt die Wirkungen der Zeit an den beiden Malern zu beobachten, die an Jahren gleich, doch in Hinsicht auf Haltung und Aussehen des Körpers so verschieden waren, daß man den Schachtelmann recht gut Hütte für den Vater Wendelin's halten können. Der Letztere zeigte noch die deutlichsten Spuren von Kraft und hoher Lebens¬ fülle: seine Wangen waren voll und schön geröthet, seine Stirn ohne Furchen, seirHHaar noch dicht und braun, und aus den Augen blitzte Geist und jugendliches Feuer. Wie matt war dagegen Robert's Blick, wie welk und runzelvoll sein ganzes Gesicht, und die einzelnen spärlichen Locken erschienen weiß und silbern; seine Haltung war ge¬ bückt und kummervoll, während Wendelin sich hoch und stolz erhob. Hat ein trauriger Wahn schon so scharfe Stacheln, um ein edles Ge¬ fäß so schnell zu verderben -- dachte ich — wie muß erst wirkliches Elend auf Körper und Geist einwirken, den Lebenssaft eintrocknen und den Menschen sicher und frühe in die Grube stürzen? — Wendelin erzählte in kurzen Umrissen seine Geschichte seit dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/123
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/123>, abgerufen am 01.09.2024.