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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Halskette ward außerdem noch meinen schaffen Augen für einen Mo¬
ment sichtbar.

Diese, so dachte ich, soll Dir zum Wiedererkennungszeichen die¬
nen und die forsträthlichc Tante zum Führer, da wahrscheinlich meine
Schöne nicht ohne deren Begleitung im Badeorte auftritt. Die Züge
der Tante dagegen waren um so leichter zu unterscheiden und, z"
behalten, da die Nase sich ungebührlich und auf Kosten der anderen
Theile erhob und man eigentlich nur von dieser Nase sprechen konnte,
hätte man ihr Gesicht schildern wollen. --

Der Wagen hielt jetzt vor dem Gasthause zu Schönbrunn. Ich
wollte schnell herausbringen und den Damen beim Aussteigen behilf,
lich sein; allein mein Patient hielt mich bei den Armen fest, winkte
mir bedeutsam mit den Augen und sagte, ängstlich bittend: Herr Doc-
tor, bester Herr Doctor, verlassen Sie mich nicht.

Wohl oder übel mußte ich also bleiben, bis sämmtliche Reisende
den Wagen verlassei, hatten, dann erst wagte sich der Schachtclmann
hervor, lugte bedächtig zur Rechten und Linken und bat mich endlich,
ihn nach dem Zimmer zu führen, wo mich neue Qual und Sorge
traf.

Der Fußboden war nämlich mit Sand bestreut; eine Sitte, die
ich seit dieser Zeit nie habe leiden können, und sonst auch nicht von
ercmplarischer Sauberkeit. Dabei hüpfte und sprang der flinke Kell¬
ner durch die Stube, daß Millionen Staubtheilchen ihm beständig
um die Ohren sausten; und der Sand klirrte und knatterte so schrill
und cigcnchümlich auf den Dielen, daß mein Schachlelmann vor
Angst nicht wußte, wo er hintreten sollte. Er berührte anfangs mit
den Fußspitzen kaum die Erde und hob lie Beine so hoch, als wate
er durch ein tiefes Wasser, wo er jeden Augenblick zu versinken fürchte,
doch endlich sank er ohnmächtig in meine und Friedrich's Arme, und
wir mußten ihn schwebend auf ein Sopha tragen.

Kaum gewahrte dies der Kellner, so lief er wie besessen hin
und her, brachte Riechfläschchen und frisches Wasser, rannte nach dein
Wirthe und dem Brunncnarzte, und alle unsere Bitten und Befehle,
daß er ruhig bleiben, leise auftreten und mit seinem unsinnigen To¬
ben aufhören sollte, waren bei der Sucht, sich recht Hilfteich und
dienstfertig zu zeigen, ganz vergebens. Endlich packte ihn Friedrich
am Kragen, stülpte den Verblüfften ziemlich unsanft die Treppe hinab


Halskette ward außerdem noch meinen schaffen Augen für einen Mo¬
ment sichtbar.

Diese, so dachte ich, soll Dir zum Wiedererkennungszeichen die¬
nen und die forsträthlichc Tante zum Führer, da wahrscheinlich meine
Schöne nicht ohne deren Begleitung im Badeorte auftritt. Die Züge
der Tante dagegen waren um so leichter zu unterscheiden und, z»
behalten, da die Nase sich ungebührlich und auf Kosten der anderen
Theile erhob und man eigentlich nur von dieser Nase sprechen konnte,
hätte man ihr Gesicht schildern wollen. —

Der Wagen hielt jetzt vor dem Gasthause zu Schönbrunn. Ich
wollte schnell herausbringen und den Damen beim Aussteigen behilf,
lich sein; allein mein Patient hielt mich bei den Armen fest, winkte
mir bedeutsam mit den Augen und sagte, ängstlich bittend: Herr Doc-
tor, bester Herr Doctor, verlassen Sie mich nicht.

Wohl oder übel mußte ich also bleiben, bis sämmtliche Reisende
den Wagen verlassei, hatten, dann erst wagte sich der Schachtclmann
hervor, lugte bedächtig zur Rechten und Linken und bat mich endlich,
ihn nach dem Zimmer zu führen, wo mich neue Qual und Sorge
traf.

Der Fußboden war nämlich mit Sand bestreut; eine Sitte, die
ich seit dieser Zeit nie habe leiden können, und sonst auch nicht von
ercmplarischer Sauberkeit. Dabei hüpfte und sprang der flinke Kell¬
ner durch die Stube, daß Millionen Staubtheilchen ihm beständig
um die Ohren sausten; und der Sand klirrte und knatterte so schrill
und cigcnchümlich auf den Dielen, daß mein Schachlelmann vor
Angst nicht wußte, wo er hintreten sollte. Er berührte anfangs mit
den Fußspitzen kaum die Erde und hob lie Beine so hoch, als wate
er durch ein tiefes Wasser, wo er jeden Augenblick zu versinken fürchte,
doch endlich sank er ohnmächtig in meine und Friedrich's Arme, und
wir mußten ihn schwebend auf ein Sopha tragen.

Kaum gewahrte dies der Kellner, so lief er wie besessen hin
und her, brachte Riechfläschchen und frisches Wasser, rannte nach dein
Wirthe und dem Brunncnarzte, und alle unsere Bitten und Befehle,
daß er ruhig bleiben, leise auftreten und mit seinem unsinnigen To¬
ben aufhören sollte, waren bei der Sucht, sich recht Hilfteich und
dienstfertig zu zeigen, ganz vergebens. Endlich packte ihn Friedrich
am Kragen, stülpte den Verblüfften ziemlich unsanft die Treppe hinab


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[0115] Halskette ward außerdem noch meinen schaffen Augen für einen Mo¬ ment sichtbar. Diese, so dachte ich, soll Dir zum Wiedererkennungszeichen die¬ nen und die forsträthlichc Tante zum Führer, da wahrscheinlich meine Schöne nicht ohne deren Begleitung im Badeorte auftritt. Die Züge der Tante dagegen waren um so leichter zu unterscheiden und, z» behalten, da die Nase sich ungebührlich und auf Kosten der anderen Theile erhob und man eigentlich nur von dieser Nase sprechen konnte, hätte man ihr Gesicht schildern wollen. — Der Wagen hielt jetzt vor dem Gasthause zu Schönbrunn. Ich wollte schnell herausbringen und den Damen beim Aussteigen behilf, lich sein; allein mein Patient hielt mich bei den Armen fest, winkte mir bedeutsam mit den Augen und sagte, ängstlich bittend: Herr Doc- tor, bester Herr Doctor, verlassen Sie mich nicht. Wohl oder übel mußte ich also bleiben, bis sämmtliche Reisende den Wagen verlassei, hatten, dann erst wagte sich der Schachtclmann hervor, lugte bedächtig zur Rechten und Linken und bat mich endlich, ihn nach dem Zimmer zu führen, wo mich neue Qual und Sorge traf. Der Fußboden war nämlich mit Sand bestreut; eine Sitte, die ich seit dieser Zeit nie habe leiden können, und sonst auch nicht von ercmplarischer Sauberkeit. Dabei hüpfte und sprang der flinke Kell¬ ner durch die Stube, daß Millionen Staubtheilchen ihm beständig um die Ohren sausten; und der Sand klirrte und knatterte so schrill und cigcnchümlich auf den Dielen, daß mein Schachlelmann vor Angst nicht wußte, wo er hintreten sollte. Er berührte anfangs mit den Fußspitzen kaum die Erde und hob lie Beine so hoch, als wate er durch ein tiefes Wasser, wo er jeden Augenblick zu versinken fürchte, doch endlich sank er ohnmächtig in meine und Friedrich's Arme, und wir mußten ihn schwebend auf ein Sopha tragen. Kaum gewahrte dies der Kellner, so lief er wie besessen hin und her, brachte Riechfläschchen und frisches Wasser, rannte nach dein Wirthe und dem Brunncnarzte, und alle unsere Bitten und Befehle, daß er ruhig bleiben, leise auftreten und mit seinem unsinnigen To¬ ben aufhören sollte, waren bei der Sucht, sich recht Hilfteich und dienstfertig zu zeigen, ganz vergebens. Endlich packte ihn Friedrich am Kragen, stülpte den Verblüfften ziemlich unsanft die Treppe hinab

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/115>, abgerufen am 01.09.2024.