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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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und stellte so die nöthige Ruhe wieder her. Des Professors Ohn¬
macht dauerte nicht lange; als er erwachte, sah er mich wehmüthig
an und sprach: Glauben Sie, daß unsere schnelle Abreise dennoch
ruchbar ward?

-- Diesen da hoffe ich bald überwinden zu können, erwiederte
ich und deutete auf den Sand.

-- Meinen Sie? war seine kleingläubige Antwort; mir ist je¬
doch sehr übel.

Ich ließ darauf den Kranken zu Bett bringen, gab ihm etwas
Laudanum, und zu meiner Freude war er bald darauf ruhig einge¬
schlummert. Friedrich mußte unterdessen den Sand ausfegen, die
Kleider ausbürsten und überhaupt eine so gründliche Vertreibung deö
Staubes vornehmen, als hinge davon das Wohl und Wehe ganzer
Nationen ab.

Nachdem ich auf diese Weise meiner Pflicht Genüge geleistet,
glaubte ich dem Rufe des Herzens folgen zu dürfen, das mich nach
der Unbekannten zog. Ich ließ Friedrich bei dem Kranken und wan¬
delte, stattlich geputzt und sorgfältig gebürstet, in den angenehmen
Spaziergängen Schönbrunns umher. Eine Menge Badegäste begeg¬
neten mir daselbst, viele trugen goldene Ketten um den Hals, allein
mit Schrecken fürchtete ich in ihnen meine Unbekannte entdecken zu
müssen, so "venig entsprachen sie dem Ideal, das ich mir von der
Holden gemacht; Andere dagegen, wo ich wünschte, daß sie ihnen
gleiche, trugen das Erkennungszeichen nicht; und müde und matt von
dem vergeblichen Laufen, suchte ich mich mit der Mittagszeit zu trö¬
sten, da ich vom Kellner erfahren hatte, daß die sämmtliche Reise-
gesellschaft von heut Morgen hier eingekehrt sei.

Richtig, ich hatte mich nicht getäuscht. Ein flüchtiger Blick über
die lange Speisetafel traf bald auf die ungeheuere Nase der forst-
räthlichen Tante, und dicht neben derselben gewahrte ich auch meine
Kleine, meine Unbekannte, um den sammtweicher Nacken das gol¬
dene Kettlein. Schnell nahm ich von einem gegenüberstehenden Sruhl
Besitz und war überglücklich, als ich von Beiden wieder erkannt und
mit aller Freundlichkeit eines alten Bekannten aufgenommen wurde;
denn Wilhelmine übertraf nicht nur alle am heutigen Morgen ge¬
musterten Schönen, sondern auch den Kreis meiner sämmtlichen Be¬
kanntschaft; und ich habe immer gefunden, daß daS mit fünfunvzwan-


und stellte so die nöthige Ruhe wieder her. Des Professors Ohn¬
macht dauerte nicht lange; als er erwachte, sah er mich wehmüthig
an und sprach: Glauben Sie, daß unsere schnelle Abreise dennoch
ruchbar ward?

— Diesen da hoffe ich bald überwinden zu können, erwiederte
ich und deutete auf den Sand.

— Meinen Sie? war seine kleingläubige Antwort; mir ist je¬
doch sehr übel.

Ich ließ darauf den Kranken zu Bett bringen, gab ihm etwas
Laudanum, und zu meiner Freude war er bald darauf ruhig einge¬
schlummert. Friedrich mußte unterdessen den Sand ausfegen, die
Kleider ausbürsten und überhaupt eine so gründliche Vertreibung deö
Staubes vornehmen, als hinge davon das Wohl und Wehe ganzer
Nationen ab.

Nachdem ich auf diese Weise meiner Pflicht Genüge geleistet,
glaubte ich dem Rufe des Herzens folgen zu dürfen, das mich nach
der Unbekannten zog. Ich ließ Friedrich bei dem Kranken und wan¬
delte, stattlich geputzt und sorgfältig gebürstet, in den angenehmen
Spaziergängen Schönbrunns umher. Eine Menge Badegäste begeg¬
neten mir daselbst, viele trugen goldene Ketten um den Hals, allein
mit Schrecken fürchtete ich in ihnen meine Unbekannte entdecken zu
müssen, so »venig entsprachen sie dem Ideal, das ich mir von der
Holden gemacht; Andere dagegen, wo ich wünschte, daß sie ihnen
gleiche, trugen das Erkennungszeichen nicht; und müde und matt von
dem vergeblichen Laufen, suchte ich mich mit der Mittagszeit zu trö¬
sten, da ich vom Kellner erfahren hatte, daß die sämmtliche Reise-
gesellschaft von heut Morgen hier eingekehrt sei.

Richtig, ich hatte mich nicht getäuscht. Ein flüchtiger Blick über
die lange Speisetafel traf bald auf die ungeheuere Nase der forst-
räthlichen Tante, und dicht neben derselben gewahrte ich auch meine
Kleine, meine Unbekannte, um den sammtweicher Nacken das gol¬
dene Kettlein. Schnell nahm ich von einem gegenüberstehenden Sruhl
Besitz und war überglücklich, als ich von Beiden wieder erkannt und
mit aller Freundlichkeit eines alten Bekannten aufgenommen wurde;
denn Wilhelmine übertraf nicht nur alle am heutigen Morgen ge¬
musterten Schönen, sondern auch den Kreis meiner sämmtlichen Be¬
kanntschaft; und ich habe immer gefunden, daß daS mit fünfunvzwan-


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[0116] und stellte so die nöthige Ruhe wieder her. Des Professors Ohn¬ macht dauerte nicht lange; als er erwachte, sah er mich wehmüthig an und sprach: Glauben Sie, daß unsere schnelle Abreise dennoch ruchbar ward? — Diesen da hoffe ich bald überwinden zu können, erwiederte ich und deutete auf den Sand. — Meinen Sie? war seine kleingläubige Antwort; mir ist je¬ doch sehr übel. Ich ließ darauf den Kranken zu Bett bringen, gab ihm etwas Laudanum, und zu meiner Freude war er bald darauf ruhig einge¬ schlummert. Friedrich mußte unterdessen den Sand ausfegen, die Kleider ausbürsten und überhaupt eine so gründliche Vertreibung deö Staubes vornehmen, als hinge davon das Wohl und Wehe ganzer Nationen ab. Nachdem ich auf diese Weise meiner Pflicht Genüge geleistet, glaubte ich dem Rufe des Herzens folgen zu dürfen, das mich nach der Unbekannten zog. Ich ließ Friedrich bei dem Kranken und wan¬ delte, stattlich geputzt und sorgfältig gebürstet, in den angenehmen Spaziergängen Schönbrunns umher. Eine Menge Badegäste begeg¬ neten mir daselbst, viele trugen goldene Ketten um den Hals, allein mit Schrecken fürchtete ich in ihnen meine Unbekannte entdecken zu müssen, so »venig entsprachen sie dem Ideal, das ich mir von der Holden gemacht; Andere dagegen, wo ich wünschte, daß sie ihnen gleiche, trugen das Erkennungszeichen nicht; und müde und matt von dem vergeblichen Laufen, suchte ich mich mit der Mittagszeit zu trö¬ sten, da ich vom Kellner erfahren hatte, daß die sämmtliche Reise- gesellschaft von heut Morgen hier eingekehrt sei. Richtig, ich hatte mich nicht getäuscht. Ein flüchtiger Blick über die lange Speisetafel traf bald auf die ungeheuere Nase der forst- räthlichen Tante, und dicht neben derselben gewahrte ich auch meine Kleine, meine Unbekannte, um den sammtweicher Nacken das gol¬ dene Kettlein. Schnell nahm ich von einem gegenüberstehenden Sruhl Besitz und war überglücklich, als ich von Beiden wieder erkannt und mit aller Freundlichkeit eines alten Bekannten aufgenommen wurde; denn Wilhelmine übertraf nicht nur alle am heutigen Morgen ge¬ musterten Schönen, sondern auch den Kreis meiner sämmtlichen Be¬ kanntschaft; und ich habe immer gefunden, daß daS mit fünfunvzwan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/116>, abgerufen am 01.09.2024.