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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Birkenfeld und übertäubte den Wirrwarr; ich aber behielt den schuld¬
los getretenen Mops, die Ursache des ganzen Tumultes, als Sieges¬
zeichen auf meinen Knieen. Bald gelangten wir vor das Thor auf
einen angenehmen Sandweg, und die Worte der Dame konnten wie¬
der vernommen werden. Aber mein Gott, sagte sie und schien wie¬
der besänftigt, wo ist denn das arme Thier? Hast Du ihn, liebe
Wilhelmine? -- Nein, gute Tante, antwortete meine Nachbarin. --
Er ist unter meinem Schutze, versetzte ich freundlich und fuhr dabei
liebkosend dem Hunde mit der Hand über den Kopf, aber erschrok-
km schrie ich auf-, denn das böse Thier biß mich, den Unbekannten,
tüchtig in den Finger, daß das Blut aus der Wunde drang. Herr
Jesus! rief Wilhelmine, ich bitte, geben Sie mir den Jackson, er
kennt Sie nicht und könnte Ihnen wirklich wehe thun! Dabei suchte
sie im Dunkeln den Unbändiger zu erHaschen, und unsere Hände be¬
rührten sich noch einmal, wobei sie das Blut an meinem Finger ge¬
spürt haben mußte, denn sie sagte plötzlich mit einer Theilnahme, die
mir unendlich wohl that: Ich glaube, das garstige Thier hat Sie
schon verwundet, Sie bluten ja. Mit diesen Worten saßte sie meine
Hand und verband die Wunde trotz meiner Versicherung, daß es
Nichts zu bedeuten habe, und unsere Bekanntschaft machte durch die¬
sen kleinen Umstand schon einen bedeutenden Fortschritt.

Da ich aus dem ferneren Gespräche erfuhr, daß die beiden
Frauenzimmer gleichfalls nach dem Badeorte wollten, so gab mir dies
erwünschte Veranlassung, die Unterhaltung fortzusetzen; ich war als
Kind mit meinen Eltern mehrmals dort gewesen und konnte daher
Wilhelminens Fragen ziemlich vollständig befriedigen. War es über¬
haupt das Eigenthümliche dieser nächtlichen Fahrt, die mir eine Un¬
gezwungenheit verlieh, welche ich am Tage oft vergebens suchte, war
es der angenehme Ton ihrer Stimme, ihre kindliche Neugierde, welche
mich fesselten? Genug, ich fühlte mich so wohl, so selig, wir plau¬
derten so vertraut und harmlos, wie ein Paar Kinder, daß wir die
übrige Gesellschaft ganz vergessen hatten und von einem lauten
Schnarchen, das sich in der anderen Ecke des Wagens hören ließ,
plötzlich erschrocken zusammenführen.

-- Es liegt sich hier verdammt hart, sagte eine unwillige Män¬
nerstimme; mit dem Schlafe will es nicht gehen, so bequem ich mir's
auch zu machen suche; und zudem ist's nicht still genug, um ruhen


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Birkenfeld und übertäubte den Wirrwarr; ich aber behielt den schuld¬
los getretenen Mops, die Ursache des ganzen Tumultes, als Sieges¬
zeichen auf meinen Knieen. Bald gelangten wir vor das Thor auf
einen angenehmen Sandweg, und die Worte der Dame konnten wie¬
der vernommen werden. Aber mein Gott, sagte sie und schien wie¬
der besänftigt, wo ist denn das arme Thier? Hast Du ihn, liebe
Wilhelmine? — Nein, gute Tante, antwortete meine Nachbarin. —
Er ist unter meinem Schutze, versetzte ich freundlich und fuhr dabei
liebkosend dem Hunde mit der Hand über den Kopf, aber erschrok-
km schrie ich auf-, denn das böse Thier biß mich, den Unbekannten,
tüchtig in den Finger, daß das Blut aus der Wunde drang. Herr
Jesus! rief Wilhelmine, ich bitte, geben Sie mir den Jackson, er
kennt Sie nicht und könnte Ihnen wirklich wehe thun! Dabei suchte
sie im Dunkeln den Unbändiger zu erHaschen, und unsere Hände be¬
rührten sich noch einmal, wobei sie das Blut an meinem Finger ge¬
spürt haben mußte, denn sie sagte plötzlich mit einer Theilnahme, die
mir unendlich wohl that: Ich glaube, das garstige Thier hat Sie
schon verwundet, Sie bluten ja. Mit diesen Worten saßte sie meine
Hand und verband die Wunde trotz meiner Versicherung, daß es
Nichts zu bedeuten habe, und unsere Bekanntschaft machte durch die¬
sen kleinen Umstand schon einen bedeutenden Fortschritt.

Da ich aus dem ferneren Gespräche erfuhr, daß die beiden
Frauenzimmer gleichfalls nach dem Badeorte wollten, so gab mir dies
erwünschte Veranlassung, die Unterhaltung fortzusetzen; ich war als
Kind mit meinen Eltern mehrmals dort gewesen und konnte daher
Wilhelminens Fragen ziemlich vollständig befriedigen. War es über¬
haupt das Eigenthümliche dieser nächtlichen Fahrt, die mir eine Un¬
gezwungenheit verlieh, welche ich am Tage oft vergebens suchte, war
es der angenehme Ton ihrer Stimme, ihre kindliche Neugierde, welche
mich fesselten? Genug, ich fühlte mich so wohl, so selig, wir plau¬
derten so vertraut und harmlos, wie ein Paar Kinder, daß wir die
übrige Gesellschaft ganz vergessen hatten und von einem lauten
Schnarchen, das sich in der anderen Ecke des Wagens hören ließ,
plötzlich erschrocken zusammenführen.

— Es liegt sich hier verdammt hart, sagte eine unwillige Män¬
nerstimme; mit dem Schlafe will es nicht gehen, so bequem ich mir's
auch zu machen suche; und zudem ist's nicht still genug, um ruhen


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[0111] Birkenfeld und übertäubte den Wirrwarr; ich aber behielt den schuld¬ los getretenen Mops, die Ursache des ganzen Tumultes, als Sieges¬ zeichen auf meinen Knieen. Bald gelangten wir vor das Thor auf einen angenehmen Sandweg, und die Worte der Dame konnten wie¬ der vernommen werden. Aber mein Gott, sagte sie und schien wie¬ der besänftigt, wo ist denn das arme Thier? Hast Du ihn, liebe Wilhelmine? — Nein, gute Tante, antwortete meine Nachbarin. — Er ist unter meinem Schutze, versetzte ich freundlich und fuhr dabei liebkosend dem Hunde mit der Hand über den Kopf, aber erschrok- km schrie ich auf-, denn das böse Thier biß mich, den Unbekannten, tüchtig in den Finger, daß das Blut aus der Wunde drang. Herr Jesus! rief Wilhelmine, ich bitte, geben Sie mir den Jackson, er kennt Sie nicht und könnte Ihnen wirklich wehe thun! Dabei suchte sie im Dunkeln den Unbändiger zu erHaschen, und unsere Hände be¬ rührten sich noch einmal, wobei sie das Blut an meinem Finger ge¬ spürt haben mußte, denn sie sagte plötzlich mit einer Theilnahme, die mir unendlich wohl that: Ich glaube, das garstige Thier hat Sie schon verwundet, Sie bluten ja. Mit diesen Worten saßte sie meine Hand und verband die Wunde trotz meiner Versicherung, daß es Nichts zu bedeuten habe, und unsere Bekanntschaft machte durch die¬ sen kleinen Umstand schon einen bedeutenden Fortschritt. Da ich aus dem ferneren Gespräche erfuhr, daß die beiden Frauenzimmer gleichfalls nach dem Badeorte wollten, so gab mir dies erwünschte Veranlassung, die Unterhaltung fortzusetzen; ich war als Kind mit meinen Eltern mehrmals dort gewesen und konnte daher Wilhelminens Fragen ziemlich vollständig befriedigen. War es über¬ haupt das Eigenthümliche dieser nächtlichen Fahrt, die mir eine Un¬ gezwungenheit verlieh, welche ich am Tage oft vergebens suchte, war es der angenehme Ton ihrer Stimme, ihre kindliche Neugierde, welche mich fesselten? Genug, ich fühlte mich so wohl, so selig, wir plau¬ derten so vertraut und harmlos, wie ein Paar Kinder, daß wir die übrige Gesellschaft ganz vergessen hatten und von einem lauten Schnarchen, das sich in der anderen Ecke des Wagens hören ließ, plötzlich erschrocken zusammenführen. — Es liegt sich hier verdammt hart, sagte eine unwillige Män¬ nerstimme; mit dem Schlafe will es nicht gehen, so bequem ich mir's auch zu machen suche; und zudem ist's nicht still genug, um ruhen 14 K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/111>, abgerufen am 27.07.2024.