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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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daß ich wirklich bei ihm sei; und als wir endlich zum schnellen Ein¬
steigen ermahnt wurden, da lispelte er mir noch zu: Lassen Sie uns
munter bleiben, Herr Doctor, und wehren Sie dem Schlafe! --

Mai? schob uns, wie gesagt, in den Wagen, in welchem, wie
ich am anderen Morgen bemerkte, außer uns noch fünf Fremde wa-
ren. Denn das Licht, welches an der Thüre des PostHauses hing,
warf zwar scharfe Strahlen durch die finstere Nacht, beleuchtete aber
nur die Füße derer, die im Wagen saßen. Meinen Kranken führte
ich die Treppe hinab, Friedrich trug einiges Gepäck, und mein Auge
entdeckte zwischen mehreren dunkeln und bestiefelten Beinen ein rictu"
ches Füßchen, von einem weißen Strümpfe umschlossen, über welchem
sich ein schwarzes Band auf das anmuthigste kreuzte. Ich ließ Herrn
Robert den Vorrang auf dem Rücksitz und pflanzte mich neben den
eben beschriebenen weißen Strumpf mit den schwarzen Kreuzbändern.
Im Niedersitzen berührte ich einen weichen, seidenen Mantel; allein
zu sehen, wem dieser angehöre und ob meine Nachbarin reizend sei
oder nicht, war eine platte Unmöglichkeit. Ich nahm das Erstere an
und stammelte einige Entschuldigungen, erhielt aber keine Antwort.
Der Professor stieß mit seinen vielen Hüllen und den pappenen Arm¬
schienen überall an und meine Nachbarin schien bei seinem Erschei¬
nen leise zu kichern; denn die Reisenden im Wagen hatten den Vor¬
theil, die neuen Gäste besser erkennen zu können, als wir sie, die aus
dem Hellen in das Dunkel hinausgestoßen wurden. In dem Augen¬
blicke, da Robert seinen Platz einnehmen wollte, erscholl ein gellender
Schrei, und eine erschreckte weibliche Stimme rief: Ach Gott, mein
Jackson, mein Jackson! Komm her, mein Hund, Du treues, armes
Thier!--Ich bückte mich schnell und griff nach der Gegend zwischen
unseren Füßen, von welcher der Schrei ertönt war, um die Unge¬
schicklichkeit meines Reisegefährten zu verbessern, auch meine Nachba¬
rin mußte den Hund haben schützen wollen, denn ich berührte bei
dem Versuche ihre warme kleine Hand, was mir wie ein elektrischer
Schlag durch alle Glieder fuhr. Zum Unglück aber hatte auch die
Besitzerin des schreienden Ungethüms sich weit vorgeneigt, und unsere
drei Kopfe prallten in der Finsterniß dermaßen an einander, daß nur
im eigentlichen Sinne das Feuer aus den Augen sprang. Die alte
Dame tobte und weinte, meine Nachbarin lachte, und ich rieb mir
die Stirn. Jetzt rollte der Wagen über das ziemlich holprige Pflaster von


daß ich wirklich bei ihm sei; und als wir endlich zum schnellen Ein¬
steigen ermahnt wurden, da lispelte er mir noch zu: Lassen Sie uns
munter bleiben, Herr Doctor, und wehren Sie dem Schlafe! —

Mai? schob uns, wie gesagt, in den Wagen, in welchem, wie
ich am anderen Morgen bemerkte, außer uns noch fünf Fremde wa-
ren. Denn das Licht, welches an der Thüre des PostHauses hing,
warf zwar scharfe Strahlen durch die finstere Nacht, beleuchtete aber
nur die Füße derer, die im Wagen saßen. Meinen Kranken führte
ich die Treppe hinab, Friedrich trug einiges Gepäck, und mein Auge
entdeckte zwischen mehreren dunkeln und bestiefelten Beinen ein rictu«
ches Füßchen, von einem weißen Strümpfe umschlossen, über welchem
sich ein schwarzes Band auf das anmuthigste kreuzte. Ich ließ Herrn
Robert den Vorrang auf dem Rücksitz und pflanzte mich neben den
eben beschriebenen weißen Strumpf mit den schwarzen Kreuzbändern.
Im Niedersitzen berührte ich einen weichen, seidenen Mantel; allein
zu sehen, wem dieser angehöre und ob meine Nachbarin reizend sei
oder nicht, war eine platte Unmöglichkeit. Ich nahm das Erstere an
und stammelte einige Entschuldigungen, erhielt aber keine Antwort.
Der Professor stieß mit seinen vielen Hüllen und den pappenen Arm¬
schienen überall an und meine Nachbarin schien bei seinem Erschei¬
nen leise zu kichern; denn die Reisenden im Wagen hatten den Vor¬
theil, die neuen Gäste besser erkennen zu können, als wir sie, die aus
dem Hellen in das Dunkel hinausgestoßen wurden. In dem Augen¬
blicke, da Robert seinen Platz einnehmen wollte, erscholl ein gellender
Schrei, und eine erschreckte weibliche Stimme rief: Ach Gott, mein
Jackson, mein Jackson! Komm her, mein Hund, Du treues, armes
Thier!—Ich bückte mich schnell und griff nach der Gegend zwischen
unseren Füßen, von welcher der Schrei ertönt war, um die Unge¬
schicklichkeit meines Reisegefährten zu verbessern, auch meine Nachba¬
rin mußte den Hund haben schützen wollen, denn ich berührte bei
dem Versuche ihre warme kleine Hand, was mir wie ein elektrischer
Schlag durch alle Glieder fuhr. Zum Unglück aber hatte auch die
Besitzerin des schreienden Ungethüms sich weit vorgeneigt, und unsere
drei Kopfe prallten in der Finsterniß dermaßen an einander, daß nur
im eigentlichen Sinne das Feuer aus den Augen sprang. Die alte
Dame tobte und weinte, meine Nachbarin lachte, und ich rieb mir
die Stirn. Jetzt rollte der Wagen über das ziemlich holprige Pflaster von


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[0110] daß ich wirklich bei ihm sei; und als wir endlich zum schnellen Ein¬ steigen ermahnt wurden, da lispelte er mir noch zu: Lassen Sie uns munter bleiben, Herr Doctor, und wehren Sie dem Schlafe! — Mai? schob uns, wie gesagt, in den Wagen, in welchem, wie ich am anderen Morgen bemerkte, außer uns noch fünf Fremde wa- ren. Denn das Licht, welches an der Thüre des PostHauses hing, warf zwar scharfe Strahlen durch die finstere Nacht, beleuchtete aber nur die Füße derer, die im Wagen saßen. Meinen Kranken führte ich die Treppe hinab, Friedrich trug einiges Gepäck, und mein Auge entdeckte zwischen mehreren dunkeln und bestiefelten Beinen ein rictu« ches Füßchen, von einem weißen Strümpfe umschlossen, über welchem sich ein schwarzes Band auf das anmuthigste kreuzte. Ich ließ Herrn Robert den Vorrang auf dem Rücksitz und pflanzte mich neben den eben beschriebenen weißen Strumpf mit den schwarzen Kreuzbändern. Im Niedersitzen berührte ich einen weichen, seidenen Mantel; allein zu sehen, wem dieser angehöre und ob meine Nachbarin reizend sei oder nicht, war eine platte Unmöglichkeit. Ich nahm das Erstere an und stammelte einige Entschuldigungen, erhielt aber keine Antwort. Der Professor stieß mit seinen vielen Hüllen und den pappenen Arm¬ schienen überall an und meine Nachbarin schien bei seinem Erschei¬ nen leise zu kichern; denn die Reisenden im Wagen hatten den Vor¬ theil, die neuen Gäste besser erkennen zu können, als wir sie, die aus dem Hellen in das Dunkel hinausgestoßen wurden. In dem Augen¬ blicke, da Robert seinen Platz einnehmen wollte, erscholl ein gellender Schrei, und eine erschreckte weibliche Stimme rief: Ach Gott, mein Jackson, mein Jackson! Komm her, mein Hund, Du treues, armes Thier!—Ich bückte mich schnell und griff nach der Gegend zwischen unseren Füßen, von welcher der Schrei ertönt war, um die Unge¬ schicklichkeit meines Reisegefährten zu verbessern, auch meine Nachba¬ rin mußte den Hund haben schützen wollen, denn ich berührte bei dem Versuche ihre warme kleine Hand, was mir wie ein elektrischer Schlag durch alle Glieder fuhr. Zum Unglück aber hatte auch die Besitzerin des schreienden Ungethüms sich weit vorgeneigt, und unsere drei Kopfe prallten in der Finsterniß dermaßen an einander, daß nur im eigentlichen Sinne das Feuer aus den Augen sprang. Die alte Dame tobte und weinte, meine Nachbarin lachte, und ich rieb mir die Stirn. Jetzt rollte der Wagen über das ziemlich holprige Pflaster von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/110>, abgerufen am 01.09.2024.