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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Aber Antwerpen hörte auf, der Mittelpunkt dieser Schule zu
sein; sie zerstreute sich und ihr Vaterland verlor allmälig ihre Spu¬
ren, Der westphälische Friede machte dem dreißigjährigen Schlachten
ein Ende, aber er tödtete zugleich den Handelsflor Südniederlands.
Der vierzehnte Artikel des Tractats von Münster decretirte die Sper¬
rung der Scheide. Antwerpens Hafen wurde zur Einöde und der
Reichthum der alten Welthandelsstadt ging an ihre Rivalin Amster¬
dam über. Die Kunst, die zu allen Zeiten nicht blos nach Brod,
sondern auch nach Braten geht, zog mit. Holland beherrschte fortan das
Meer mit den Ruderschlägen seiner Schiffer und das Land mit den
Pinselschlägen seiner Maler. Wie die kleinen ärmlichen Kähne der
Wassergeusen einst die stolze spanische Flotte besiegten, so besiegten
jetzt eine Reihe von niederländischen Künstlern mit den ärmlichsten
Gegenständen, die sie in Haus und Hof zum Vorwurfe ihrer
Staffelei erhoben, die stolzen katholischen Altarmaler. Es war eine
echte Malerei des Protestantismus. Sie protestirten gegen das Allein¬
seligmachende der Kirche in der Kunst und bewiesen pantheistisch, daß
Gott überall sei, in der Kneipe versoffener Burschen, wie auf den
wilden Wogen des schäumenden Meeres, in den Blättern eines
leblosen Fruchtstückes, wie in den Reihen einer weidenden Heerde.
Die holländische Malerschule ist der Repräsentant des Goethe'schen
Spruches:


Greif nur hinein in's volle Menschenleben,
Und wo Du es fassest, ist's interessant.

Rubens starb im Jahre I64V und fünf und fünfzig Jahre
später starb in Belgien der letzte bedeutende Maler seiner Schule,
Erasmus Quellin. Fortan unterlag die flamändische Malerschule
denselben Einflüssen, denen auch die flamändische Sprache unterliegen
mußte. Die Heere Ludwigs XIV. rissen ein Stück nach dem andern
von dem burgundischen Kreise los. Ganz Europa ward Affe der
französischen Mode, wie sollte das benachbarte Belgien sich freihal¬
ten? Was an einheimischen Kräften von Bedeutung war, wie
Van Loo, Van der Meuten, wurde von Paris angezogen und
diente dem Gold des "großen Königs." Hingegen fanden die gir¬
renden Schäferinnen Watteau's, die gepuderten ZeuSe und die
reifröcklichen Nymphen hundert Nachahmer im Vaterlande Van Eyk's.
Die trocknen Lehren des Antwerpner Malers Andreas Lens (Ver-


Aber Antwerpen hörte auf, der Mittelpunkt dieser Schule zu
sein; sie zerstreute sich und ihr Vaterland verlor allmälig ihre Spu¬
ren, Der westphälische Friede machte dem dreißigjährigen Schlachten
ein Ende, aber er tödtete zugleich den Handelsflor Südniederlands.
Der vierzehnte Artikel des Tractats von Münster decretirte die Sper¬
rung der Scheide. Antwerpens Hafen wurde zur Einöde und der
Reichthum der alten Welthandelsstadt ging an ihre Rivalin Amster¬
dam über. Die Kunst, die zu allen Zeiten nicht blos nach Brod,
sondern auch nach Braten geht, zog mit. Holland beherrschte fortan das
Meer mit den Ruderschlägen seiner Schiffer und das Land mit den
Pinselschlägen seiner Maler. Wie die kleinen ärmlichen Kähne der
Wassergeusen einst die stolze spanische Flotte besiegten, so besiegten
jetzt eine Reihe von niederländischen Künstlern mit den ärmlichsten
Gegenständen, die sie in Haus und Hof zum Vorwurfe ihrer
Staffelei erhoben, die stolzen katholischen Altarmaler. Es war eine
echte Malerei des Protestantismus. Sie protestirten gegen das Allein¬
seligmachende der Kirche in der Kunst und bewiesen pantheistisch, daß
Gott überall sei, in der Kneipe versoffener Burschen, wie auf den
wilden Wogen des schäumenden Meeres, in den Blättern eines
leblosen Fruchtstückes, wie in den Reihen einer weidenden Heerde.
Die holländische Malerschule ist der Repräsentant des Goethe'schen
Spruches:


Greif nur hinein in's volle Menschenleben,
Und wo Du es fassest, ist's interessant.

Rubens starb im Jahre I64V und fünf und fünfzig Jahre
später starb in Belgien der letzte bedeutende Maler seiner Schule,
Erasmus Quellin. Fortan unterlag die flamändische Malerschule
denselben Einflüssen, denen auch die flamändische Sprache unterliegen
mußte. Die Heere Ludwigs XIV. rissen ein Stück nach dem andern
von dem burgundischen Kreise los. Ganz Europa ward Affe der
französischen Mode, wie sollte das benachbarte Belgien sich freihal¬
ten? Was an einheimischen Kräften von Bedeutung war, wie
Van Loo, Van der Meuten, wurde von Paris angezogen und
diente dem Gold des „großen Königs." Hingegen fanden die gir¬
renden Schäferinnen Watteau's, die gepuderten ZeuSe und die
reifröcklichen Nymphen hundert Nachahmer im Vaterlande Van Eyk's.
Die trocknen Lehren des Antwerpner Malers Andreas Lens (Ver-


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[0068] Aber Antwerpen hörte auf, der Mittelpunkt dieser Schule zu sein; sie zerstreute sich und ihr Vaterland verlor allmälig ihre Spu¬ ren, Der westphälische Friede machte dem dreißigjährigen Schlachten ein Ende, aber er tödtete zugleich den Handelsflor Südniederlands. Der vierzehnte Artikel des Tractats von Münster decretirte die Sper¬ rung der Scheide. Antwerpens Hafen wurde zur Einöde und der Reichthum der alten Welthandelsstadt ging an ihre Rivalin Amster¬ dam über. Die Kunst, die zu allen Zeiten nicht blos nach Brod, sondern auch nach Braten geht, zog mit. Holland beherrschte fortan das Meer mit den Ruderschlägen seiner Schiffer und das Land mit den Pinselschlägen seiner Maler. Wie die kleinen ärmlichen Kähne der Wassergeusen einst die stolze spanische Flotte besiegten, so besiegten jetzt eine Reihe von niederländischen Künstlern mit den ärmlichsten Gegenständen, die sie in Haus und Hof zum Vorwurfe ihrer Staffelei erhoben, die stolzen katholischen Altarmaler. Es war eine echte Malerei des Protestantismus. Sie protestirten gegen das Allein¬ seligmachende der Kirche in der Kunst und bewiesen pantheistisch, daß Gott überall sei, in der Kneipe versoffener Burschen, wie auf den wilden Wogen des schäumenden Meeres, in den Blättern eines leblosen Fruchtstückes, wie in den Reihen einer weidenden Heerde. Die holländische Malerschule ist der Repräsentant des Goethe'schen Spruches: Greif nur hinein in's volle Menschenleben, Und wo Du es fassest, ist's interessant. Rubens starb im Jahre I64V und fünf und fünfzig Jahre später starb in Belgien der letzte bedeutende Maler seiner Schule, Erasmus Quellin. Fortan unterlag die flamändische Malerschule denselben Einflüssen, denen auch die flamändische Sprache unterliegen mußte. Die Heere Ludwigs XIV. rissen ein Stück nach dem andern von dem burgundischen Kreise los. Ganz Europa ward Affe der französischen Mode, wie sollte das benachbarte Belgien sich freihal¬ ten? Was an einheimischen Kräften von Bedeutung war, wie Van Loo, Van der Meuten, wurde von Paris angezogen und diente dem Gold des „großen Königs." Hingegen fanden die gir¬ renden Schäferinnen Watteau's, die gepuderten ZeuSe und die reifröcklichen Nymphen hundert Nachahmer im Vaterlande Van Eyk's. Die trocknen Lehren des Antwerpner Malers Andreas Lens (Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/68>, abgerufen am 23.12.2024.