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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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mehr einen ironischen Beigeschmack. Nirgends kann das Elend grö¬
ßer sein, als bei uns. Ich bin in den Hütten polnischer Bauern ge¬
wesen und sah, wie die Menschen mit den Schweinen in schmutziger
Friedlichkeit zusammenwohnten und aßen. Sie waren glücklich, denn
sie kannten's nicht anders. Die schlesische Armuth hat bessere Tage
hinter sich, und in der Zukunft droht ihr der Hungertod. Zwischen
der Erinnerung an die Vergangenheit und der Furcht vor dem künf¬
tigen Tage sitzt sie im öden, trostlosen Mißmuth und webt ihr eige¬
nes Leichenhemde. Der Rcgierungsasscssor A. Schmer hat auf Kosten
des hiesigen Comites zur Linderung der Noth unter den Gebirgsbe¬
wohnern fünf Wochen lang Pauvertätsstudien gemacht, und in einem
Berichte das, was er mit eigenen Augen gesehen, getreulich erzählt.
Eine Haarsträubende Lectüre! Schmeer ist Salonmcnsch und Regie¬
rungsbeamter. Man kann sich denken, wie beredt der Thatbestand
gesprochen, wenn solch ein Historiograph ihm gegenüber zu dem Ge¬
ständnis) der sprachlichen Unfähigkeit gezwungen wird. Es ist Zeit,
daß die Pfingsten kommen und uns neue Sprachen lehren. Vorerst
aber Phrasen, wie die vom Perlen-Schlesien, ausgerottet! An solchem
Wortreichthum ißt sich Keiner satt. Und dann nehmt uns das Schloß
vom Munde, daß wir zu stammeln versuchen können, ehe der Tag
kommt, wo die neue Grammatik sich mit Keulenschlägen anmeldet.
In einem Dorfe der Grafschaft Glatz haben die Bauern der Grund-
Herrschaft die Handfrohndienste aufgesagt. Die Widerspenstigen sitzen
bereits im Kreisarrest zu Habelschwerdt. Die kleinen Eigenthümer in
Schlesien befinden sich zu ihren Grundherren in demselben Verhältniß,
wie die Weber und Spinner zu den Fabrikanten. Das arme Volk
arbeitet, und die Reichen haben den Lohn dafür. Wir trösten uns
damit, daß der liebe Gott und Duncker uns nicht verlassen werden.
Letzterer hat sich in Langenbielau zur Freude aller Berliner Spitzbu¬
ben häuslich niedergelassen und soll bereits eine Agentur seines haupt¬
städtischen Geschäfts eingerichtet haben. Auf das Soll bitte ich ei¬
nen Accent zu legen, denn ich schreibe blos, was man sich hier in
Breslau überall in die Ohren raunt. Wir gehen somit einer schönen
Zukunft entgegen. Findet doch jetzt schon die Allgemeine Preußische
Zeitung Manches bei uns, was zu loben ist, wie z. B. die Gedichte
zweier Lebendigen, die vor Kurzem in Breslau erschienen sind. Sie
meint, es gebe eine gewisse Sorte politischer Dichter, welche durch
polizeiliches Einschreiten am besten widerlegt werden könnten. Trotzdem
hatten die beiden Lebendigen nicht ein Uebriges gethan, daß sie den
Herwegh, Gottschall und Dingelstedt (!) ein Bischen mit Ruthenstrei-
chen regalirt. Eine vortreffliche Kritik dieser Awei-Männer-Gedichte.
Jede Zeile in letzteren tragt in der That die polizeiliche Uniform, aus
jedem Worte schauen Büttel und Haltfeste hervor. -- R. Gottschall,
dessen Freunde Sie neulich durch Abdruck einiger Scenen aus seinem


mehr einen ironischen Beigeschmack. Nirgends kann das Elend grö¬
ßer sein, als bei uns. Ich bin in den Hütten polnischer Bauern ge¬
wesen und sah, wie die Menschen mit den Schweinen in schmutziger
Friedlichkeit zusammenwohnten und aßen. Sie waren glücklich, denn
sie kannten's nicht anders. Die schlesische Armuth hat bessere Tage
hinter sich, und in der Zukunft droht ihr der Hungertod. Zwischen
der Erinnerung an die Vergangenheit und der Furcht vor dem künf¬
tigen Tage sitzt sie im öden, trostlosen Mißmuth und webt ihr eige¬
nes Leichenhemde. Der Rcgierungsasscssor A. Schmer hat auf Kosten
des hiesigen Comites zur Linderung der Noth unter den Gebirgsbe¬
wohnern fünf Wochen lang Pauvertätsstudien gemacht, und in einem
Berichte das, was er mit eigenen Augen gesehen, getreulich erzählt.
Eine Haarsträubende Lectüre! Schmeer ist Salonmcnsch und Regie¬
rungsbeamter. Man kann sich denken, wie beredt der Thatbestand
gesprochen, wenn solch ein Historiograph ihm gegenüber zu dem Ge¬
ständnis) der sprachlichen Unfähigkeit gezwungen wird. Es ist Zeit,
daß die Pfingsten kommen und uns neue Sprachen lehren. Vorerst
aber Phrasen, wie die vom Perlen-Schlesien, ausgerottet! An solchem
Wortreichthum ißt sich Keiner satt. Und dann nehmt uns das Schloß
vom Munde, daß wir zu stammeln versuchen können, ehe der Tag
kommt, wo die neue Grammatik sich mit Keulenschlägen anmeldet.
In einem Dorfe der Grafschaft Glatz haben die Bauern der Grund-
Herrschaft die Handfrohndienste aufgesagt. Die Widerspenstigen sitzen
bereits im Kreisarrest zu Habelschwerdt. Die kleinen Eigenthümer in
Schlesien befinden sich zu ihren Grundherren in demselben Verhältniß,
wie die Weber und Spinner zu den Fabrikanten. Das arme Volk
arbeitet, und die Reichen haben den Lohn dafür. Wir trösten uns
damit, daß der liebe Gott und Duncker uns nicht verlassen werden.
Letzterer hat sich in Langenbielau zur Freude aller Berliner Spitzbu¬
ben häuslich niedergelassen und soll bereits eine Agentur seines haupt¬
städtischen Geschäfts eingerichtet haben. Auf das Soll bitte ich ei¬
nen Accent zu legen, denn ich schreibe blos, was man sich hier in
Breslau überall in die Ohren raunt. Wir gehen somit einer schönen
Zukunft entgegen. Findet doch jetzt schon die Allgemeine Preußische
Zeitung Manches bei uns, was zu loben ist, wie z. B. die Gedichte
zweier Lebendigen, die vor Kurzem in Breslau erschienen sind. Sie
meint, es gebe eine gewisse Sorte politischer Dichter, welche durch
polizeiliches Einschreiten am besten widerlegt werden könnten. Trotzdem
hatten die beiden Lebendigen nicht ein Uebriges gethan, daß sie den
Herwegh, Gottschall und Dingelstedt (!) ein Bischen mit Ruthenstrei-
chen regalirt. Eine vortreffliche Kritik dieser Awei-Männer-Gedichte.
Jede Zeile in letzteren tragt in der That die polizeiliche Uniform, aus
jedem Worte schauen Büttel und Haltfeste hervor. — R. Gottschall,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/616>, abgerufen am 22.12.2024.