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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Robespierre erfreuten, hält sich gegenwärtig bei dem Grafen Reichen¬
bach in Waltorf bei Neisse auf. Letzterer, ein wackerer, politisch streb¬
samer Mann, wird das genannte Drama seines Gastfreundes auf ei¬
gene Kosten herausgeben. Unser Censor streicht schon drei Wochen
lang im Manuscripte herum. Hat wohl Robespierre geahnt, daß ihn
nach fast einem halben Säculum noch die Censur verstümmeln würde?
Unsere Universität hat in der jüngsten Zeit wieder von sich
reden gemacht und zwar wegen der freisinnigen Adresse, wo¬
mit der Professor Haase - im Namen seiner College" der Al¬
bertina gratulirte. Unter achtzig Männern spricht einer ein
Wort, wie es gesprochen werden sott, und die Welt schlagt lauten
Jubel auf! Was folgt hieraus wohl für die neunundsiebzig? Die
Zeitungsschreiber übersetzten die lateinische Adresse in's Deutsche, der
Censor strich's. Die Zeitungsschreiber wollten das Original abdrucken
lassen, der Censor strich's. Wohl Dir, Tacitus, daß Du Deine
Werke vor zwei Jahrtausenden geschrieben, wo es noch keine Censur-
instructionen, geheime Ordres und streichlustige Schönfelde gab. --
Sämmtliche Studirende der katholischen Theologie haben sich zu einer
Zeit, wo die Collectivpetitionen noch nicht verboten waren, an den
Minister Eichhorn gewandt und um Besetzung der vacanten Lehr¬
stühle ihrer Facultät gebeten. Doch nein, sie haben die' Petition
dem Regierungsbevollmächtigter zur Weiterbeförderung übergeben. Der¬
selbe ist darüber sehr erfreut gewesen und hat nur gewünscht, die
Herren möchten, der Form zu genügen, das Bittschreiben- durch die
Facultät an ihn gelangen lassen. Es geschieht; aber seit jener Zeit
hat man nie wieder von de5 Petition gehört. Sie soll nach der Aus¬
sage sehr glaubwürdiger Männer über das Weichbild der Stadt nicht
hinausgekommen sein. Die katholischen Theologen betragen beinahe
ein Dritttheil sämmtlicher Studirenden und haben nur drei Profes¬
soren. Encyklopädie der theologischen Wissenschaften und Dogmen-
geschichte sind noch niemals hier gelehrt worden. Pastorat, Katechetik,
Moral, theologisches und kanonisches Kirchenrecht ist seit Jahren va-
cant. Gerechtigkeit gegen Alle! -- warum diese stiefmütterliche Be¬
handlung? -- Eine Eigenthümlichkeit der hiesigen katholisch-theolo¬
gischen Facultät lassen Sie mich noch erwähnen. Wenn es sonst die
mit einer akademischen Würde bekleideten Professoren sind, welche den
Geist der Studirenden überwachen und zum Gebrauch von Präven-
riv-Flanelljacken rathen, so ist es bei der hiesigen katholisch-theologi¬
schen Facultät umgekehrt der Fall. Die jungen Loyolas haben den
Maßstab der Rechtgläubigkeit in den Handen und legen ihn an jede
Aeußerung ihrer Lehrer an. Paßt nun was nicht recht zu ihrem
frommen Märchenglauben, so eilen sie alsbald auf den "Dom" und
verketzern die Männer bei dem hohen Tribunal. Also auch Druck
x. von unten nach oben, Druck überall! ,


Grcnzbole" 1845. II. 77

Robespierre erfreuten, hält sich gegenwärtig bei dem Grafen Reichen¬
bach in Waltorf bei Neisse auf. Letzterer, ein wackerer, politisch streb¬
samer Mann, wird das genannte Drama seines Gastfreundes auf ei¬
gene Kosten herausgeben. Unser Censor streicht schon drei Wochen
lang im Manuscripte herum. Hat wohl Robespierre geahnt, daß ihn
nach fast einem halben Säculum noch die Censur verstümmeln würde?
Unsere Universität hat in der jüngsten Zeit wieder von sich
reden gemacht und zwar wegen der freisinnigen Adresse, wo¬
mit der Professor Haase - im Namen seiner College» der Al¬
bertina gratulirte. Unter achtzig Männern spricht einer ein
Wort, wie es gesprochen werden sott, und die Welt schlagt lauten
Jubel auf! Was folgt hieraus wohl für die neunundsiebzig? Die
Zeitungsschreiber übersetzten die lateinische Adresse in's Deutsche, der
Censor strich's. Die Zeitungsschreiber wollten das Original abdrucken
lassen, der Censor strich's. Wohl Dir, Tacitus, daß Du Deine
Werke vor zwei Jahrtausenden geschrieben, wo es noch keine Censur-
instructionen, geheime Ordres und streichlustige Schönfelde gab. —
Sämmtliche Studirende der katholischen Theologie haben sich zu einer
Zeit, wo die Collectivpetitionen noch nicht verboten waren, an den
Minister Eichhorn gewandt und um Besetzung der vacanten Lehr¬
stühle ihrer Facultät gebeten. Doch nein, sie haben die' Petition
dem Regierungsbevollmächtigter zur Weiterbeförderung übergeben. Der¬
selbe ist darüber sehr erfreut gewesen und hat nur gewünscht, die
Herren möchten, der Form zu genügen, das Bittschreiben- durch die
Facultät an ihn gelangen lassen. Es geschieht; aber seit jener Zeit
hat man nie wieder von de5 Petition gehört. Sie soll nach der Aus¬
sage sehr glaubwürdiger Männer über das Weichbild der Stadt nicht
hinausgekommen sein. Die katholischen Theologen betragen beinahe
ein Dritttheil sämmtlicher Studirenden und haben nur drei Profes¬
soren. Encyklopädie der theologischen Wissenschaften und Dogmen-
geschichte sind noch niemals hier gelehrt worden. Pastorat, Katechetik,
Moral, theologisches und kanonisches Kirchenrecht ist seit Jahren va-
cant. Gerechtigkeit gegen Alle! — warum diese stiefmütterliche Be¬
handlung? — Eine Eigenthümlichkeit der hiesigen katholisch-theolo¬
gischen Facultät lassen Sie mich noch erwähnen. Wenn es sonst die
mit einer akademischen Würde bekleideten Professoren sind, welche den
Geist der Studirenden überwachen und zum Gebrauch von Präven-
riv-Flanelljacken rathen, so ist es bei der hiesigen katholisch-theologi¬
schen Facultät umgekehrt der Fall. Die jungen Loyolas haben den
Maßstab der Rechtgläubigkeit in den Handen und legen ihn an jede
Aeußerung ihrer Lehrer an. Paßt nun was nicht recht zu ihrem
frommen Märchenglauben, so eilen sie alsbald auf den „Dom" und
verketzern die Männer bei dem hohen Tribunal. Also auch Druck
x. von unten nach oben, Druck überall! ,


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[0617] Robespierre erfreuten, hält sich gegenwärtig bei dem Grafen Reichen¬ bach in Waltorf bei Neisse auf. Letzterer, ein wackerer, politisch streb¬ samer Mann, wird das genannte Drama seines Gastfreundes auf ei¬ gene Kosten herausgeben. Unser Censor streicht schon drei Wochen lang im Manuscripte herum. Hat wohl Robespierre geahnt, daß ihn nach fast einem halben Säculum noch die Censur verstümmeln würde? Unsere Universität hat in der jüngsten Zeit wieder von sich reden gemacht und zwar wegen der freisinnigen Adresse, wo¬ mit der Professor Haase - im Namen seiner College» der Al¬ bertina gratulirte. Unter achtzig Männern spricht einer ein Wort, wie es gesprochen werden sott, und die Welt schlagt lauten Jubel auf! Was folgt hieraus wohl für die neunundsiebzig? Die Zeitungsschreiber übersetzten die lateinische Adresse in's Deutsche, der Censor strich's. Die Zeitungsschreiber wollten das Original abdrucken lassen, der Censor strich's. Wohl Dir, Tacitus, daß Du Deine Werke vor zwei Jahrtausenden geschrieben, wo es noch keine Censur- instructionen, geheime Ordres und streichlustige Schönfelde gab. — Sämmtliche Studirende der katholischen Theologie haben sich zu einer Zeit, wo die Collectivpetitionen noch nicht verboten waren, an den Minister Eichhorn gewandt und um Besetzung der vacanten Lehr¬ stühle ihrer Facultät gebeten. Doch nein, sie haben die' Petition dem Regierungsbevollmächtigter zur Weiterbeförderung übergeben. Der¬ selbe ist darüber sehr erfreut gewesen und hat nur gewünscht, die Herren möchten, der Form zu genügen, das Bittschreiben- durch die Facultät an ihn gelangen lassen. Es geschieht; aber seit jener Zeit hat man nie wieder von de5 Petition gehört. Sie soll nach der Aus¬ sage sehr glaubwürdiger Männer über das Weichbild der Stadt nicht hinausgekommen sein. Die katholischen Theologen betragen beinahe ein Dritttheil sämmtlicher Studirenden und haben nur drei Profes¬ soren. Encyklopädie der theologischen Wissenschaften und Dogmen- geschichte sind noch niemals hier gelehrt worden. Pastorat, Katechetik, Moral, theologisches und kanonisches Kirchenrecht ist seit Jahren va- cant. Gerechtigkeit gegen Alle! — warum diese stiefmütterliche Be¬ handlung? — Eine Eigenthümlichkeit der hiesigen katholisch-theolo¬ gischen Facultät lassen Sie mich noch erwähnen. Wenn es sonst die mit einer akademischen Würde bekleideten Professoren sind, welche den Geist der Studirenden überwachen und zum Gebrauch von Präven- riv-Flanelljacken rathen, so ist es bei der hiesigen katholisch-theologi¬ schen Facultät umgekehrt der Fall. Die jungen Loyolas haben den Maßstab der Rechtgläubigkeit in den Handen und legen ihn an jede Aeußerung ihrer Lehrer an. Paßt nun was nicht recht zu ihrem frommen Märchenglauben, so eilen sie alsbald auf den „Dom" und verketzern die Männer bei dem hohen Tribunal. Also auch Druck x. von unten nach oben, Druck überall! , Grcnzbole» 1845. II. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/617>, abgerufen am 03.07.2024.