Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hervorruft. Und wenn er Augen dafür hat, und zurückgekehrt in seine
Heimathsstadt, seinen College" die schroffen Gegensätze, die zwischen
der Verwaltung jener Städte und der der Stadt Leipzig herrschen,
schildert, wird er Gehör finden? Wir zweifeln. Die Stadt Leipzig ist
wie die Voß'sche Zeitung in Berlin. Wahrend alle deutschen Blätter
das altherkömmliche schmutzige Löschpapier allmälig abbestellt haben
und ihr Format theils vergrößerten, theils ihren Druck verschönerten,
erscheint die erwähnte Zeitung noch immer auf jenes graue Papier
gedruckt, in demselben Formate, wie in alten Jahren. Warum sollen
wir besseres Papier geben, Neuerungen machen -- sagen die Eigen¬
thümer der Voß'schen Zeitung, wir haben dreizehntausend Abonnenten!
Wir sind das verbreitetste Blatt Deutschlands trotz unseres schmutzi¬
gen Aeußern. Eben so spricht die Leipziger Stadtverwaltung: wozu
Verschönerungen? Unsere Stadt ist trotz ihres häßlichen Aeußern den¬
noch die erste Meßstadt Deutschlands, ja Europas! Wir lassen uns
das Geld der Fremden wohl schmecken. Wozu sollen wir uns Auslagen
machen? Dagegen läßt sich Nichts einwenden. Es ist schwer, Je¬
mandem, der die Nothwendigkeit weißer Wäsche nicht begreift, erklär¬
lich zu machen, warum der Menfch in's Bad gehen muß, auch wenn
er sonst gesund und stark ist.

Daß andere Städte, die verhältnißmäßig nicht so reich sind, als
das immer fetter werdende Leipzig, auf Pflasterung der Stadt, auf
Erweiterung enger Straßen, auf den Bau von Frucht- und Gemüse-
Hallen, auf Niederreißung alter, das Auge verletzender Gebäude, auf
die Aufmunterung öffentlicher Vergnügungsanstaltcn ganz andere Sum¬
men, als die Handelsstadt an der Pleiße und Elster, die der wenig
gereiste Goethe in einer humoristischen Stunde das kleine Paris nannte,
verwenden, dies werden sich gewisse Leipziger Stadtbeamte wenig zu
Herzen nehmen. Vielleicht hilft es mehr, wenn man sie darauf auf¬
merksam macht, wie eilig die Reisenden, welche nicht Meßfremde
sind, die Stadt durchjagen. Möge doch die Leipziger Stadtverwaltung
den verschiedenen Hotels eine kleine statistische Tabelle abverlangen,
um zu ersehen, unter wie vielen Fremden, die mit der Eisenbahn von
Berlin nach Dresden und vice vers-i, reisen, es solche gibt, die in
Leipzig übernachten, wie viele die Stadt eines Aufenthaltes von vier
undzwanzig Stunden würdigen? Wir begreifen, daß, was die Reisen¬
den in Berlin suchen, Leipzig schwerlich bieten kann. Aber warum
sucht es nicht mit Dresden den Wettstreit? Leipzig hat keine Ge¬
mäldegalerie; aber es hat dafür die viel größere geistige Bewegung
entgegenzustellen, es ist ein Herd vieler ausgezeichneten Gelehrten und
Schriftsteller, deren Namen einen weiten Klang haben. Dies wiegt
bei manchem Reisenden so viel, als eine Galerie. Es sind Elemente
geistiger Anregung, die Dresden entbehrt. Warum sucht man diese
Keime einer höheren Gesellschaftlichkeit nicht für die Stadt auszubeu-


hervorruft. Und wenn er Augen dafür hat, und zurückgekehrt in seine
Heimathsstadt, seinen College» die schroffen Gegensätze, die zwischen
der Verwaltung jener Städte und der der Stadt Leipzig herrschen,
schildert, wird er Gehör finden? Wir zweifeln. Die Stadt Leipzig ist
wie die Voß'sche Zeitung in Berlin. Wahrend alle deutschen Blätter
das altherkömmliche schmutzige Löschpapier allmälig abbestellt haben
und ihr Format theils vergrößerten, theils ihren Druck verschönerten,
erscheint die erwähnte Zeitung noch immer auf jenes graue Papier
gedruckt, in demselben Formate, wie in alten Jahren. Warum sollen
wir besseres Papier geben, Neuerungen machen — sagen die Eigen¬
thümer der Voß'schen Zeitung, wir haben dreizehntausend Abonnenten!
Wir sind das verbreitetste Blatt Deutschlands trotz unseres schmutzi¬
gen Aeußern. Eben so spricht die Leipziger Stadtverwaltung: wozu
Verschönerungen? Unsere Stadt ist trotz ihres häßlichen Aeußern den¬
noch die erste Meßstadt Deutschlands, ja Europas! Wir lassen uns
das Geld der Fremden wohl schmecken. Wozu sollen wir uns Auslagen
machen? Dagegen läßt sich Nichts einwenden. Es ist schwer, Je¬
mandem, der die Nothwendigkeit weißer Wäsche nicht begreift, erklär¬
lich zu machen, warum der Menfch in's Bad gehen muß, auch wenn
er sonst gesund und stark ist.

Daß andere Städte, die verhältnißmäßig nicht so reich sind, als
das immer fetter werdende Leipzig, auf Pflasterung der Stadt, auf
Erweiterung enger Straßen, auf den Bau von Frucht- und Gemüse-
Hallen, auf Niederreißung alter, das Auge verletzender Gebäude, auf
die Aufmunterung öffentlicher Vergnügungsanstaltcn ganz andere Sum¬
men, als die Handelsstadt an der Pleiße und Elster, die der wenig
gereiste Goethe in einer humoristischen Stunde das kleine Paris nannte,
verwenden, dies werden sich gewisse Leipziger Stadtbeamte wenig zu
Herzen nehmen. Vielleicht hilft es mehr, wenn man sie darauf auf¬
merksam macht, wie eilig die Reisenden, welche nicht Meßfremde
sind, die Stadt durchjagen. Möge doch die Leipziger Stadtverwaltung
den verschiedenen Hotels eine kleine statistische Tabelle abverlangen,
um zu ersehen, unter wie vielen Fremden, die mit der Eisenbahn von
Berlin nach Dresden und vice vers-i, reisen, es solche gibt, die in
Leipzig übernachten, wie viele die Stadt eines Aufenthaltes von vier
undzwanzig Stunden würdigen? Wir begreifen, daß, was die Reisen¬
den in Berlin suchen, Leipzig schwerlich bieten kann. Aber warum
sucht es nicht mit Dresden den Wettstreit? Leipzig hat keine Ge¬
mäldegalerie; aber es hat dafür die viel größere geistige Bewegung
entgegenzustellen, es ist ein Herd vieler ausgezeichneten Gelehrten und
Schriftsteller, deren Namen einen weiten Klang haben. Dies wiegt
bei manchem Reisenden so viel, als eine Galerie. Es sind Elemente
geistiger Anregung, die Dresden entbehrt. Warum sucht man diese
Keime einer höheren Gesellschaftlichkeit nicht für die Stadt auszubeu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180609"/>
            <p xml:id="ID_82" prev="#ID_81"> hervorruft. Und wenn er Augen dafür hat, und zurückgekehrt in seine<lb/>
Heimathsstadt, seinen College» die schroffen Gegensätze, die zwischen<lb/>
der Verwaltung jener Städte und der der Stadt Leipzig herrschen,<lb/>
schildert, wird er Gehör finden? Wir zweifeln. Die Stadt Leipzig ist<lb/>
wie die Voß'sche Zeitung in Berlin. Wahrend alle deutschen Blätter<lb/>
das altherkömmliche schmutzige Löschpapier allmälig abbestellt haben<lb/>
und ihr Format theils vergrößerten, theils ihren Druck verschönerten,<lb/>
erscheint die erwähnte Zeitung noch immer auf jenes graue Papier<lb/>
gedruckt, in demselben Formate, wie in alten Jahren. Warum sollen<lb/>
wir besseres Papier geben, Neuerungen machen &#x2014; sagen die Eigen¬<lb/>
thümer der Voß'schen Zeitung, wir haben dreizehntausend Abonnenten!<lb/>
Wir sind das verbreitetste Blatt Deutschlands trotz unseres schmutzi¬<lb/>
gen Aeußern. Eben so spricht die Leipziger Stadtverwaltung: wozu<lb/>
Verschönerungen? Unsere Stadt ist trotz ihres häßlichen Aeußern den¬<lb/>
noch die erste Meßstadt Deutschlands, ja Europas! Wir lassen uns<lb/>
das Geld der Fremden wohl schmecken. Wozu sollen wir uns Auslagen<lb/>
machen? Dagegen läßt sich Nichts einwenden. Es ist schwer, Je¬<lb/>
mandem, der die Nothwendigkeit weißer Wäsche nicht begreift, erklär¬<lb/>
lich zu machen, warum der Menfch in's Bad gehen muß, auch wenn<lb/>
er sonst gesund und stark ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_83" next="#ID_84"> Daß andere Städte, die verhältnißmäßig nicht so reich sind, als<lb/>
das immer fetter werdende Leipzig, auf Pflasterung der Stadt, auf<lb/>
Erweiterung enger Straßen, auf den Bau von Frucht- und Gemüse-<lb/>
Hallen, auf Niederreißung alter, das Auge verletzender Gebäude, auf<lb/>
die Aufmunterung öffentlicher Vergnügungsanstaltcn ganz andere Sum¬<lb/>
men, als die Handelsstadt an der Pleiße und Elster, die der wenig<lb/>
gereiste Goethe in einer humoristischen Stunde das kleine Paris nannte,<lb/>
verwenden, dies werden sich gewisse Leipziger Stadtbeamte wenig zu<lb/>
Herzen nehmen. Vielleicht hilft es mehr, wenn man sie darauf auf¬<lb/>
merksam macht, wie eilig die Reisenden, welche nicht Meßfremde<lb/>
sind, die Stadt durchjagen. Möge doch die Leipziger Stadtverwaltung<lb/>
den verschiedenen Hotels eine kleine statistische Tabelle abverlangen,<lb/>
um zu ersehen, unter wie vielen Fremden, die mit der Eisenbahn von<lb/>
Berlin nach Dresden und vice vers-i, reisen, es solche gibt, die in<lb/>
Leipzig übernachten, wie viele die Stadt eines Aufenthaltes von vier<lb/>
undzwanzig Stunden würdigen? Wir begreifen, daß, was die Reisen¬<lb/>
den in Berlin suchen, Leipzig schwerlich bieten kann. Aber warum<lb/>
sucht es nicht mit Dresden den Wettstreit? Leipzig hat keine Ge¬<lb/>
mäldegalerie; aber es hat dafür die viel größere geistige Bewegung<lb/>
entgegenzustellen, es ist ein Herd vieler ausgezeichneten Gelehrten und<lb/>
Schriftsteller, deren Namen einen weiten Klang haben. Dies wiegt<lb/>
bei manchem Reisenden so viel, als eine Galerie. Es sind Elemente<lb/>
geistiger Anregung, die Dresden entbehrt. Warum sucht man diese<lb/>
Keime einer höheren Gesellschaftlichkeit nicht für die Stadt auszubeu-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] hervorruft. Und wenn er Augen dafür hat, und zurückgekehrt in seine Heimathsstadt, seinen College» die schroffen Gegensätze, die zwischen der Verwaltung jener Städte und der der Stadt Leipzig herrschen, schildert, wird er Gehör finden? Wir zweifeln. Die Stadt Leipzig ist wie die Voß'sche Zeitung in Berlin. Wahrend alle deutschen Blätter das altherkömmliche schmutzige Löschpapier allmälig abbestellt haben und ihr Format theils vergrößerten, theils ihren Druck verschönerten, erscheint die erwähnte Zeitung noch immer auf jenes graue Papier gedruckt, in demselben Formate, wie in alten Jahren. Warum sollen wir besseres Papier geben, Neuerungen machen — sagen die Eigen¬ thümer der Voß'schen Zeitung, wir haben dreizehntausend Abonnenten! Wir sind das verbreitetste Blatt Deutschlands trotz unseres schmutzi¬ gen Aeußern. Eben so spricht die Leipziger Stadtverwaltung: wozu Verschönerungen? Unsere Stadt ist trotz ihres häßlichen Aeußern den¬ noch die erste Meßstadt Deutschlands, ja Europas! Wir lassen uns das Geld der Fremden wohl schmecken. Wozu sollen wir uns Auslagen machen? Dagegen läßt sich Nichts einwenden. Es ist schwer, Je¬ mandem, der die Nothwendigkeit weißer Wäsche nicht begreift, erklär¬ lich zu machen, warum der Menfch in's Bad gehen muß, auch wenn er sonst gesund und stark ist. Daß andere Städte, die verhältnißmäßig nicht so reich sind, als das immer fetter werdende Leipzig, auf Pflasterung der Stadt, auf Erweiterung enger Straßen, auf den Bau von Frucht- und Gemüse- Hallen, auf Niederreißung alter, das Auge verletzender Gebäude, auf die Aufmunterung öffentlicher Vergnügungsanstaltcn ganz andere Sum¬ men, als die Handelsstadt an der Pleiße und Elster, die der wenig gereiste Goethe in einer humoristischen Stunde das kleine Paris nannte, verwenden, dies werden sich gewisse Leipziger Stadtbeamte wenig zu Herzen nehmen. Vielleicht hilft es mehr, wenn man sie darauf auf¬ merksam macht, wie eilig die Reisenden, welche nicht Meßfremde sind, die Stadt durchjagen. Möge doch die Leipziger Stadtverwaltung den verschiedenen Hotels eine kleine statistische Tabelle abverlangen, um zu ersehen, unter wie vielen Fremden, die mit der Eisenbahn von Berlin nach Dresden und vice vers-i, reisen, es solche gibt, die in Leipzig übernachten, wie viele die Stadt eines Aufenthaltes von vier undzwanzig Stunden würdigen? Wir begreifen, daß, was die Reisen¬ den in Berlin suchen, Leipzig schwerlich bieten kann. Aber warum sucht es nicht mit Dresden den Wettstreit? Leipzig hat keine Ge¬ mäldegalerie; aber es hat dafür die viel größere geistige Bewegung entgegenzustellen, es ist ein Herd vieler ausgezeichneten Gelehrten und Schriftsteller, deren Namen einen weiten Klang haben. Dies wiegt bei manchem Reisenden so viel, als eine Galerie. Es sind Elemente geistiger Anregung, die Dresden entbehrt. Warum sucht man diese Keime einer höheren Gesellschaftlichkeit nicht für die Stadt auszubeu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/50>, abgerufen am 22.12.2024.