Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.chen Maßregeln rechnen, oder wie die Militärpflicht ansehe" wird, der chen Maßregeln rechnen, oder wie die Militärpflicht ansehe» wird, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180998"/> <p xml:id="ID_1053" prev="#ID_1052" next="#ID_1054"> chen Maßregeln rechnen, oder wie die Militärpflicht ansehe» wird, der<lb/> Jeder genügen muß; ein preußischer Literat, der noch nie in Unter¬<lb/> suchung war, wird daher bald wie ein Matrose angesehen werden, der<lb/> noch nie die Linie passirt, wie ein Soldat, der kein Pulver gerochen,<lb/> oder wie ein ehrlicher Mann, der nie einen Rausch gehabt hat; in<lb/> Berlin und einigen anderen preußischen Städten beginnt auch in ge¬<lb/> bildeten Kreisen die Mode zu herrschen, daß man, wie sonst nach dem<lb/> Wetter, nach dem Geschlafenhaben oder Wohlbefinden, seine Bekann¬<lb/> ten fragt: „Wie untersucht es sich?" — Das also ist es nicht, was<lb/> wir meinen. Wir bewundern vielmehr nur die vertrauensvolle Ein¬<lb/> mütigkeit, die zwischen den Rhcdaern und ihrer Polizei zu herrschen<lb/> scheint. Denn kaum hatten die Ersteren gehört, daß der Hr. Lüning<lb/> in Untersuchung sei, so verbreitete sich um sein Haupt ein schwefel¬<lb/> gelber Nimbus, man war überzeugt, ein wirkliches, leibhaftiges Glied<lb/> der antichristlichen, staatsumwühlenden und wahrheitsbrunnenvergif-<lb/> tenden Propaganda in seinen Mauern zu haben, und fühlte sich in<lb/> seiner Loyalität auf das Tiefste verletzt. Wo findet man noch solchen<lb/> Glauben in Israel, wo solches Vertrauen zwischen Volk und Poli¬<lb/> zei ? Des Abends zog daher ein Haufe sonst friedlicher Bürger — so<lb/> meldet der Westphälische Merkur — vor Lüning's Wohnung, schlug<lb/> ihm die Scheiben ein, rief: „Heraus mit dem Demagogen! Heraus<lb/> mit dem Gotteslästerer!" und hätte noch manch Anderes gerufen und<lb/> gethan, wenn nicht die Polizei selbst die wohlmeinenden Eiferer im<lb/> Zaum gehalten und Herrn Lüning — als Untersuchungsgcgenstand<lb/> ein werthvolles Object vor weiteren Demonstrationen geschützt<lb/> hätte. — Jetzt erklärt Herr Lüning in mehreren Zeitungen, es sei<lb/> eine Beleidigung und Verleumdung der Rhedaer Bürger, wenn man<lb/> den Unfug ihnen zuschreiben wolle; die Serenade sei ihm von einem<lb/> königlich preußischen Assessor arrangirt worden! Wie kann man einem<lb/> königlich preußischen Assessor, einem studirren, gebildeten Manne, ei¬<lb/> nem Mitglied des preußischen Veamtenstandes, dergleichen aufbürden<lb/> wollen! Wenn die Serenade von den Bürgern ausging, ist es ein<lb/> Anderes! Wir sehen nicht ein, wozu es von diesen wie eine<lb/> Blamage abgewälzt zu werden braucht, und wir lassen uns<lb/> den schönen' Glauben an die Richtigkeit der ersten Darstel¬<lb/> lung um so weniger nehmen, als wir, in vollem Ernst,<lb/> darin einen Beweis sehen, daß die vielgerühmte Einfalt und Gläu¬<lb/> bigkeit des deutschen Volkes nicht überall eine bloßeZeitungstradition,<lb/> sondern wirklich weit her ist. Nein, die wackern, altehrlichen Rhed¬<lb/> aer Bürger sollen leben! ohne etwa damit die Übertretung der Po¬<lb/> lizeigesetze predigen zu wollen. Jetzt sehen wir, daß es noch Gegen¬<lb/> den im Vaterlande gibt, wo ein zweiter Socrates, ein Bruno von<lb/> Nola oder ein anderer Märtyrer täglich erstehen kann; den nicht an</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0439]
chen Maßregeln rechnen, oder wie die Militärpflicht ansehe» wird, der
Jeder genügen muß; ein preußischer Literat, der noch nie in Unter¬
suchung war, wird daher bald wie ein Matrose angesehen werden, der
noch nie die Linie passirt, wie ein Soldat, der kein Pulver gerochen,
oder wie ein ehrlicher Mann, der nie einen Rausch gehabt hat; in
Berlin und einigen anderen preußischen Städten beginnt auch in ge¬
bildeten Kreisen die Mode zu herrschen, daß man, wie sonst nach dem
Wetter, nach dem Geschlafenhaben oder Wohlbefinden, seine Bekann¬
ten fragt: „Wie untersucht es sich?" — Das also ist es nicht, was
wir meinen. Wir bewundern vielmehr nur die vertrauensvolle Ein¬
mütigkeit, die zwischen den Rhcdaern und ihrer Polizei zu herrschen
scheint. Denn kaum hatten die Ersteren gehört, daß der Hr. Lüning
in Untersuchung sei, so verbreitete sich um sein Haupt ein schwefel¬
gelber Nimbus, man war überzeugt, ein wirkliches, leibhaftiges Glied
der antichristlichen, staatsumwühlenden und wahrheitsbrunnenvergif-
tenden Propaganda in seinen Mauern zu haben, und fühlte sich in
seiner Loyalität auf das Tiefste verletzt. Wo findet man noch solchen
Glauben in Israel, wo solches Vertrauen zwischen Volk und Poli¬
zei ? Des Abends zog daher ein Haufe sonst friedlicher Bürger — so
meldet der Westphälische Merkur — vor Lüning's Wohnung, schlug
ihm die Scheiben ein, rief: „Heraus mit dem Demagogen! Heraus
mit dem Gotteslästerer!" und hätte noch manch Anderes gerufen und
gethan, wenn nicht die Polizei selbst die wohlmeinenden Eiferer im
Zaum gehalten und Herrn Lüning — als Untersuchungsgcgenstand
ein werthvolles Object vor weiteren Demonstrationen geschützt
hätte. — Jetzt erklärt Herr Lüning in mehreren Zeitungen, es sei
eine Beleidigung und Verleumdung der Rhedaer Bürger, wenn man
den Unfug ihnen zuschreiben wolle; die Serenade sei ihm von einem
königlich preußischen Assessor arrangirt worden! Wie kann man einem
königlich preußischen Assessor, einem studirren, gebildeten Manne, ei¬
nem Mitglied des preußischen Veamtenstandes, dergleichen aufbürden
wollen! Wenn die Serenade von den Bürgern ausging, ist es ein
Anderes! Wir sehen nicht ein, wozu es von diesen wie eine
Blamage abgewälzt zu werden braucht, und wir lassen uns
den schönen' Glauben an die Richtigkeit der ersten Darstel¬
lung um so weniger nehmen, als wir, in vollem Ernst,
darin einen Beweis sehen, daß die vielgerühmte Einfalt und Gläu¬
bigkeit des deutschen Volkes nicht überall eine bloßeZeitungstradition,
sondern wirklich weit her ist. Nein, die wackern, altehrlichen Rhed¬
aer Bürger sollen leben! ohne etwa damit die Übertretung der Po¬
lizeigesetze predigen zu wollen. Jetzt sehen wir, daß es noch Gegen¬
den im Vaterlande gibt, wo ein zweiter Socrates, ein Bruno von
Nola oder ein anderer Märtyrer täglich erstehen kann; den nicht an
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |