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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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war dort bald im Schwunge, die steifen Glasgesichter der Damen
belebten sich, einige der Herren hatten wieder diese oder jene neue
Anekdote von Liszt zu erzählen, von seiner Lebensart, von seinen klei¬
nen und großen Neigungen, von seinen Thaten, seiner Bescheidenheit;
sie brachten aber durchaus den Damen nichts Neues, diese wußten
Alles bis auf die kleinsten Details schon umständlicher und besser.
Alles war nun in den Lisztzauber wie versenkt; doch bemerkte ich,
daß dabei der dampfende Punsch und die Pfannkuchen durchaus nicht
vergessen wurden. Ein junger Mann las ein sechszehnstrophiges Ge¬
dicht auf Liszt vor, das er eigens für den heutigen Abend gemacht
hatte, ein junger Komponist trug eine Phantasie vor: "Liszt am Kla¬
vier", ein junger Maler präsentirte ein Bild, das dieselbe Situation
vorstellte. Der Enthusiasmus, so von der Kunst geschmeichelt und
unterstützt, kannte nun keine Grenzen mehr, alte und junge Damen
und Männer, Alles war hingerissen zum stürmischsten, begeistertsten
Beifall. Besonders sah man dem Herrn Hofrath daS Entzücken über
das tiefsinnige Urtheil an, das seine Agnes über die vorgetragenen
Productionen äußerte. Wie war das gebildete Mädchen erhoben und
hingerissen! -- O, wenn Jean Paul noch lebte, lieber Papa, sagte
sie am Schlüsse ihrer langen Rede, was würde er wohl von Liszt
sagen? Eine feierliche Stille verbreitete sich, das Gespräch fing sich
an zu wenden, man kam auf Jean Paul zu sprechen. Ein ernster
junger Mann, der dort im Winkel saß, wagte es, hier ein scharfes,
kritisches Urtheil auszusprechen. Der abgeschmackte, gelehrte Pedant,
hörte ich Agnes leise zu Felir sagen, der sich neben sie gesetzt hatte
und zärtliche Blicke mit ihr wechselte. Jener arme junge Mann, er
war noch kindisch genug, in der guten Gesellschaft ein gutes Urtheil
abgeben zu wollen, noch kindisch genug, das Urtheil dieser Leute für
so gewichtig zu halten, daß er ihnen widersprach! Die Damen hiel¬
ten sich bei seiner eifrigen Auseinandersetzung bald die Tücher vor's
Gesicht, um ihr Gähnen oder Lachen zu verbergen; die Männer aber
fuhren auf ihn los. -- Der Mann muß sich noch nicht viel in gu¬
ter Gesellschaft bewegt haben, meinte Agnes zu Felir; sehen Sie nur,
mit welcher Art er widerspricht, wie pöbelhaft er schreit, und wie er
die Arme beim Sprechen in die Luft schleudert. Ich gab ihr im
Herzen Recht. Der junge Mann hatte in seinem Disput den Na¬
men Börne erwähnt. Das war Wasser auf der Mühle, nun ging


war dort bald im Schwunge, die steifen Glasgesichter der Damen
belebten sich, einige der Herren hatten wieder diese oder jene neue
Anekdote von Liszt zu erzählen, von seiner Lebensart, von seinen klei¬
nen und großen Neigungen, von seinen Thaten, seiner Bescheidenheit;
sie brachten aber durchaus den Damen nichts Neues, diese wußten
Alles bis auf die kleinsten Details schon umständlicher und besser.
Alles war nun in den Lisztzauber wie versenkt; doch bemerkte ich,
daß dabei der dampfende Punsch und die Pfannkuchen durchaus nicht
vergessen wurden. Ein junger Mann las ein sechszehnstrophiges Ge¬
dicht auf Liszt vor, das er eigens für den heutigen Abend gemacht
hatte, ein junger Komponist trug eine Phantasie vor: „Liszt am Kla¬
vier", ein junger Maler präsentirte ein Bild, das dieselbe Situation
vorstellte. Der Enthusiasmus, so von der Kunst geschmeichelt und
unterstützt, kannte nun keine Grenzen mehr, alte und junge Damen
und Männer, Alles war hingerissen zum stürmischsten, begeistertsten
Beifall. Besonders sah man dem Herrn Hofrath daS Entzücken über
das tiefsinnige Urtheil an, das seine Agnes über die vorgetragenen
Productionen äußerte. Wie war das gebildete Mädchen erhoben und
hingerissen! — O, wenn Jean Paul noch lebte, lieber Papa, sagte
sie am Schlüsse ihrer langen Rede, was würde er wohl von Liszt
sagen? Eine feierliche Stille verbreitete sich, das Gespräch fing sich
an zu wenden, man kam auf Jean Paul zu sprechen. Ein ernster
junger Mann, der dort im Winkel saß, wagte es, hier ein scharfes,
kritisches Urtheil auszusprechen. Der abgeschmackte, gelehrte Pedant,
hörte ich Agnes leise zu Felir sagen, der sich neben sie gesetzt hatte
und zärtliche Blicke mit ihr wechselte. Jener arme junge Mann, er
war noch kindisch genug, in der guten Gesellschaft ein gutes Urtheil
abgeben zu wollen, noch kindisch genug, das Urtheil dieser Leute für
so gewichtig zu halten, daß er ihnen widersprach! Die Damen hiel¬
ten sich bei seiner eifrigen Auseinandersetzung bald die Tücher vor's
Gesicht, um ihr Gähnen oder Lachen zu verbergen; die Männer aber
fuhren auf ihn los. — Der Mann muß sich noch nicht viel in gu¬
ter Gesellschaft bewegt haben, meinte Agnes zu Felir; sehen Sie nur,
mit welcher Art er widerspricht, wie pöbelhaft er schreit, und wie er
die Arme beim Sprechen in die Luft schleudert. Ich gab ihr im
Herzen Recht. Der junge Mann hatte in seinem Disput den Na¬
men Börne erwähnt. Das war Wasser auf der Mühle, nun ging


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[0396] war dort bald im Schwunge, die steifen Glasgesichter der Damen belebten sich, einige der Herren hatten wieder diese oder jene neue Anekdote von Liszt zu erzählen, von seiner Lebensart, von seinen klei¬ nen und großen Neigungen, von seinen Thaten, seiner Bescheidenheit; sie brachten aber durchaus den Damen nichts Neues, diese wußten Alles bis auf die kleinsten Details schon umständlicher und besser. Alles war nun in den Lisztzauber wie versenkt; doch bemerkte ich, daß dabei der dampfende Punsch und die Pfannkuchen durchaus nicht vergessen wurden. Ein junger Mann las ein sechszehnstrophiges Ge¬ dicht auf Liszt vor, das er eigens für den heutigen Abend gemacht hatte, ein junger Komponist trug eine Phantasie vor: „Liszt am Kla¬ vier", ein junger Maler präsentirte ein Bild, das dieselbe Situation vorstellte. Der Enthusiasmus, so von der Kunst geschmeichelt und unterstützt, kannte nun keine Grenzen mehr, alte und junge Damen und Männer, Alles war hingerissen zum stürmischsten, begeistertsten Beifall. Besonders sah man dem Herrn Hofrath daS Entzücken über das tiefsinnige Urtheil an, das seine Agnes über die vorgetragenen Productionen äußerte. Wie war das gebildete Mädchen erhoben und hingerissen! — O, wenn Jean Paul noch lebte, lieber Papa, sagte sie am Schlüsse ihrer langen Rede, was würde er wohl von Liszt sagen? Eine feierliche Stille verbreitete sich, das Gespräch fing sich an zu wenden, man kam auf Jean Paul zu sprechen. Ein ernster junger Mann, der dort im Winkel saß, wagte es, hier ein scharfes, kritisches Urtheil auszusprechen. Der abgeschmackte, gelehrte Pedant, hörte ich Agnes leise zu Felir sagen, der sich neben sie gesetzt hatte und zärtliche Blicke mit ihr wechselte. Jener arme junge Mann, er war noch kindisch genug, in der guten Gesellschaft ein gutes Urtheil abgeben zu wollen, noch kindisch genug, das Urtheil dieser Leute für so gewichtig zu halten, daß er ihnen widersprach! Die Damen hiel¬ ten sich bei seiner eifrigen Auseinandersetzung bald die Tücher vor's Gesicht, um ihr Gähnen oder Lachen zu verbergen; die Männer aber fuhren auf ihn los. — Der Mann muß sich noch nicht viel in gu¬ ter Gesellschaft bewegt haben, meinte Agnes zu Felir; sehen Sie nur, mit welcher Art er widerspricht, wie pöbelhaft er schreit, und wie er die Arme beim Sprechen in die Luft schleudert. Ich gab ihr im Herzen Recht. Der junge Mann hatte in seinem Disput den Na¬ men Börne erwähnt. Das war Wasser auf der Mühle, nun ging

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/396>, abgerufen am 23.07.2024.