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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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aber seit einem halben Jahre, wo er das Nervenfieber bekommen,
todesmatt und fast ganz bewußtlos im Bett. In diesem Augenblick
drehte sich der Kranke herum und forderte mit matter Stimme, ohne
die Augen aufzuschlagen, einen Schluck warmen Kaffees. Aber das
feuchte Holz wollte durchaus nicht brennen, die arme Frau fing an
zu weinen, und die Scene wurde mir so herzzerreißend, der ungesunde
Dunst schnürte mir so fest die Kehle zu, daß mir unwohl wurde.
Ich ging, nachdem ich der Frau ein Geschenk gegeben und Mathil¬
den wieder zu mir bestellt hatte. Das arme schöne Kind dauerte
mich am meisten in dieser unsaubern Umgebung, ich sah sie im Geiste
schon zu Grunde gehen, der Straße oder dem Bordell anheimfallen
und beschloß, sie zu retten, es koste was es wolle. Sie kam pünkt¬
lich zu mir und war dieses Mal schon dreister. Ich ließ sie schrei¬
ben und lesen und war wirklich erstaunt über ihre Fertigkeit darin.
Sie erzählte mir, daß ihr Vater ein sehr geschickter Mann sei, sie
selber unterrichtet, und bevor er krank geworden, immer Abends mit
großer Strenge zum Lernen angehalten habe. Dies bestärkte mich
noch mehr, sie dem Elende und der niedern Sphäre zu entreißen, in
der sie geboren war; ich setzte den Eltern einen kleinen Monatsgehalt
aus und brachte Mathilden zu einer anständigen Frau, die sie im
Handarbeiten unterrichten und überhaupt aus ihr ein ordentliches,
gesittetes Mädchen machen sollte. Ich besuchte sie öfter und sah sie
zu meiner Freude immer größer, schöner und kräftiger werden. Doch
wie sich die guten Seiten ihres Wesens entwickelten, so auch die
schlechten, die sie durch ihre Erziehung erhalten hatte. So konnte sie
die Lebhaftigkeit und Ungezwungenheit ihres Charakters nicht unter¬
drücken, und wo sie ihrem Wesen die Zügel schießen ließ, sah ich mit
Beängstigung in ihr doch nur ein gewöhnliches Mädchen. Ich hatte
es mir so schön gedacht, aus dem armen Schwcfelholzlinde ein ge¬
bildetes Weib zu machen, sah aber bald meinen Traum immer mehr
und mehr zerrinnen. Als sie sich anfing wohler zu fühlen, wurde
sie auch vergnügungssüchtig, wollte, statt in die Kirche, auch Sonn¬
tags spazieren gehen und wußte mich endlich so gegen die strenge
Frau einzunehmen, bei der sie wohnte, daß ich sie von derselben
wegnahm und ihr die Stube miethete, die sie jetzt noch inne hat.
Da geht sie nun Abends, wenn sie nicht vermuthet, daß ich komme,
auf öffentliche Bälle und sagt mir rund heraus, daß sie sich lang-


aber seit einem halben Jahre, wo er das Nervenfieber bekommen,
todesmatt und fast ganz bewußtlos im Bett. In diesem Augenblick
drehte sich der Kranke herum und forderte mit matter Stimme, ohne
die Augen aufzuschlagen, einen Schluck warmen Kaffees. Aber das
feuchte Holz wollte durchaus nicht brennen, die arme Frau fing an
zu weinen, und die Scene wurde mir so herzzerreißend, der ungesunde
Dunst schnürte mir so fest die Kehle zu, daß mir unwohl wurde.
Ich ging, nachdem ich der Frau ein Geschenk gegeben und Mathil¬
den wieder zu mir bestellt hatte. Das arme schöne Kind dauerte
mich am meisten in dieser unsaubern Umgebung, ich sah sie im Geiste
schon zu Grunde gehen, der Straße oder dem Bordell anheimfallen
und beschloß, sie zu retten, es koste was es wolle. Sie kam pünkt¬
lich zu mir und war dieses Mal schon dreister. Ich ließ sie schrei¬
ben und lesen und war wirklich erstaunt über ihre Fertigkeit darin.
Sie erzählte mir, daß ihr Vater ein sehr geschickter Mann sei, sie
selber unterrichtet, und bevor er krank geworden, immer Abends mit
großer Strenge zum Lernen angehalten habe. Dies bestärkte mich
noch mehr, sie dem Elende und der niedern Sphäre zu entreißen, in
der sie geboren war; ich setzte den Eltern einen kleinen Monatsgehalt
aus und brachte Mathilden zu einer anständigen Frau, die sie im
Handarbeiten unterrichten und überhaupt aus ihr ein ordentliches,
gesittetes Mädchen machen sollte. Ich besuchte sie öfter und sah sie
zu meiner Freude immer größer, schöner und kräftiger werden. Doch
wie sich die guten Seiten ihres Wesens entwickelten, so auch die
schlechten, die sie durch ihre Erziehung erhalten hatte. So konnte sie
die Lebhaftigkeit und Ungezwungenheit ihres Charakters nicht unter¬
drücken, und wo sie ihrem Wesen die Zügel schießen ließ, sah ich mit
Beängstigung in ihr doch nur ein gewöhnliches Mädchen. Ich hatte
es mir so schön gedacht, aus dem armen Schwcfelholzlinde ein ge¬
bildetes Weib zu machen, sah aber bald meinen Traum immer mehr
und mehr zerrinnen. Als sie sich anfing wohler zu fühlen, wurde
sie auch vergnügungssüchtig, wollte, statt in die Kirche, auch Sonn¬
tags spazieren gehen und wußte mich endlich so gegen die strenge
Frau einzunehmen, bei der sie wohnte, daß ich sie von derselben
wegnahm und ihr die Stube miethete, die sie jetzt noch inne hat.
Da geht sie nun Abends, wenn sie nicht vermuthet, daß ich komme,
auf öffentliche Bälle und sagt mir rund heraus, daß sie sich lang-


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[0360] aber seit einem halben Jahre, wo er das Nervenfieber bekommen, todesmatt und fast ganz bewußtlos im Bett. In diesem Augenblick drehte sich der Kranke herum und forderte mit matter Stimme, ohne die Augen aufzuschlagen, einen Schluck warmen Kaffees. Aber das feuchte Holz wollte durchaus nicht brennen, die arme Frau fing an zu weinen, und die Scene wurde mir so herzzerreißend, der ungesunde Dunst schnürte mir so fest die Kehle zu, daß mir unwohl wurde. Ich ging, nachdem ich der Frau ein Geschenk gegeben und Mathil¬ den wieder zu mir bestellt hatte. Das arme schöne Kind dauerte mich am meisten in dieser unsaubern Umgebung, ich sah sie im Geiste schon zu Grunde gehen, der Straße oder dem Bordell anheimfallen und beschloß, sie zu retten, es koste was es wolle. Sie kam pünkt¬ lich zu mir und war dieses Mal schon dreister. Ich ließ sie schrei¬ ben und lesen und war wirklich erstaunt über ihre Fertigkeit darin. Sie erzählte mir, daß ihr Vater ein sehr geschickter Mann sei, sie selber unterrichtet, und bevor er krank geworden, immer Abends mit großer Strenge zum Lernen angehalten habe. Dies bestärkte mich noch mehr, sie dem Elende und der niedern Sphäre zu entreißen, in der sie geboren war; ich setzte den Eltern einen kleinen Monatsgehalt aus und brachte Mathilden zu einer anständigen Frau, die sie im Handarbeiten unterrichten und überhaupt aus ihr ein ordentliches, gesittetes Mädchen machen sollte. Ich besuchte sie öfter und sah sie zu meiner Freude immer größer, schöner und kräftiger werden. Doch wie sich die guten Seiten ihres Wesens entwickelten, so auch die schlechten, die sie durch ihre Erziehung erhalten hatte. So konnte sie die Lebhaftigkeit und Ungezwungenheit ihres Charakters nicht unter¬ drücken, und wo sie ihrem Wesen die Zügel schießen ließ, sah ich mit Beängstigung in ihr doch nur ein gewöhnliches Mädchen. Ich hatte es mir so schön gedacht, aus dem armen Schwcfelholzlinde ein ge¬ bildetes Weib zu machen, sah aber bald meinen Traum immer mehr und mehr zerrinnen. Als sie sich anfing wohler zu fühlen, wurde sie auch vergnügungssüchtig, wollte, statt in die Kirche, auch Sonn¬ tags spazieren gehen und wußte mich endlich so gegen die strenge Frau einzunehmen, bei der sie wohnte, daß ich sie von derselben wegnahm und ihr die Stube miethete, die sie jetzt noch inne hat. Da geht sie nun Abends, wenn sie nicht vermuthet, daß ich komme, auf öffentliche Bälle und sagt mir rund heraus, daß sie sich lang-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/360>, abgerufen am 23.07.2024.