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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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"Eines Morgens -- es sind jetzt zwei Jahre -- trat ein junges
Mädchen zu mir ein und bot mir Schwefelhölzer zum Verkauf an.
Das noch ganz junge Kind klapperte vor Frost mit den Zähnen,
denn eS war eine strenge Kälte, und sie war nur mit einem dünnen
Sommerkleidchen und einem kleinen zerrissenen Tuche bekleidet, daS
kaum den zarten, weißen Hals bedeckte. Dabei sah sie so frisch und
schön aus, wie eine eben aufgeblühte Rose. Ich ließ sie mit mir
Kaffee trinken und frühstücken und freute mich, wie gierig sie diese
für sie wahrscheinlich höchst seltenen Kostbarkeiten verschlang. Aber
sie war noch so blöde und schüchtern, daß sie sich weder zu setzen,
noch auf meine verschiedenen Fragen laut zu antworten wagte. Ich
entließ sie mit einem Geschenk und schrieb mir den Namen und die
Wohnung ihrer Eltern auf. Dieselbe war vor dem Hamburger
Thore in dem berüchtigten Voigtland, und einige Tage nachher machte
ich mich dahin auf den Weg. Ich trat in eins der großen Fami¬
lienhäuser; der Inspektor wies mich auf meine Frage nach einer nu-
merirten Thür. Ich klopfte mehrere Male an, da man es aber
drin nicht zu hören schien, trat ich näher. Ein Gemisch von aller¬
hand feuchte", unangenehmen Dünsten drang mir gleich so heftig
entgegen, daß ich mir das Tuch vor den Mund halten mußte. Und
denken Sie sich, im ganzen Zimmer nur ein einziges Bett, in dem
ein kranker Mann lag, der meinen Eintritt gar nicht zu bemerken
schien; das übrige Möbel bestand aus einem kleinen Tisch und eini¬
gen zerbrochenen Stühlen, die Fenster waren theils zerbrochen, theils
mit Papier verklebt. Sechs oder gar acht halb nackte, schmutzige
Kinder, von denen das Schwefelholzmädchen, die ich gleich erkannte,
die älteste zu sein schien, saßen theils weinend, theils spielend auf
dem Fußboden herum, und die Mutter war eben bemüht, die sehr
kalte Stube durch ein kleines Feuer ein wenig zu erwärmen. Ich
hatte schon eine Minute an der Thür gestanden und war von der
ganzen Familie mit glotzenden Augen betrachtet worden, als Mathilde
-- ich kann es Ihnen hier nur gleich sagen, dies war die Schwe-
felholzhändlerin -- mich erkannte und ihrer Mutter etwas in das
Ohr sagte. Die arme, kaum erst aus dem Wochenbett erstandene
Frau bot mir einen Stuhl an und schilderte mir bald ihre Lage.
Ihr Mann sei früher Buchbinder gewesen und zurückgekommen, habe
darauf hier herausziehen müssen und als Tagelöhner gearbeitet, liege


„Eines Morgens — es sind jetzt zwei Jahre — trat ein junges
Mädchen zu mir ein und bot mir Schwefelhölzer zum Verkauf an.
Das noch ganz junge Kind klapperte vor Frost mit den Zähnen,
denn eS war eine strenge Kälte, und sie war nur mit einem dünnen
Sommerkleidchen und einem kleinen zerrissenen Tuche bekleidet, daS
kaum den zarten, weißen Hals bedeckte. Dabei sah sie so frisch und
schön aus, wie eine eben aufgeblühte Rose. Ich ließ sie mit mir
Kaffee trinken und frühstücken und freute mich, wie gierig sie diese
für sie wahrscheinlich höchst seltenen Kostbarkeiten verschlang. Aber
sie war noch so blöde und schüchtern, daß sie sich weder zu setzen,
noch auf meine verschiedenen Fragen laut zu antworten wagte. Ich
entließ sie mit einem Geschenk und schrieb mir den Namen und die
Wohnung ihrer Eltern auf. Dieselbe war vor dem Hamburger
Thore in dem berüchtigten Voigtland, und einige Tage nachher machte
ich mich dahin auf den Weg. Ich trat in eins der großen Fami¬
lienhäuser; der Inspektor wies mich auf meine Frage nach einer nu-
merirten Thür. Ich klopfte mehrere Male an, da man es aber
drin nicht zu hören schien, trat ich näher. Ein Gemisch von aller¬
hand feuchte», unangenehmen Dünsten drang mir gleich so heftig
entgegen, daß ich mir das Tuch vor den Mund halten mußte. Und
denken Sie sich, im ganzen Zimmer nur ein einziges Bett, in dem
ein kranker Mann lag, der meinen Eintritt gar nicht zu bemerken
schien; das übrige Möbel bestand aus einem kleinen Tisch und eini¬
gen zerbrochenen Stühlen, die Fenster waren theils zerbrochen, theils
mit Papier verklebt. Sechs oder gar acht halb nackte, schmutzige
Kinder, von denen das Schwefelholzmädchen, die ich gleich erkannte,
die älteste zu sein schien, saßen theils weinend, theils spielend auf
dem Fußboden herum, und die Mutter war eben bemüht, die sehr
kalte Stube durch ein kleines Feuer ein wenig zu erwärmen. Ich
hatte schon eine Minute an der Thür gestanden und war von der
ganzen Familie mit glotzenden Augen betrachtet worden, als Mathilde
— ich kann es Ihnen hier nur gleich sagen, dies war die Schwe-
felholzhändlerin — mich erkannte und ihrer Mutter etwas in das
Ohr sagte. Die arme, kaum erst aus dem Wochenbett erstandene
Frau bot mir einen Stuhl an und schilderte mir bald ihre Lage.
Ihr Mann sei früher Buchbinder gewesen und zurückgekommen, habe
darauf hier herausziehen müssen und als Tagelöhner gearbeitet, liege


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[0359] „Eines Morgens — es sind jetzt zwei Jahre — trat ein junges Mädchen zu mir ein und bot mir Schwefelhölzer zum Verkauf an. Das noch ganz junge Kind klapperte vor Frost mit den Zähnen, denn eS war eine strenge Kälte, und sie war nur mit einem dünnen Sommerkleidchen und einem kleinen zerrissenen Tuche bekleidet, daS kaum den zarten, weißen Hals bedeckte. Dabei sah sie so frisch und schön aus, wie eine eben aufgeblühte Rose. Ich ließ sie mit mir Kaffee trinken und frühstücken und freute mich, wie gierig sie diese für sie wahrscheinlich höchst seltenen Kostbarkeiten verschlang. Aber sie war noch so blöde und schüchtern, daß sie sich weder zu setzen, noch auf meine verschiedenen Fragen laut zu antworten wagte. Ich entließ sie mit einem Geschenk und schrieb mir den Namen und die Wohnung ihrer Eltern auf. Dieselbe war vor dem Hamburger Thore in dem berüchtigten Voigtland, und einige Tage nachher machte ich mich dahin auf den Weg. Ich trat in eins der großen Fami¬ lienhäuser; der Inspektor wies mich auf meine Frage nach einer nu- merirten Thür. Ich klopfte mehrere Male an, da man es aber drin nicht zu hören schien, trat ich näher. Ein Gemisch von aller¬ hand feuchte», unangenehmen Dünsten drang mir gleich so heftig entgegen, daß ich mir das Tuch vor den Mund halten mußte. Und denken Sie sich, im ganzen Zimmer nur ein einziges Bett, in dem ein kranker Mann lag, der meinen Eintritt gar nicht zu bemerken schien; das übrige Möbel bestand aus einem kleinen Tisch und eini¬ gen zerbrochenen Stühlen, die Fenster waren theils zerbrochen, theils mit Papier verklebt. Sechs oder gar acht halb nackte, schmutzige Kinder, von denen das Schwefelholzmädchen, die ich gleich erkannte, die älteste zu sein schien, saßen theils weinend, theils spielend auf dem Fußboden herum, und die Mutter war eben bemüht, die sehr kalte Stube durch ein kleines Feuer ein wenig zu erwärmen. Ich hatte schon eine Minute an der Thür gestanden und war von der ganzen Familie mit glotzenden Augen betrachtet worden, als Mathilde — ich kann es Ihnen hier nur gleich sagen, dies war die Schwe- felholzhändlerin — mich erkannte und ihrer Mutter etwas in das Ohr sagte. Die arme, kaum erst aus dem Wochenbett erstandene Frau bot mir einen Stuhl an und schilderte mir bald ihre Lage. Ihr Mann sei früher Buchbinder gewesen und zurückgekommen, habe darauf hier herausziehen müssen und als Tagelöhner gearbeitet, liege

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/359>, abgerufen am 23.07.2024.