Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sie fest zurück. Das junge, schöne Mädchen, die sich wahrscheinlich
gleich schämte, daß ein Mann sie als Furie und in diesem zerzau¬
sten Aufzuge gesehen, ließ, noch zuckend an allen Gliedern, nach, und
eben hatte die Alte sich langsam erhoben, um mit neuer Wuth auf
sie loszugehen, als wir mit einem Male alle Thüren im ganzen
Hause gehen hörten. Von allen Treppen kam man herab, aus al¬
len Winkeln tauchten Gestalten und Gesichter, hohe weiße Nachtmüz-
zen und zerrissene Schlaf- und Unterröcke auf, es gab eine köstliche
Scene, eine solche ganze Hausgenossenschaft, aus dem Schlafe auf¬
geschreckt, im vollsten Neglige zusammenlaufen zu sehen, eine Schauer-
sccne, wie wenn im Robert der Teufel die Todten sich aus den Sär¬
gen erheben. Wie im Nu waren Alle zusammengeblasen und drängten
sich, mit theils schlaftrunkenen und ärgerlichen, theils neugierigen und
fragenden Blicken um das junge Mädchen, die, bleich wie ein Mar¬
morbild, den Kopf auf die Hand gestützt, auf der Treppe saß. Aber
um des Himmels willen, Mathilde, rief die Wirthin, was ist denn
los, wo kommen Sie denn so spät in der Nacht noch hier herunter?
-- Ja, kreischte nun die Alte, sie hat mich hier im Finstern überfal¬
len und geschlagen, ich habe mich nur gewehrt. -- Das zarte Mäd¬
chen überfällt Sie nicht, sagte der Alte aus der Konditorei, das ist
eine Lüge. -- Es ist doch möglich, meinte bedeutsam der hagere
Herr, seinen Paletot vorn zusammenhaltend, den er wahrscheinlich in
der Eile statt des Schlafrocks übergeworfen hatte, das Mädchen hat
einen kleinen Teufel im Leibe und kann maliciös sein, trotz Einer.
-- Ein kleines Nachtstückchen, ein nächtliches Abenteuer, lachten meh¬
rere junge Männer mit sorgsam gewickelten Locken. Sie wollte mich auch
einmal schlagen, das alte Frauenzimmer, sagte das Guitarremäd¬
chen, es kann ihr gar Nichts schaden, Mathilde, wenn Sie es ihr
einmal recht tüchtig abgegeben haben. -- Meine Frau sagt, daß so
etwas im Hause nicht vorfallen darf, meinte Herr Wonnig, sich mit
Anstrengung ein gewichtiges Air gebend, und dabei zitternd vor Frost,
da er auf bloßen Füßen stand. Während dieses Hin- und Herge-
redcs hatte Madame Wonnig das Verhör begonnen; die beiden
Frauenzimmer schrien, indem sie sich die gegenseitige Anreizung vor¬
warfen, die Uebrigen sprachen mit und gaben, abwechselnd, bald der
Alten, bald der Jungen Recht, bis die Majorität endlich auf Seiten
der letzteren war und die Alte von den Wirthsleuten zur Ruhe und


sie fest zurück. Das junge, schöne Mädchen, die sich wahrscheinlich
gleich schämte, daß ein Mann sie als Furie und in diesem zerzau¬
sten Aufzuge gesehen, ließ, noch zuckend an allen Gliedern, nach, und
eben hatte die Alte sich langsam erhoben, um mit neuer Wuth auf
sie loszugehen, als wir mit einem Male alle Thüren im ganzen
Hause gehen hörten. Von allen Treppen kam man herab, aus al¬
len Winkeln tauchten Gestalten und Gesichter, hohe weiße Nachtmüz-
zen und zerrissene Schlaf- und Unterröcke auf, es gab eine köstliche
Scene, eine solche ganze Hausgenossenschaft, aus dem Schlafe auf¬
geschreckt, im vollsten Neglige zusammenlaufen zu sehen, eine Schauer-
sccne, wie wenn im Robert der Teufel die Todten sich aus den Sär¬
gen erheben. Wie im Nu waren Alle zusammengeblasen und drängten
sich, mit theils schlaftrunkenen und ärgerlichen, theils neugierigen und
fragenden Blicken um das junge Mädchen, die, bleich wie ein Mar¬
morbild, den Kopf auf die Hand gestützt, auf der Treppe saß. Aber
um des Himmels willen, Mathilde, rief die Wirthin, was ist denn
los, wo kommen Sie denn so spät in der Nacht noch hier herunter?
— Ja, kreischte nun die Alte, sie hat mich hier im Finstern überfal¬
len und geschlagen, ich habe mich nur gewehrt. — Das zarte Mäd¬
chen überfällt Sie nicht, sagte der Alte aus der Konditorei, das ist
eine Lüge. — Es ist doch möglich, meinte bedeutsam der hagere
Herr, seinen Paletot vorn zusammenhaltend, den er wahrscheinlich in
der Eile statt des Schlafrocks übergeworfen hatte, das Mädchen hat
einen kleinen Teufel im Leibe und kann maliciös sein, trotz Einer.
— Ein kleines Nachtstückchen, ein nächtliches Abenteuer, lachten meh¬
rere junge Männer mit sorgsam gewickelten Locken. Sie wollte mich auch
einmal schlagen, das alte Frauenzimmer, sagte das Guitarremäd¬
chen, es kann ihr gar Nichts schaden, Mathilde, wenn Sie es ihr
einmal recht tüchtig abgegeben haben. — Meine Frau sagt, daß so
etwas im Hause nicht vorfallen darf, meinte Herr Wonnig, sich mit
Anstrengung ein gewichtiges Air gebend, und dabei zitternd vor Frost,
da er auf bloßen Füßen stand. Während dieses Hin- und Herge-
redcs hatte Madame Wonnig das Verhör begonnen; die beiden
Frauenzimmer schrien, indem sie sich die gegenseitige Anreizung vor¬
warfen, die Uebrigen sprachen mit und gaben, abwechselnd, bald der
Alten, bald der Jungen Recht, bis die Majorität endlich auf Seiten
der letzteren war und die Alte von den Wirthsleuten zur Ruhe und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180910"/>
              <p xml:id="ID_838" prev="#ID_837" next="#ID_839"> sie fest zurück. Das junge, schöne Mädchen, die sich wahrscheinlich<lb/>
gleich schämte, daß ein Mann sie als Furie und in diesem zerzau¬<lb/>
sten Aufzuge gesehen, ließ, noch zuckend an allen Gliedern, nach, und<lb/>
eben hatte die Alte sich langsam erhoben, um mit neuer Wuth auf<lb/>
sie loszugehen, als wir mit einem Male alle Thüren im ganzen<lb/>
Hause gehen hörten. Von allen Treppen kam man herab, aus al¬<lb/>
len Winkeln tauchten Gestalten und Gesichter, hohe weiße Nachtmüz-<lb/>
zen und zerrissene Schlaf- und Unterröcke auf, es gab eine köstliche<lb/>
Scene, eine solche ganze Hausgenossenschaft, aus dem Schlafe auf¬<lb/>
geschreckt, im vollsten Neglige zusammenlaufen zu sehen, eine Schauer-<lb/>
sccne, wie wenn im Robert der Teufel die Todten sich aus den Sär¬<lb/>
gen erheben. Wie im Nu waren Alle zusammengeblasen und drängten<lb/>
sich, mit theils schlaftrunkenen und ärgerlichen, theils neugierigen und<lb/>
fragenden Blicken um das junge Mädchen, die, bleich wie ein Mar¬<lb/>
morbild, den Kopf auf die Hand gestützt, auf der Treppe saß. Aber<lb/>
um des Himmels willen, Mathilde, rief die Wirthin, was ist denn<lb/>
los, wo kommen Sie denn so spät in der Nacht noch hier herunter?<lb/>
&#x2014; Ja, kreischte nun die Alte, sie hat mich hier im Finstern überfal¬<lb/>
len und geschlagen, ich habe mich nur gewehrt. &#x2014; Das zarte Mäd¬<lb/>
chen überfällt Sie nicht, sagte der Alte aus der Konditorei, das ist<lb/>
eine Lüge. &#x2014; Es ist doch möglich, meinte bedeutsam der hagere<lb/>
Herr, seinen Paletot vorn zusammenhaltend, den er wahrscheinlich in<lb/>
der Eile statt des Schlafrocks übergeworfen hatte, das Mädchen hat<lb/>
einen kleinen Teufel im Leibe und kann maliciös sein, trotz Einer.<lb/>
&#x2014; Ein kleines Nachtstückchen, ein nächtliches Abenteuer, lachten meh¬<lb/>
rere junge Männer mit sorgsam gewickelten Locken. Sie wollte mich auch<lb/>
einmal schlagen, das alte Frauenzimmer, sagte das Guitarremäd¬<lb/>
chen, es kann ihr gar Nichts schaden, Mathilde, wenn Sie es ihr<lb/>
einmal recht tüchtig abgegeben haben. &#x2014; Meine Frau sagt, daß so<lb/>
etwas im Hause nicht vorfallen darf, meinte Herr Wonnig, sich mit<lb/>
Anstrengung ein gewichtiges Air gebend, und dabei zitternd vor Frost,<lb/>
da er auf bloßen Füßen stand. Während dieses Hin- und Herge-<lb/>
redcs hatte Madame Wonnig das Verhör begonnen; die beiden<lb/>
Frauenzimmer schrien, indem sie sich die gegenseitige Anreizung vor¬<lb/>
warfen, die Uebrigen sprachen mit und gaben, abwechselnd, bald der<lb/>
Alten, bald der Jungen Recht, bis die Majorität endlich auf Seiten<lb/>
der letzteren war und die Alte von den Wirthsleuten zur Ruhe und</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] sie fest zurück. Das junge, schöne Mädchen, die sich wahrscheinlich gleich schämte, daß ein Mann sie als Furie und in diesem zerzau¬ sten Aufzuge gesehen, ließ, noch zuckend an allen Gliedern, nach, und eben hatte die Alte sich langsam erhoben, um mit neuer Wuth auf sie loszugehen, als wir mit einem Male alle Thüren im ganzen Hause gehen hörten. Von allen Treppen kam man herab, aus al¬ len Winkeln tauchten Gestalten und Gesichter, hohe weiße Nachtmüz- zen und zerrissene Schlaf- und Unterröcke auf, es gab eine köstliche Scene, eine solche ganze Hausgenossenschaft, aus dem Schlafe auf¬ geschreckt, im vollsten Neglige zusammenlaufen zu sehen, eine Schauer- sccne, wie wenn im Robert der Teufel die Todten sich aus den Sär¬ gen erheben. Wie im Nu waren Alle zusammengeblasen und drängten sich, mit theils schlaftrunkenen und ärgerlichen, theils neugierigen und fragenden Blicken um das junge Mädchen, die, bleich wie ein Mar¬ morbild, den Kopf auf die Hand gestützt, auf der Treppe saß. Aber um des Himmels willen, Mathilde, rief die Wirthin, was ist denn los, wo kommen Sie denn so spät in der Nacht noch hier herunter? — Ja, kreischte nun die Alte, sie hat mich hier im Finstern überfal¬ len und geschlagen, ich habe mich nur gewehrt. — Das zarte Mäd¬ chen überfällt Sie nicht, sagte der Alte aus der Konditorei, das ist eine Lüge. — Es ist doch möglich, meinte bedeutsam der hagere Herr, seinen Paletot vorn zusammenhaltend, den er wahrscheinlich in der Eile statt des Schlafrocks übergeworfen hatte, das Mädchen hat einen kleinen Teufel im Leibe und kann maliciös sein, trotz Einer. — Ein kleines Nachtstückchen, ein nächtliches Abenteuer, lachten meh¬ rere junge Männer mit sorgsam gewickelten Locken. Sie wollte mich auch einmal schlagen, das alte Frauenzimmer, sagte das Guitarremäd¬ chen, es kann ihr gar Nichts schaden, Mathilde, wenn Sie es ihr einmal recht tüchtig abgegeben haben. — Meine Frau sagt, daß so etwas im Hause nicht vorfallen darf, meinte Herr Wonnig, sich mit Anstrengung ein gewichtiges Air gebend, und dabei zitternd vor Frost, da er auf bloßen Füßen stand. Während dieses Hin- und Herge- redcs hatte Madame Wonnig das Verhör begonnen; die beiden Frauenzimmer schrien, indem sie sich die gegenseitige Anreizung vor¬ warfen, die Uebrigen sprachen mit und gaben, abwechselnd, bald der Alten, bald der Jungen Recht, bis die Majorität endlich auf Seiten der letzteren war und die Alte von den Wirthsleuten zur Ruhe und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/351>, abgerufen am 23.07.2024.