Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.Ecke No, 44, wo das gute baierische Bier ist und die Herren Stu¬ So hatte ich einige Wochen ruhig in dem Hause verlebt, als Ecke No, 44, wo das gute baierische Bier ist und die Herren Stu¬ So hatte ich einige Wochen ruhig in dem Hause verlebt, als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180909"/> <p xml:id="ID_836" prev="#ID_835"> Ecke No, 44, wo das gute baierische Bier ist und die Herren Stu¬<lb/> denten hinkommen. Mit dieser Antwort verschwand sie durch die<lb/> Hofthür, und ich wäre ihr gern nachgefolgt, um zu sehen, wo sie<lb/> denn auf dem kleinen engen Hofe, den die liebenswürdige Professo¬<lb/> rin schon inne hatte, noch eine Wohnstätte haben könne, wenn ich<lb/> nicht gefürchtet hätte, von ihr bemerkt zu werden. Ich war<lb/> zufrieden, vier meiner Hausgenossen auf so, nächtlich abenteuerliche<lb/> Weise kennen gelernt zu haben und ein Interesse an dem Minia¬<lb/> turhause in mir entstehen zu sehen. Doch war ich damals zu be¬<lb/> schäftigt, um selber nähere Nachforschungen anzustellen; und sich bei<lb/> Wirthsleuten nach Bewohnern desselben Hauses erkundigen, ist in<lb/> Berlin nicht gerathen Ich sah wohl den hagern Herrn in seiner<lb/> steifen Halsbinde jeden Morgen um neun Uhr unter meinem Fenster<lb/> weggehen, hörte die Alte sich Abends mit ihrem Amand unterhalten,<lb/> zanken und raisonniren, auch wohl bei mir anklopfen, ohne daß ich<lb/> sie einließ, sprach auch wohl hie und da mit Herrn und Madame<lb/> Wonnig, wobei ich die Bemerkung machte, daß, wenn Herr Wonnig<lb/> sich über die schlechten, theuern Zeiten beklagen wollte, seine gern<lb/> prahlende Gattin ihn sogleich mit strengen Blicken zurechtwies —<lb/> sonst hatte ich aber nichts Interessantes weiter erfahren.</p><lb/> </div> <div n="3"> <head/><lb/> <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> So hatte ich einige Wochen ruhig in dem Hause verlebt, als<lb/> ich einst in der Nacht durch ein fürchterliches Weibergeschrei aus dem<lb/> Schlafe geweckt wurde. Ich sprang sogleich aus dem Bett, zündete<lb/> Licht an und sah bald auf dem ereignißreichen Hausflur die alte<lb/> Professorin in einem tragikomischen Kampfe mit einer jüngeren Per¬<lb/> son begriffen. Die Letztere hatte die Alte bei ihren herabhängenden<lb/> Haaren gepackt und wollte sie unter fürchterlichen Anstrengungen zur<lb/> Erde niederzausen; diese, sich noch haltend, schlug ihr mit ihren dür¬<lb/> ren Knochenhänden, ohne nachzulassen, in das wüthende, glühende<lb/> Gesicht. Dabei fiel ein wahrer Hagel kräftiger Schimpfreden zwischen<lb/> Beiden, so daß ich mich wirklich schwer entschließen konnte, das amü¬<lb/> sante Schauspiel durch meine Dazwischenkamst zu stören. Die Weiber<lb/> bemerkten mich in ihrer Wuth nicht, und erst als die Alte am Boden<lb/> lag und die Andere sich wie eine Rasende auf sie stürzte, als wolle<lb/> sie sie mit ihren Füßen zertreten, ergriff ich sie beim Arm und hielt</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0350]
Ecke No, 44, wo das gute baierische Bier ist und die Herren Stu¬
denten hinkommen. Mit dieser Antwort verschwand sie durch die
Hofthür, und ich wäre ihr gern nachgefolgt, um zu sehen, wo sie
denn auf dem kleinen engen Hofe, den die liebenswürdige Professo¬
rin schon inne hatte, noch eine Wohnstätte haben könne, wenn ich
nicht gefürchtet hätte, von ihr bemerkt zu werden. Ich war
zufrieden, vier meiner Hausgenossen auf so, nächtlich abenteuerliche
Weise kennen gelernt zu haben und ein Interesse an dem Minia¬
turhause in mir entstehen zu sehen. Doch war ich damals zu be¬
schäftigt, um selber nähere Nachforschungen anzustellen; und sich bei
Wirthsleuten nach Bewohnern desselben Hauses erkundigen, ist in
Berlin nicht gerathen Ich sah wohl den hagern Herrn in seiner
steifen Halsbinde jeden Morgen um neun Uhr unter meinem Fenster
weggehen, hörte die Alte sich Abends mit ihrem Amand unterhalten,
zanken und raisonniren, auch wohl bei mir anklopfen, ohne daß ich
sie einließ, sprach auch wohl hie und da mit Herrn und Madame
Wonnig, wobei ich die Bemerkung machte, daß, wenn Herr Wonnig
sich über die schlechten, theuern Zeiten beklagen wollte, seine gern
prahlende Gattin ihn sogleich mit strengen Blicken zurechtwies —
sonst hatte ich aber nichts Interessantes weiter erfahren.
So hatte ich einige Wochen ruhig in dem Hause verlebt, als
ich einst in der Nacht durch ein fürchterliches Weibergeschrei aus dem
Schlafe geweckt wurde. Ich sprang sogleich aus dem Bett, zündete
Licht an und sah bald auf dem ereignißreichen Hausflur die alte
Professorin in einem tragikomischen Kampfe mit einer jüngeren Per¬
son begriffen. Die Letztere hatte die Alte bei ihren herabhängenden
Haaren gepackt und wollte sie unter fürchterlichen Anstrengungen zur
Erde niederzausen; diese, sich noch haltend, schlug ihr mit ihren dür¬
ren Knochenhänden, ohne nachzulassen, in das wüthende, glühende
Gesicht. Dabei fiel ein wahrer Hagel kräftiger Schimpfreden zwischen
Beiden, so daß ich mich wirklich schwer entschließen konnte, das amü¬
sante Schauspiel durch meine Dazwischenkamst zu stören. Die Weiber
bemerkten mich in ihrer Wuth nicht, und erst als die Alte am Boden
lag und die Andere sich wie eine Rasende auf sie stürzte, als wolle
sie sie mit ihren Füßen zertreten, ergriff ich sie beim Arm und hielt
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