Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bei ihr thut, und kommt der einmal nicht, so läuft sie die ganze
Nacht im Hause umher, spricht mit sich selber und klopft bei den
Männern an die Thüren. Sie ist der Satan des ganzen Hauses
und hetzt alle Leute auf einander. Sie war bei mir auch schon, ich
habe dem Wirth längst gerathen, sie aus dem Hause zu schaffen.
Ich wollte mich eben in ein längeres Gespräch mit ihm einlassen,
als ich schon wieder den Schlüssel in der Hausthür herumdrehen
horte. Im Scheine des Lichts, das durch meine geöffnete Thür fiel,
sah ich drei Personen eintreten, bei deren Erscheinen sich der alte
Herr mit einem leisen Kopfnicken gegen mich empfahl. Die Ein¬
tretenden, wahrscheinlich überrascht, in der Nacht noch Jemanden
auf dem Flur zu treffen, brachen Plötzlich ihr lebhast geführtes Ge¬
spräch ab; der Eine, ein etwas spindeldürrer Herr im Paletot und
einer sehr steifen Halsbinde, der sich gewaltig bücken mußte, um mit
seiner langen Figur durch die niedrige Hausthür zu kommen, schritt,
ohne sich umzusehen oder noch ein Wort zu sagen, die naheliegende
Treppe in jener gemessenen Haltung hinan, in der wir sogleich den
preußischen Beamten erkennen; die andern Beiden, die ihm lachend
nachblickten, waren ein, dem Anscheine nach, noch junges Frauenzim¬
mer im Mantel und Hut, deren Gesichtszüge ich nicht genau erken¬
nen konnte, und ein stämmiger, roth und verdrüßlich aussehender
Bursche von etwa neunzehn bis zwanzig Jahren, an dem ich nur
noch bemerkte, daß der graue Macintosh, in den er seine kleine ge¬
drungene Gestalt einhüllte, ihm in ungehörig schlotternder Länge ge¬
gen alle Mode fast bis zu den Füßen hing und daß seine hohe pol¬
nische Pelzmütze, seit einigen Wintern die neue Zierde der Berliner
Droschkenkutscher, sehr wunde Stellen hatte. Uebrigens trug er eine
Guitarre in der Hand, die er nach kurzem Zögern und Besinnen seiner
Dame übergab, und dann ging er ebenfalls wieder weg. Gute Nacht,
lieber Alir^ sagte diese noch, und ich befand mich mit ihr allein auf
dem Flur.-- So spät haben Sie noch musicirt, mein Fräulein? fragte
ich, in mein Zimmer tretend. -- Ach, sagte sie, ,das ist heut sogar
recht früh geworden; sonst komme ich gewöhnlich noch später vom
Singen nach Hause. Ich merkte an diesen Worten, daß die Kunst
wahrscheinlich ihr Gewerbe sei, und frug deshalb, wo sie dieselbe
producire. -- Das ist verschieden, meinte sie, wie es sich gerade
trifft, manchmal hier, manchmal dort, gewöhnlich aber hier um die


bei ihr thut, und kommt der einmal nicht, so läuft sie die ganze
Nacht im Hause umher, spricht mit sich selber und klopft bei den
Männern an die Thüren. Sie ist der Satan des ganzen Hauses
und hetzt alle Leute auf einander. Sie war bei mir auch schon, ich
habe dem Wirth längst gerathen, sie aus dem Hause zu schaffen.
Ich wollte mich eben in ein längeres Gespräch mit ihm einlassen,
als ich schon wieder den Schlüssel in der Hausthür herumdrehen
horte. Im Scheine des Lichts, das durch meine geöffnete Thür fiel,
sah ich drei Personen eintreten, bei deren Erscheinen sich der alte
Herr mit einem leisen Kopfnicken gegen mich empfahl. Die Ein¬
tretenden, wahrscheinlich überrascht, in der Nacht noch Jemanden
auf dem Flur zu treffen, brachen Plötzlich ihr lebhast geführtes Ge¬
spräch ab; der Eine, ein etwas spindeldürrer Herr im Paletot und
einer sehr steifen Halsbinde, der sich gewaltig bücken mußte, um mit
seiner langen Figur durch die niedrige Hausthür zu kommen, schritt,
ohne sich umzusehen oder noch ein Wort zu sagen, die naheliegende
Treppe in jener gemessenen Haltung hinan, in der wir sogleich den
preußischen Beamten erkennen; die andern Beiden, die ihm lachend
nachblickten, waren ein, dem Anscheine nach, noch junges Frauenzim¬
mer im Mantel und Hut, deren Gesichtszüge ich nicht genau erken¬
nen konnte, und ein stämmiger, roth und verdrüßlich aussehender
Bursche von etwa neunzehn bis zwanzig Jahren, an dem ich nur
noch bemerkte, daß der graue Macintosh, in den er seine kleine ge¬
drungene Gestalt einhüllte, ihm in ungehörig schlotternder Länge ge¬
gen alle Mode fast bis zu den Füßen hing und daß seine hohe pol¬
nische Pelzmütze, seit einigen Wintern die neue Zierde der Berliner
Droschkenkutscher, sehr wunde Stellen hatte. Uebrigens trug er eine
Guitarre in der Hand, die er nach kurzem Zögern und Besinnen seiner
Dame übergab, und dann ging er ebenfalls wieder weg. Gute Nacht,
lieber Alir^ sagte diese noch, und ich befand mich mit ihr allein auf
dem Flur.— So spät haben Sie noch musicirt, mein Fräulein? fragte
ich, in mein Zimmer tretend. — Ach, sagte sie, ,das ist heut sogar
recht früh geworden; sonst komme ich gewöhnlich noch später vom
Singen nach Hause. Ich merkte an diesen Worten, daß die Kunst
wahrscheinlich ihr Gewerbe sei, und frug deshalb, wo sie dieselbe
producire. — Das ist verschieden, meinte sie, wie es sich gerade
trifft, manchmal hier, manchmal dort, gewöhnlich aber hier um die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180908"/>
              <p xml:id="ID_835" prev="#ID_834" next="#ID_836"> bei ihr thut, und kommt der einmal nicht, so läuft sie die ganze<lb/>
Nacht im Hause umher, spricht mit sich selber und klopft bei den<lb/>
Männern an die Thüren. Sie ist der Satan des ganzen Hauses<lb/>
und hetzt alle Leute auf einander. Sie war bei mir auch schon, ich<lb/>
habe dem Wirth längst gerathen, sie aus dem Hause zu schaffen.<lb/>
Ich wollte mich eben in ein längeres Gespräch mit ihm einlassen,<lb/>
als ich schon wieder den Schlüssel in der Hausthür herumdrehen<lb/>
horte. Im Scheine des Lichts, das durch meine geöffnete Thür fiel,<lb/>
sah ich drei Personen eintreten, bei deren Erscheinen sich der alte<lb/>
Herr mit einem leisen Kopfnicken gegen mich empfahl. Die Ein¬<lb/>
tretenden, wahrscheinlich überrascht, in der Nacht noch Jemanden<lb/>
auf dem Flur zu treffen, brachen Plötzlich ihr lebhast geführtes Ge¬<lb/>
spräch ab; der Eine, ein etwas spindeldürrer Herr im Paletot und<lb/>
einer sehr steifen Halsbinde, der sich gewaltig bücken mußte, um mit<lb/>
seiner langen Figur durch die niedrige Hausthür zu kommen, schritt,<lb/>
ohne sich umzusehen oder noch ein Wort zu sagen, die naheliegende<lb/>
Treppe in jener gemessenen Haltung hinan, in der wir sogleich den<lb/>
preußischen Beamten erkennen; die andern Beiden, die ihm lachend<lb/>
nachblickten, waren ein, dem Anscheine nach, noch junges Frauenzim¬<lb/>
mer im Mantel und Hut, deren Gesichtszüge ich nicht genau erken¬<lb/>
nen konnte, und ein stämmiger, roth und verdrüßlich aussehender<lb/>
Bursche von etwa neunzehn bis zwanzig Jahren, an dem ich nur<lb/>
noch bemerkte, daß der graue Macintosh, in den er seine kleine ge¬<lb/>
drungene Gestalt einhüllte, ihm in ungehörig schlotternder Länge ge¬<lb/>
gen alle Mode fast bis zu den Füßen hing und daß seine hohe pol¬<lb/>
nische Pelzmütze, seit einigen Wintern die neue Zierde der Berliner<lb/>
Droschkenkutscher, sehr wunde Stellen hatte. Uebrigens trug er eine<lb/>
Guitarre in der Hand, die er nach kurzem Zögern und Besinnen seiner<lb/>
Dame übergab, und dann ging er ebenfalls wieder weg. Gute Nacht,<lb/>
lieber Alir^ sagte diese noch, und ich befand mich mit ihr allein auf<lb/>
dem Flur.&#x2014; So spät haben Sie noch musicirt, mein Fräulein? fragte<lb/>
ich, in mein Zimmer tretend. &#x2014; Ach, sagte sie, ,das ist heut sogar<lb/>
recht früh geworden; sonst komme ich gewöhnlich noch später vom<lb/>
Singen nach Hause. Ich merkte an diesen Worten, daß die Kunst<lb/>
wahrscheinlich ihr Gewerbe sei, und frug deshalb, wo sie dieselbe<lb/>
producire. &#x2014; Das ist verschieden, meinte sie, wie es sich gerade<lb/>
trifft, manchmal hier, manchmal dort, gewöhnlich aber hier um die</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0349] bei ihr thut, und kommt der einmal nicht, so läuft sie die ganze Nacht im Hause umher, spricht mit sich selber und klopft bei den Männern an die Thüren. Sie ist der Satan des ganzen Hauses und hetzt alle Leute auf einander. Sie war bei mir auch schon, ich habe dem Wirth längst gerathen, sie aus dem Hause zu schaffen. Ich wollte mich eben in ein längeres Gespräch mit ihm einlassen, als ich schon wieder den Schlüssel in der Hausthür herumdrehen horte. Im Scheine des Lichts, das durch meine geöffnete Thür fiel, sah ich drei Personen eintreten, bei deren Erscheinen sich der alte Herr mit einem leisen Kopfnicken gegen mich empfahl. Die Ein¬ tretenden, wahrscheinlich überrascht, in der Nacht noch Jemanden auf dem Flur zu treffen, brachen Plötzlich ihr lebhast geführtes Ge¬ spräch ab; der Eine, ein etwas spindeldürrer Herr im Paletot und einer sehr steifen Halsbinde, der sich gewaltig bücken mußte, um mit seiner langen Figur durch die niedrige Hausthür zu kommen, schritt, ohne sich umzusehen oder noch ein Wort zu sagen, die naheliegende Treppe in jener gemessenen Haltung hinan, in der wir sogleich den preußischen Beamten erkennen; die andern Beiden, die ihm lachend nachblickten, waren ein, dem Anscheine nach, noch junges Frauenzim¬ mer im Mantel und Hut, deren Gesichtszüge ich nicht genau erken¬ nen konnte, und ein stämmiger, roth und verdrüßlich aussehender Bursche von etwa neunzehn bis zwanzig Jahren, an dem ich nur noch bemerkte, daß der graue Macintosh, in den er seine kleine ge¬ drungene Gestalt einhüllte, ihm in ungehörig schlotternder Länge ge¬ gen alle Mode fast bis zu den Füßen hing und daß seine hohe pol¬ nische Pelzmütze, seit einigen Wintern die neue Zierde der Berliner Droschkenkutscher, sehr wunde Stellen hatte. Uebrigens trug er eine Guitarre in der Hand, die er nach kurzem Zögern und Besinnen seiner Dame übergab, und dann ging er ebenfalls wieder weg. Gute Nacht, lieber Alir^ sagte diese noch, und ich befand mich mit ihr allein auf dem Flur.— So spät haben Sie noch musicirt, mein Fräulein? fragte ich, in mein Zimmer tretend. — Ach, sagte sie, ,das ist heut sogar recht früh geworden; sonst komme ich gewöhnlich noch später vom Singen nach Hause. Ich merkte an diesen Worten, daß die Kunst wahrscheinlich ihr Gewerbe sei, und frug deshalb, wo sie dieselbe producire. — Das ist verschieden, meinte sie, wie es sich gerade trifft, manchmal hier, manchmal dort, gewöhnlich aber hier um die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/349
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/349>, abgerufen am 22.12.2024.