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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Jetzt wollen wir noch die Hauptzüge einer der jüngsten und
interessantesten Frauengestalten Balzac's geben, der Madame de Mort-
sauf (le 1^8 <l.; l" V-l"6e). Madame de Mortsauf ist 27 Jahre
alt. Zwischen den beiden Porträts liegt ein Zeitraum von I8K
Jahren.

"Ihre runde Stirn, vorspringend wie die der Jucunde, schien er¬
füllt zu sein von unausgesprochenen Gedanken, von zurückgedrängten
Gefühlen, von Blumen, ertränkt von bittern Wassern; ihre grünli¬
chen Augen, eingefaßt von braunen Pünktchen, waren immer matt;
aber wenn es sich um ihre Kinder handelte, erglänzte in ihrem
Auge plötzlich ein zartes Leuchten, das sich in den Quellen des Le¬
bens zu entzünden schien, als wolle es sie austrocknen. Eine griechi-
sche Nase, als wäre sie von Phidias gemeißelt, und durch einen dop¬
pelten Bogen mit den zierlich geschwungenen Lippen verbunden, ver¬
geistigte ihr ovales Gesicht, dessen Teint, dem Gewebe der weißen
Camellie gleichend, auf den Wangen sich in lieblichen rosigen Tönen
röthete. Ihre Fülle störte weder die Anmuth ihres Wuchses, noch
den sanften Schwung der Umrisse, welcher nothwendig war, damit
ihre Formen schön blieben, obgleich sie entwickelt waren. Ein zarter
Flaum schwand die Wange hinab bis auf die Halbfläche der Schul¬
ter, das Licht dort festhaltend, daß es seidenartig glänzte. Ihre Oh¬
ren, klein und wohlgestaltet, waren nach ihren eigenen Worten die
Ohren einer Sklavin und einer Mutter; ihre Arme waren schön,
ihre Hände, deren Finger sich leise aufwärts bogen, waren lang,
und wie bei den antiken Statuen, bilvete das Fleisch an den Sei¬
ten der Nägel einen zarten Saum. Ihr Körper hatte die Frische,
welche wir an ebenentfalteten Blättern bewundern; ihr Geist hatte
die tiefe Jntensivität des Wilden; sie war ein Kind durch ihr Ge¬
fühl, ernst durch ihre Leiden, jungfräulich und verbuhlt zugleich. So
gefiel sie ohne Kunst durch ihre Art sich zu setzen, aufzustehen, zu
schweigen, und ein flüchtiges Wort fallen zu lassen. Ihre Art, die
Endungen in i zu sprechen, erinnerte an den Gesang eines Vogels;
ihr el, tönte wie eine Liebkosung, und die Art, mit der sie das t
hervorstieß, verrieth einen Despotismus des Herzens. So erweiterte
sie, ohne es zu wissen, den Sinn der Worte und riß den Zuhörer
mit sich in unbekannte Welten fort."


Jetzt wollen wir noch die Hauptzüge einer der jüngsten und
interessantesten Frauengestalten Balzac's geben, der Madame de Mort-
sauf (le 1^8 <l.; l» V-l»6e). Madame de Mortsauf ist 27 Jahre
alt. Zwischen den beiden Porträts liegt ein Zeitraum von I8K
Jahren.

„Ihre runde Stirn, vorspringend wie die der Jucunde, schien er¬
füllt zu sein von unausgesprochenen Gedanken, von zurückgedrängten
Gefühlen, von Blumen, ertränkt von bittern Wassern; ihre grünli¬
chen Augen, eingefaßt von braunen Pünktchen, waren immer matt;
aber wenn es sich um ihre Kinder handelte, erglänzte in ihrem
Auge plötzlich ein zartes Leuchten, das sich in den Quellen des Le¬
bens zu entzünden schien, als wolle es sie austrocknen. Eine griechi-
sche Nase, als wäre sie von Phidias gemeißelt, und durch einen dop¬
pelten Bogen mit den zierlich geschwungenen Lippen verbunden, ver¬
geistigte ihr ovales Gesicht, dessen Teint, dem Gewebe der weißen
Camellie gleichend, auf den Wangen sich in lieblichen rosigen Tönen
röthete. Ihre Fülle störte weder die Anmuth ihres Wuchses, noch
den sanften Schwung der Umrisse, welcher nothwendig war, damit
ihre Formen schön blieben, obgleich sie entwickelt waren. Ein zarter
Flaum schwand die Wange hinab bis auf die Halbfläche der Schul¬
ter, das Licht dort festhaltend, daß es seidenartig glänzte. Ihre Oh¬
ren, klein und wohlgestaltet, waren nach ihren eigenen Worten die
Ohren einer Sklavin und einer Mutter; ihre Arme waren schön,
ihre Hände, deren Finger sich leise aufwärts bogen, waren lang,
und wie bei den antiken Statuen, bilvete das Fleisch an den Sei¬
ten der Nägel einen zarten Saum. Ihr Körper hatte die Frische,
welche wir an ebenentfalteten Blättern bewundern; ihr Geist hatte
die tiefe Jntensivität des Wilden; sie war ein Kind durch ihr Ge¬
fühl, ernst durch ihre Leiden, jungfräulich und verbuhlt zugleich. So
gefiel sie ohne Kunst durch ihre Art sich zu setzen, aufzustehen, zu
schweigen, und ein flüchtiges Wort fallen zu lassen. Ihre Art, die
Endungen in i zu sprechen, erinnerte an den Gesang eines Vogels;
ihr el, tönte wie eine Liebkosung, und die Art, mit der sie das t
hervorstieß, verrieth einen Despotismus des Herzens. So erweiterte
sie, ohne es zu wissen, den Sinn der Worte und riß den Zuhörer
mit sich in unbekannte Welten fort."


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[0034] Jetzt wollen wir noch die Hauptzüge einer der jüngsten und interessantesten Frauengestalten Balzac's geben, der Madame de Mort- sauf (le 1^8 <l.; l» V-l»6e). Madame de Mortsauf ist 27 Jahre alt. Zwischen den beiden Porträts liegt ein Zeitraum von I8K Jahren. „Ihre runde Stirn, vorspringend wie die der Jucunde, schien er¬ füllt zu sein von unausgesprochenen Gedanken, von zurückgedrängten Gefühlen, von Blumen, ertränkt von bittern Wassern; ihre grünli¬ chen Augen, eingefaßt von braunen Pünktchen, waren immer matt; aber wenn es sich um ihre Kinder handelte, erglänzte in ihrem Auge plötzlich ein zartes Leuchten, das sich in den Quellen des Le¬ bens zu entzünden schien, als wolle es sie austrocknen. Eine griechi- sche Nase, als wäre sie von Phidias gemeißelt, und durch einen dop¬ pelten Bogen mit den zierlich geschwungenen Lippen verbunden, ver¬ geistigte ihr ovales Gesicht, dessen Teint, dem Gewebe der weißen Camellie gleichend, auf den Wangen sich in lieblichen rosigen Tönen röthete. Ihre Fülle störte weder die Anmuth ihres Wuchses, noch den sanften Schwung der Umrisse, welcher nothwendig war, damit ihre Formen schön blieben, obgleich sie entwickelt waren. Ein zarter Flaum schwand die Wange hinab bis auf die Halbfläche der Schul¬ ter, das Licht dort festhaltend, daß es seidenartig glänzte. Ihre Oh¬ ren, klein und wohlgestaltet, waren nach ihren eigenen Worten die Ohren einer Sklavin und einer Mutter; ihre Arme waren schön, ihre Hände, deren Finger sich leise aufwärts bogen, waren lang, und wie bei den antiken Statuen, bilvete das Fleisch an den Sei¬ ten der Nägel einen zarten Saum. Ihr Körper hatte die Frische, welche wir an ebenentfalteten Blättern bewundern; ihr Geist hatte die tiefe Jntensivität des Wilden; sie war ein Kind durch ihr Ge¬ fühl, ernst durch ihre Leiden, jungfräulich und verbuhlt zugleich. So gefiel sie ohne Kunst durch ihre Art sich zu setzen, aufzustehen, zu schweigen, und ein flüchtiges Wort fallen zu lassen. Ihre Art, die Endungen in i zu sprechen, erinnerte an den Gesang eines Vogels; ihr el, tönte wie eine Liebkosung, und die Art, mit der sie das t hervorstieß, verrieth einen Despotismus des Herzens. So erweiterte sie, ohne es zu wissen, den Sinn der Worte und riß den Zuhörer mit sich in unbekannte Welten fort."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/34>, abgerufen am 22.12.2024.