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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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raffung aus dem Zustande roher Barbarei, ja sogar unbedeutende
Bildungsanfänge entdeckt, denn es heißt in dem Reiseversuch ausdrück¬
lich: "Ueberall gewahrt man wenigstens den Wunsch, aus dem Ur¬
zustand des kahlen Bedürfnisses herauszukommen, der in Stockholm
noch schlummert."

Im Uebrigen dreht sich Alles, was die Gräfin von Kopenhagen
zu erzählen weiß, um Kunstschwätzereien. Siebenundzwanzig Seiten
kommen allein auf die Frauenkirche und Thorwaldsen's Statuen. Es
schmeckt wie alter Thee, und man müßte verzweifeln dabei, wäre man
heutzutage nicht gewohnt, daß jede Mittelmäßigkeit sich in ästhetischen
Urtheilen breit macht. Frau Gräfin reden außerdem über Theologie,
Politik, Philosophie und Industrie mit derselben grundlosen Fadheit.
Solche Redensarten mag man in Damenkaffees für geistreich halten,
in der Literatur hält man sie für Kaffeegeschwätz.

Wie wenig Jda Hahn-Hahn im Stande ist, ein Land mit sei¬
nem Volk und seinen Sitten zu schildern, das hoffe ich nun hinrei¬
chend dargethan zu haben. Sie sollte Compilationen und Reisehand¬
bücher schreiben, wenn sie es einmal nicht lassen kann; die würden
ihr vielleicht gelingen.

Nächst dem ursprünglichen Trieb soll aber auch ihr Freisinn eine
Berechtigung zur Autorschaft sein. Nur Schade: derselbe zeigt sich
eben so als eine leere Maske, wie der poetische Drang. Zwar weiß
die Gräfin mitunter so eine Phrase von "Freiheit und Gleichheit"
mit einzuschalten, doch dergleichen verbrauchte Kunststücke imponiren
nicht mehr. Die Hahn-Hahn befindet sich im Ritterhause, wo man
die Wappen sämmtlicher schwedischen Adelsgeschlechter aufbewahrt,
und da sagt sie denn: "In einem Zimmer standen zwei frischgemalte
Wappenschilde auf dem Ofen zum Trocknen. Ich mußte lachen." --,
Dies Geschichtchen ist aber eine absichtliche Erfindung, da seit 1840
in Schweden Niemand geadelt wurde, und Jda Hahn-Hahn hat es
nur ausgedacht, um den schlechten Witz und das Lachen dabei an¬
zubringen.

Beides hätte sie jedoch sparen können, denn man pflegt im Mo.-
nat Juli keine geheizten Oefen zu haben, und die Geadelten sind
würdige Männer, deren Stammbaum nicht aus so ferner Zeit und
aus so zweideutigen Verdiensten, wie mancher andere, entsprungen
ist. -- Später spricht sie von der Königin Christine und findet es


Grcnztoten 1844. !!. 40

raffung aus dem Zustande roher Barbarei, ja sogar unbedeutende
Bildungsanfänge entdeckt, denn es heißt in dem Reiseversuch ausdrück¬
lich: „Ueberall gewahrt man wenigstens den Wunsch, aus dem Ur¬
zustand des kahlen Bedürfnisses herauszukommen, der in Stockholm
noch schlummert."

Im Uebrigen dreht sich Alles, was die Gräfin von Kopenhagen
zu erzählen weiß, um Kunstschwätzereien. Siebenundzwanzig Seiten
kommen allein auf die Frauenkirche und Thorwaldsen's Statuen. Es
schmeckt wie alter Thee, und man müßte verzweifeln dabei, wäre man
heutzutage nicht gewohnt, daß jede Mittelmäßigkeit sich in ästhetischen
Urtheilen breit macht. Frau Gräfin reden außerdem über Theologie,
Politik, Philosophie und Industrie mit derselben grundlosen Fadheit.
Solche Redensarten mag man in Damenkaffees für geistreich halten,
in der Literatur hält man sie für Kaffeegeschwätz.

Wie wenig Jda Hahn-Hahn im Stande ist, ein Land mit sei¬
nem Volk und seinen Sitten zu schildern, das hoffe ich nun hinrei¬
chend dargethan zu haben. Sie sollte Compilationen und Reisehand¬
bücher schreiben, wenn sie es einmal nicht lassen kann; die würden
ihr vielleicht gelingen.

Nächst dem ursprünglichen Trieb soll aber auch ihr Freisinn eine
Berechtigung zur Autorschaft sein. Nur Schade: derselbe zeigt sich
eben so als eine leere Maske, wie der poetische Drang. Zwar weiß
die Gräfin mitunter so eine Phrase von „Freiheit und Gleichheit"
mit einzuschalten, doch dergleichen verbrauchte Kunststücke imponiren
nicht mehr. Die Hahn-Hahn befindet sich im Ritterhause, wo man
die Wappen sämmtlicher schwedischen Adelsgeschlechter aufbewahrt,
und da sagt sie denn: „In einem Zimmer standen zwei frischgemalte
Wappenschilde auf dem Ofen zum Trocknen. Ich mußte lachen." —,
Dies Geschichtchen ist aber eine absichtliche Erfindung, da seit 1840
in Schweden Niemand geadelt wurde, und Jda Hahn-Hahn hat es
nur ausgedacht, um den schlechten Witz und das Lachen dabei an¬
zubringen.

Beides hätte sie jedoch sparen können, denn man pflegt im Mo.-
nat Juli keine geheizten Oefen zu haben, und die Geadelten sind
würdige Männer, deren Stammbaum nicht aus so ferner Zeit und
aus so zweideutigen Verdiensten, wie mancher andere, entsprungen
ist. — Später spricht sie von der Königin Christine und findet es


Grcnztoten 1844. !!. 40
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[0321] raffung aus dem Zustande roher Barbarei, ja sogar unbedeutende Bildungsanfänge entdeckt, denn es heißt in dem Reiseversuch ausdrück¬ lich: „Ueberall gewahrt man wenigstens den Wunsch, aus dem Ur¬ zustand des kahlen Bedürfnisses herauszukommen, der in Stockholm noch schlummert." Im Uebrigen dreht sich Alles, was die Gräfin von Kopenhagen zu erzählen weiß, um Kunstschwätzereien. Siebenundzwanzig Seiten kommen allein auf die Frauenkirche und Thorwaldsen's Statuen. Es schmeckt wie alter Thee, und man müßte verzweifeln dabei, wäre man heutzutage nicht gewohnt, daß jede Mittelmäßigkeit sich in ästhetischen Urtheilen breit macht. Frau Gräfin reden außerdem über Theologie, Politik, Philosophie und Industrie mit derselben grundlosen Fadheit. Solche Redensarten mag man in Damenkaffees für geistreich halten, in der Literatur hält man sie für Kaffeegeschwätz. Wie wenig Jda Hahn-Hahn im Stande ist, ein Land mit sei¬ nem Volk und seinen Sitten zu schildern, das hoffe ich nun hinrei¬ chend dargethan zu haben. Sie sollte Compilationen und Reisehand¬ bücher schreiben, wenn sie es einmal nicht lassen kann; die würden ihr vielleicht gelingen. Nächst dem ursprünglichen Trieb soll aber auch ihr Freisinn eine Berechtigung zur Autorschaft sein. Nur Schade: derselbe zeigt sich eben so als eine leere Maske, wie der poetische Drang. Zwar weiß die Gräfin mitunter so eine Phrase von „Freiheit und Gleichheit" mit einzuschalten, doch dergleichen verbrauchte Kunststücke imponiren nicht mehr. Die Hahn-Hahn befindet sich im Ritterhause, wo man die Wappen sämmtlicher schwedischen Adelsgeschlechter aufbewahrt, und da sagt sie denn: „In einem Zimmer standen zwei frischgemalte Wappenschilde auf dem Ofen zum Trocknen. Ich mußte lachen." —, Dies Geschichtchen ist aber eine absichtliche Erfindung, da seit 1840 in Schweden Niemand geadelt wurde, und Jda Hahn-Hahn hat es nur ausgedacht, um den schlechten Witz und das Lachen dabei an¬ zubringen. Beides hätte sie jedoch sparen können, denn man pflegt im Mo.- nat Juli keine geheizten Oefen zu haben, und die Geadelten sind würdige Männer, deren Stammbaum nicht aus so ferner Zeit und aus so zweideutigen Verdiensten, wie mancher andere, entsprungen ist. — Später spricht sie von der Königin Christine und findet es Grcnztoten 1844. !!. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/321>, abgerufen am 23.07.2024.