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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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eben die Buchmacherei. Jda Hahn-Hahn empfindet eS, daß mit dem
aristokratischen Paradies des Mittelalters auch die eigentliche Reise-
beschreiber-Romantik verloren ging, darum sagt sie: "Dampfschiffe be¬
schränken die Erfindungsgabe ungemein. Man läuft Gefahr, auf
jedem Schritt und Tritt von einem Nachfolger controlirt zu werden,
und muß immer darauf bedacht sein, mit einem Geographiebuch in
der einen und einem Geschichtbuch in der anderen Hand die Rich¬
tigkeit und Wahrheit der Behauptungen vertheidigen zu können. "Die
Reflexion ist treffend, aber das Resultat falsch, denn es muß heißen-
Dampfschiffe beschränken das Lügen ungemein. Und das ist gut,
sehr gut! Wir sind der geschminkten Lüge überdrüssig und wischen
sie ab, wo wir sie finden.

Die Gräfin fähet den Göthercanal entlang, sitzt unten in der
Cabine, steigt aber doch zuweilen an'S Land. "Ich bin.dermaßen aus¬
gehungert nach Blumen"--ruft sie, "daß ich über ein Dutzend Kraut-
und Rübenbeete setzte, um eine einzige Rose am Strauche zu sehen
und ihren Duft einzuathmen. Vor einem Baum blieb ich stehen,
ganz verblüfft über dessen Schönheit; seine kräftigen Aeste trugen läng¬
liche, saftgrüne Blätter, zwischen denen Büschelchen von allerliebsten
glänzendrothen Früchten hingen. Ein Kirschbaum war'S!" Ha, Nico-
lai, ich erkenne Dich wieder! Komm an mein Herz! --Nun erreicht
die hohe Reisende Gothenburg und beklagt sich über die dortige
Theuerung. "Zwei Lastträger schafften heute früh unseren Koffer vom
Dampfschiff in den Gasthof, und einer schafft sie zurück: das kostet
fünf Bankthaler; der Thaler, wie ich eben höre, gilt sechzehn und
einen halben Silbergroschen." Bravo! Jeder Zoll ein Nicolai! In
Gothenburg ist das Leben sonst sehr billig, und der Lastträger hat die
Dame geprellt, aber das Honorar bringt Alles wieder ein.

Dem Himmel sei Dank! Jda Hahn-Hahn langt endlich in
Kopenhagen an. Sie verweilt nur vier Tage in der schönen Stadt
und schreibt nur vierzig Seiten darüber. Hier lebt sie auf, denn es
gibt heiße Mittagsstunden, und die Gräfin schwitzt. "Mit wahrer
Wonne" -- sagt sie -- "hab' ich mein armes Mousselinkleid wieder
zu Ehren gebracht, das eine verabsäumte und gedrückte Eristenz im
Abgrunde des Koffers bis dahin führen mußte." -- Es wird gewiß
eine freudige Ueberraschung unter den Kopenhagenern erregt haben,
daß Nicolai der Jüngere in ihrer Metropole doch schon einige Los-


eben die Buchmacherei. Jda Hahn-Hahn empfindet eS, daß mit dem
aristokratischen Paradies des Mittelalters auch die eigentliche Reise-
beschreiber-Romantik verloren ging, darum sagt sie: „Dampfschiffe be¬
schränken die Erfindungsgabe ungemein. Man läuft Gefahr, auf
jedem Schritt und Tritt von einem Nachfolger controlirt zu werden,
und muß immer darauf bedacht sein, mit einem Geographiebuch in
der einen und einem Geschichtbuch in der anderen Hand die Rich¬
tigkeit und Wahrheit der Behauptungen vertheidigen zu können. „Die
Reflexion ist treffend, aber das Resultat falsch, denn es muß heißen-
Dampfschiffe beschränken das Lügen ungemein. Und das ist gut,
sehr gut! Wir sind der geschminkten Lüge überdrüssig und wischen
sie ab, wo wir sie finden.

Die Gräfin fähet den Göthercanal entlang, sitzt unten in der
Cabine, steigt aber doch zuweilen an'S Land. „Ich bin.dermaßen aus¬
gehungert nach Blumen"—ruft sie, „daß ich über ein Dutzend Kraut-
und Rübenbeete setzte, um eine einzige Rose am Strauche zu sehen
und ihren Duft einzuathmen. Vor einem Baum blieb ich stehen,
ganz verblüfft über dessen Schönheit; seine kräftigen Aeste trugen läng¬
liche, saftgrüne Blätter, zwischen denen Büschelchen von allerliebsten
glänzendrothen Früchten hingen. Ein Kirschbaum war'S!" Ha, Nico-
lai, ich erkenne Dich wieder! Komm an mein Herz! —Nun erreicht
die hohe Reisende Gothenburg und beklagt sich über die dortige
Theuerung. „Zwei Lastträger schafften heute früh unseren Koffer vom
Dampfschiff in den Gasthof, und einer schafft sie zurück: das kostet
fünf Bankthaler; der Thaler, wie ich eben höre, gilt sechzehn und
einen halben Silbergroschen." Bravo! Jeder Zoll ein Nicolai! In
Gothenburg ist das Leben sonst sehr billig, und der Lastträger hat die
Dame geprellt, aber das Honorar bringt Alles wieder ein.

Dem Himmel sei Dank! Jda Hahn-Hahn langt endlich in
Kopenhagen an. Sie verweilt nur vier Tage in der schönen Stadt
und schreibt nur vierzig Seiten darüber. Hier lebt sie auf, denn es
gibt heiße Mittagsstunden, und die Gräfin schwitzt. „Mit wahrer
Wonne" — sagt sie — „hab' ich mein armes Mousselinkleid wieder
zu Ehren gebracht, das eine verabsäumte und gedrückte Eristenz im
Abgrunde des Koffers bis dahin führen mußte." — Es wird gewiß
eine freudige Ueberraschung unter den Kopenhagenern erregt haben,
daß Nicolai der Jüngere in ihrer Metropole doch schon einige Los-


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[0320] eben die Buchmacherei. Jda Hahn-Hahn empfindet eS, daß mit dem aristokratischen Paradies des Mittelalters auch die eigentliche Reise- beschreiber-Romantik verloren ging, darum sagt sie: „Dampfschiffe be¬ schränken die Erfindungsgabe ungemein. Man läuft Gefahr, auf jedem Schritt und Tritt von einem Nachfolger controlirt zu werden, und muß immer darauf bedacht sein, mit einem Geographiebuch in der einen und einem Geschichtbuch in der anderen Hand die Rich¬ tigkeit und Wahrheit der Behauptungen vertheidigen zu können. „Die Reflexion ist treffend, aber das Resultat falsch, denn es muß heißen- Dampfschiffe beschränken das Lügen ungemein. Und das ist gut, sehr gut! Wir sind der geschminkten Lüge überdrüssig und wischen sie ab, wo wir sie finden. Die Gräfin fähet den Göthercanal entlang, sitzt unten in der Cabine, steigt aber doch zuweilen an'S Land. „Ich bin.dermaßen aus¬ gehungert nach Blumen"—ruft sie, „daß ich über ein Dutzend Kraut- und Rübenbeete setzte, um eine einzige Rose am Strauche zu sehen und ihren Duft einzuathmen. Vor einem Baum blieb ich stehen, ganz verblüfft über dessen Schönheit; seine kräftigen Aeste trugen läng¬ liche, saftgrüne Blätter, zwischen denen Büschelchen von allerliebsten glänzendrothen Früchten hingen. Ein Kirschbaum war'S!" Ha, Nico- lai, ich erkenne Dich wieder! Komm an mein Herz! —Nun erreicht die hohe Reisende Gothenburg und beklagt sich über die dortige Theuerung. „Zwei Lastträger schafften heute früh unseren Koffer vom Dampfschiff in den Gasthof, und einer schafft sie zurück: das kostet fünf Bankthaler; der Thaler, wie ich eben höre, gilt sechzehn und einen halben Silbergroschen." Bravo! Jeder Zoll ein Nicolai! In Gothenburg ist das Leben sonst sehr billig, und der Lastträger hat die Dame geprellt, aber das Honorar bringt Alles wieder ein. Dem Himmel sei Dank! Jda Hahn-Hahn langt endlich in Kopenhagen an. Sie verweilt nur vier Tage in der schönen Stadt und schreibt nur vierzig Seiten darüber. Hier lebt sie auf, denn es gibt heiße Mittagsstunden, und die Gräfin schwitzt. „Mit wahrer Wonne" — sagt sie — „hab' ich mein armes Mousselinkleid wieder zu Ehren gebracht, das eine verabsäumte und gedrückte Eristenz im Abgrunde des Koffers bis dahin führen mußte." — Es wird gewiß eine freudige Ueberraschung unter den Kopenhagenern erregt haben, daß Nicolai der Jüngere in ihrer Metropole doch schon einige Los-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/320>, abgerufen am 23.12.2024.