Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.rung zu bekümniern, oder auch, weil er init einem Blick die Nichtig- In seinen weiblichen Gestalten erscheint uns Balzac wie der Wenn Balzac zufällig eine junge und schöne Frau zu schildern rung zu bekümniern, oder auch, weil er init einem Blick die Nichtig- In seinen weiblichen Gestalten erscheint uns Balzac wie der Wenn Balzac zufällig eine junge und schöne Frau zu schildern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180591"/> <p xml:id="ID_49" prev="#ID_48"> rung zu bekümniern, oder auch, weil er init einem Blick die Nichtig-<lb/> keit irdischer Dinge erkannt hat. In seinen Verhältnissen mit Frauen<lb/> ist der Held zu gleicher Zeit aufrichtig wie ein Kind, düster, verwe-<lb/> gen und wild wie ein Bandit, elegant und durchtrieben wie ein<lb/> Rou6 des vergangenen Jahrhunderts, schamlos, gemein und zudring-<lb/> lich wie ein Jndustrieritter unserer Tage.</p><lb/> <p xml:id="ID_50"> In seinen weiblichen Gestalten erscheint uns Balzac wie der<lb/> Christoph Columbus einer neuen Gattung. Er hat Schönheiten ent¬<lb/> deckt, wo sie Niemand vor ihm vermuthete, und er beschreibt seine<lb/> Entdeckung mit einem solchen Lurus des Details, einem solchen Zau¬<lb/> ber der Sprache, einer solchen anscheinenden Aufrichtigkeit seiner Be¬<lb/> geisterung, daß sich der Leser davon gefangen nehmen läßt; die ge¬<lb/> wöhnlichen Begriffe von Schönheit werden umgestürzt; da, wo un¬<lb/> sere Augen Nichts sehen, als einen kahlen und unfruchtbaren Felsen,<lb/> läßt uns Balzac mit den seinigen eine grüne Insel erblicken, durch¬<lb/> schnitten von Bächen, beschattet von Hainen, geschmückt mit Blumen :<lb/> es ist nicht mehr Grönland, es ist Otahaiti! Man gebe Balzac<lb/> eine Frau von 49 Jahren, blaß, gelb, traurig, kränklich und schwach;<lb/> ihre Augen von blauen Ringen umgeben; ja, sie kann selbst bucklig<lb/> sein oder hinken, es thut Nichts, denn das wird in einem Augen¬<lb/> blick zu einem Reize mehr. Diese Gestalt schmückt unser Autor mit<lb/> dem auserlesensten Geschmack; er umhüllt sie künstlich mit Blonden<lb/> und Spitzen; er gibt ihrem Blick eine ganz eigenthümliche magne¬<lb/> tische Kraft, jeder ihrer Bewegungen eine verführerische, wollüstige<lb/> Nachlässigkeit, vermischt mit vornehmer Grazie. Ihre Traurigkeit<lb/> wird Schwärmerei, auf ihrem gelben Teint mischt ein günstiges Zwie¬<lb/> licht die bezauberndsten Schatttrungen; in den Falten ihrer Schläfe, in<lb/> den Umrissen ihrer Nase, in den Linien ihres Busens, in ihren<lb/> Mundwinkeln, in ihren Ohren, in ihrem Haar, in ihren Nägeln ent¬<lb/> deckt Balzac eine ganze Welt von Wundern, von denen wir keinen<lb/> Begriff gehabt haben; wir sind geblendet, hingerissen; es ist nicht<lb/> mehr eine Frau von reiferem Alter, gelb und verwachsen, die wir<lb/> vor Augen sehen; es ist ein Engel, eine Fee, eine Venus, die einen<lb/> Gymnasiasten wahnsinnig machen, einen achtzigjähriger Greis entzüc¬<lb/> ken kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_51" next="#ID_52"> Wenn Balzac zufällig eine junge und schöne Frau zu schildern<lb/> hat, so zeigt er dieselbe Scheu vor dem Bekannten, dieselbe Wuch</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
rung zu bekümniern, oder auch, weil er init einem Blick die Nichtig-
keit irdischer Dinge erkannt hat. In seinen Verhältnissen mit Frauen
ist der Held zu gleicher Zeit aufrichtig wie ein Kind, düster, verwe-
gen und wild wie ein Bandit, elegant und durchtrieben wie ein
Rou6 des vergangenen Jahrhunderts, schamlos, gemein und zudring-
lich wie ein Jndustrieritter unserer Tage.
In seinen weiblichen Gestalten erscheint uns Balzac wie der
Christoph Columbus einer neuen Gattung. Er hat Schönheiten ent¬
deckt, wo sie Niemand vor ihm vermuthete, und er beschreibt seine
Entdeckung mit einem solchen Lurus des Details, einem solchen Zau¬
ber der Sprache, einer solchen anscheinenden Aufrichtigkeit seiner Be¬
geisterung, daß sich der Leser davon gefangen nehmen läßt; die ge¬
wöhnlichen Begriffe von Schönheit werden umgestürzt; da, wo un¬
sere Augen Nichts sehen, als einen kahlen und unfruchtbaren Felsen,
läßt uns Balzac mit den seinigen eine grüne Insel erblicken, durch¬
schnitten von Bächen, beschattet von Hainen, geschmückt mit Blumen :
es ist nicht mehr Grönland, es ist Otahaiti! Man gebe Balzac
eine Frau von 49 Jahren, blaß, gelb, traurig, kränklich und schwach;
ihre Augen von blauen Ringen umgeben; ja, sie kann selbst bucklig
sein oder hinken, es thut Nichts, denn das wird in einem Augen¬
blick zu einem Reize mehr. Diese Gestalt schmückt unser Autor mit
dem auserlesensten Geschmack; er umhüllt sie künstlich mit Blonden
und Spitzen; er gibt ihrem Blick eine ganz eigenthümliche magne¬
tische Kraft, jeder ihrer Bewegungen eine verführerische, wollüstige
Nachlässigkeit, vermischt mit vornehmer Grazie. Ihre Traurigkeit
wird Schwärmerei, auf ihrem gelben Teint mischt ein günstiges Zwie¬
licht die bezauberndsten Schatttrungen; in den Falten ihrer Schläfe, in
den Umrissen ihrer Nase, in den Linien ihres Busens, in ihren
Mundwinkeln, in ihren Ohren, in ihrem Haar, in ihren Nägeln ent¬
deckt Balzac eine ganze Welt von Wundern, von denen wir keinen
Begriff gehabt haben; wir sind geblendet, hingerissen; es ist nicht
mehr eine Frau von reiferem Alter, gelb und verwachsen, die wir
vor Augen sehen; es ist ein Engel, eine Fee, eine Venus, die einen
Gymnasiasten wahnsinnig machen, einen achtzigjähriger Greis entzüc¬
ken kann.
Wenn Balzac zufällig eine junge und schöne Frau zu schildern
hat, so zeigt er dieselbe Scheu vor dem Bekannten, dieselbe Wuch
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