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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Geht man vom großen Markt über die Schleusenbrücke, so kommt
man zu dem Södermalm, dessen Straßen bald über, bald durch
einander, an starren Felsrücken hinaufklettern. Sie sind mehr pitto¬
resk als bequem, und wir folgen ihnen jetzt noch nicht, sondern
wenden uns erst zur östlichen Seite Stockholms.

Aus den Wellen steigt dort ein steiler Hügel, der Schiffsholm,
empor; oben liegt einsam eine stille Kirche, unten stehen Arsenale
und Kasernen, und ringsumher ist Alles baumgrün und frisch. Vom
Schiffsholm führt eine flache Brücke zur Kastellinsel, die aus schrof¬
fen Felsen besteht; eine kleine, malerische Beste krönt ihre Stirn, das
Marincgeräth bewachend; zur Seite erhebt sich ein riesiger Krähn,
mit dem man die Masten der Seeschiffe aufrichtet, und Militärwa¬
chen marschiren stets hin und zurück. Hinter dem Eiland öffnet sich
wieder eine Bucht, und wenn man sie durchrudert, gelangt man
zum Thiergarten. Das ist ein Park, den die Natur selbst aus wil¬
den Felspartien, aus majestätischen Eichen und klaren Wasserspie¬
geln, die in schönen Linien neugierig vorspringen, gebildet hat. Tie¬
fer liegen Nosendal, Ulriksdal und Haga, königliche Lustschlösser, von
dunkler Waldeinsamkeit oder von Blumengeländern umschlossen, und
immer blitzt die See mit ihrer blauen Romantik durch.

Wollten die griechischen Künstler ein Land, eine Stadt, oder
einen Fluß in plastischer Gestaltung wiedergeben, dann fanden sie eS
gut -- nachdem ihnen das Einzelne bekannt war -- sich auch vom
höchsten Punkte den möglichsten Gesammtanblick des Stoffes zu ver¬
schaffen. Dadurch kam Wahrheit und Leben in ihre Statuen. Ihrem
Beispiele nachzuahmen, bitte ich den Leser, daß er mich nun zu der
südlichen Höhe, nach Mosebacke, begleite. Terrassenförmig stürmt
hier die Subr zu den Wolken, und wir müssen bald Holztreppen,
bald enge Gäßchen hinanklettern. Ueberall sehen wir auf dem Fels¬
boden Häuser und Gärtchen unordentlich durcheinandergewürfelt;
Alles ist wüst, regellos, schmutzig, eng, aber pittoresk. Wir kom^
men endlich zu dem Gipfel, wo der Telegraph seine dürren Arme
klappernd bewegt und wo ein Garten liegt, von dessen Altane man
eine wunderbar schöne Aussicht hat.

Zur Rechten öffnet sich die glitzernde Wasserstraße nach den
Scheeren zu, und daran schließen sich, halb nackt, halb bewaldet, die
Granitfelsen deö Thiergartens mit ihren Tabagien und Villen.


Geht man vom großen Markt über die Schleusenbrücke, so kommt
man zu dem Södermalm, dessen Straßen bald über, bald durch
einander, an starren Felsrücken hinaufklettern. Sie sind mehr pitto¬
resk als bequem, und wir folgen ihnen jetzt noch nicht, sondern
wenden uns erst zur östlichen Seite Stockholms.

Aus den Wellen steigt dort ein steiler Hügel, der Schiffsholm,
empor; oben liegt einsam eine stille Kirche, unten stehen Arsenale
und Kasernen, und ringsumher ist Alles baumgrün und frisch. Vom
Schiffsholm führt eine flache Brücke zur Kastellinsel, die aus schrof¬
fen Felsen besteht; eine kleine, malerische Beste krönt ihre Stirn, das
Marincgeräth bewachend; zur Seite erhebt sich ein riesiger Krähn,
mit dem man die Masten der Seeschiffe aufrichtet, und Militärwa¬
chen marschiren stets hin und zurück. Hinter dem Eiland öffnet sich
wieder eine Bucht, und wenn man sie durchrudert, gelangt man
zum Thiergarten. Das ist ein Park, den die Natur selbst aus wil¬
den Felspartien, aus majestätischen Eichen und klaren Wasserspie¬
geln, die in schönen Linien neugierig vorspringen, gebildet hat. Tie¬
fer liegen Nosendal, Ulriksdal und Haga, königliche Lustschlösser, von
dunkler Waldeinsamkeit oder von Blumengeländern umschlossen, und
immer blitzt die See mit ihrer blauen Romantik durch.

Wollten die griechischen Künstler ein Land, eine Stadt, oder
einen Fluß in plastischer Gestaltung wiedergeben, dann fanden sie eS
gut — nachdem ihnen das Einzelne bekannt war — sich auch vom
höchsten Punkte den möglichsten Gesammtanblick des Stoffes zu ver¬
schaffen. Dadurch kam Wahrheit und Leben in ihre Statuen. Ihrem
Beispiele nachzuahmen, bitte ich den Leser, daß er mich nun zu der
südlichen Höhe, nach Mosebacke, begleite. Terrassenförmig stürmt
hier die Subr zu den Wolken, und wir müssen bald Holztreppen,
bald enge Gäßchen hinanklettern. Ueberall sehen wir auf dem Fels¬
boden Häuser und Gärtchen unordentlich durcheinandergewürfelt;
Alles ist wüst, regellos, schmutzig, eng, aber pittoresk. Wir kom^
men endlich zu dem Gipfel, wo der Telegraph seine dürren Arme
klappernd bewegt und wo ein Garten liegt, von dessen Altane man
eine wunderbar schöne Aussicht hat.

Zur Rechten öffnet sich die glitzernde Wasserstraße nach den
Scheeren zu, und daran schließen sich, halb nackt, halb bewaldet, die
Granitfelsen deö Thiergartens mit ihren Tabagien und Villen.


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[0271] Geht man vom großen Markt über die Schleusenbrücke, so kommt man zu dem Södermalm, dessen Straßen bald über, bald durch einander, an starren Felsrücken hinaufklettern. Sie sind mehr pitto¬ resk als bequem, und wir folgen ihnen jetzt noch nicht, sondern wenden uns erst zur östlichen Seite Stockholms. Aus den Wellen steigt dort ein steiler Hügel, der Schiffsholm, empor; oben liegt einsam eine stille Kirche, unten stehen Arsenale und Kasernen, und ringsumher ist Alles baumgrün und frisch. Vom Schiffsholm führt eine flache Brücke zur Kastellinsel, die aus schrof¬ fen Felsen besteht; eine kleine, malerische Beste krönt ihre Stirn, das Marincgeräth bewachend; zur Seite erhebt sich ein riesiger Krähn, mit dem man die Masten der Seeschiffe aufrichtet, und Militärwa¬ chen marschiren stets hin und zurück. Hinter dem Eiland öffnet sich wieder eine Bucht, und wenn man sie durchrudert, gelangt man zum Thiergarten. Das ist ein Park, den die Natur selbst aus wil¬ den Felspartien, aus majestätischen Eichen und klaren Wasserspie¬ geln, die in schönen Linien neugierig vorspringen, gebildet hat. Tie¬ fer liegen Nosendal, Ulriksdal und Haga, königliche Lustschlösser, von dunkler Waldeinsamkeit oder von Blumengeländern umschlossen, und immer blitzt die See mit ihrer blauen Romantik durch. Wollten die griechischen Künstler ein Land, eine Stadt, oder einen Fluß in plastischer Gestaltung wiedergeben, dann fanden sie eS gut — nachdem ihnen das Einzelne bekannt war — sich auch vom höchsten Punkte den möglichsten Gesammtanblick des Stoffes zu ver¬ schaffen. Dadurch kam Wahrheit und Leben in ihre Statuen. Ihrem Beispiele nachzuahmen, bitte ich den Leser, daß er mich nun zu der südlichen Höhe, nach Mosebacke, begleite. Terrassenförmig stürmt hier die Subr zu den Wolken, und wir müssen bald Holztreppen, bald enge Gäßchen hinanklettern. Ueberall sehen wir auf dem Fels¬ boden Häuser und Gärtchen unordentlich durcheinandergewürfelt; Alles ist wüst, regellos, schmutzig, eng, aber pittoresk. Wir kom^ men endlich zu dem Gipfel, wo der Telegraph seine dürren Arme klappernd bewegt und wo ein Garten liegt, von dessen Altane man eine wunderbar schöne Aussicht hat. Zur Rechten öffnet sich die glitzernde Wasserstraße nach den Scheeren zu, und daran schließen sich, halb nackt, halb bewaldet, die Granitfelsen deö Thiergartens mit ihren Tabagien und Villen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/271>, abgerufen am 23.07.2024.