Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der unterm Stadt flössen die rothen Ströme nieder und brachten den
Bürgern Borschaft von der entsetzlichen That.

Einst standen auf diesem Platze auch Deutsche den Schweden
gegenüber. Das war zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Wäh¬
rend Albrecht von Mecklenburg die Krone trug, hatten die Hanse¬
städte sich weit in den Norden vorgedrängt und viele Deutsche leb¬
ten in Stockholm. Sie waren voll Uebermuth und achteten nicht
Gesetz noch Recht, wo es ihre Handelsvortheile galt. Die Hätte-
brüder -- so nannte man sie -- tobten Nachts mit Waffen durch
die Stadt. Fragte Einer: "Was gibt's da?" so antworteten sie,
ohne den Fiesko gelesen zu haben: "Deutsche Hiebe!" und schlugen
plump drauf los. Zuletzt trieben sie den Unfug gar zu arg, und
als Bertil Brun, ein Schwede, zornig darüber sprach, wurde er von
einem Hofmann halbtodt geprügelt und in den Thurm gesperrt.

Jetzt klang die Sturmglocke durch Stockholm, beide Parteien
wälzten sich in dichten Haufen nach dem großen Markte, und eS
schien offenen Kampf geben zu sollen. Aber die Hättebrüder sahen
wohl ein, daß sie es mit der Uebermacht nicht aufnehmen konnten;
sie gaben Bertil Brun los, und da verlief sich der Tumult. Als
Grenerot, der Deutschen Anführer, trat nun vor den versammelten
Rath und klagte viele schuldlose Schweden der Meuterei und Ver¬
schwörung an. Dieselben wurden ergriffen und mit hölzernen Sä¬
gen gemartert, doch gestanden sie Nichts -- weil sie Nichts wußten.
In der Nacht zum 12. Juni 139? kam Als Grenerot zum Schlo߬
hauptmann und bot ihm die Hälfte vom Eigenthum der sechzig Ge¬
fangenen, wenn er sie ausliefern wollte. Jener ging den Vorschlag
ein; man schleppte sie in einem Boote fort, warf sie in ein altes
Haus und zündete es an, daß sie drin verbrennen mußten. Spä¬
ter richteten die Deutschen zur Sühne zwei steinerne Säulen auf,
und damit war Alles abgethan.

Vivat das Mittelalter! Man kann die braven Leute wahrlich
nicht hoch genug verehren, die sich alle Mühe geben, es aufzufrischen
und zurückzuführen. Sie verdienen es wohl, daß man ihnen auf
gut mittelalterlich dafür dankte! --

Stockholms älteste Gebäude sind im deutschen Styl gehalten und
es finden sich im südlichen Stadtbezirk noch manche reichverzierte
Giebelhäuser, die uns eben so altväterisch als heimathlich anschauen.


der unterm Stadt flössen die rothen Ströme nieder und brachten den
Bürgern Borschaft von der entsetzlichen That.

Einst standen auf diesem Platze auch Deutsche den Schweden
gegenüber. Das war zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Wäh¬
rend Albrecht von Mecklenburg die Krone trug, hatten die Hanse¬
städte sich weit in den Norden vorgedrängt und viele Deutsche leb¬
ten in Stockholm. Sie waren voll Uebermuth und achteten nicht
Gesetz noch Recht, wo es ihre Handelsvortheile galt. Die Hätte-
brüder — so nannte man sie — tobten Nachts mit Waffen durch
die Stadt. Fragte Einer: „Was gibt's da?" so antworteten sie,
ohne den Fiesko gelesen zu haben: „Deutsche Hiebe!" und schlugen
plump drauf los. Zuletzt trieben sie den Unfug gar zu arg, und
als Bertil Brun, ein Schwede, zornig darüber sprach, wurde er von
einem Hofmann halbtodt geprügelt und in den Thurm gesperrt.

Jetzt klang die Sturmglocke durch Stockholm, beide Parteien
wälzten sich in dichten Haufen nach dem großen Markte, und eS
schien offenen Kampf geben zu sollen. Aber die Hättebrüder sahen
wohl ein, daß sie es mit der Uebermacht nicht aufnehmen konnten;
sie gaben Bertil Brun los, und da verlief sich der Tumult. Als
Grenerot, der Deutschen Anführer, trat nun vor den versammelten
Rath und klagte viele schuldlose Schweden der Meuterei und Ver¬
schwörung an. Dieselben wurden ergriffen und mit hölzernen Sä¬
gen gemartert, doch gestanden sie Nichts — weil sie Nichts wußten.
In der Nacht zum 12. Juni 139? kam Als Grenerot zum Schlo߬
hauptmann und bot ihm die Hälfte vom Eigenthum der sechzig Ge¬
fangenen, wenn er sie ausliefern wollte. Jener ging den Vorschlag
ein; man schleppte sie in einem Boote fort, warf sie in ein altes
Haus und zündete es an, daß sie drin verbrennen mußten. Spä¬
ter richteten die Deutschen zur Sühne zwei steinerne Säulen auf,
und damit war Alles abgethan.

Vivat das Mittelalter! Man kann die braven Leute wahrlich
nicht hoch genug verehren, die sich alle Mühe geben, es aufzufrischen
und zurückzuführen. Sie verdienen es wohl, daß man ihnen auf
gut mittelalterlich dafür dankte! —

Stockholms älteste Gebäude sind im deutschen Styl gehalten und
es finden sich im südlichen Stadtbezirk noch manche reichverzierte
Giebelhäuser, die uns eben so altväterisch als heimathlich anschauen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180829"/>
            <p xml:id="ID_631" prev="#ID_630"> der unterm Stadt flössen die rothen Ströme nieder und brachten den<lb/>
Bürgern Borschaft von der entsetzlichen That.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_632"> Einst standen auf diesem Platze auch Deutsche den Schweden<lb/>
gegenüber. Das war zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Wäh¬<lb/>
rend Albrecht von Mecklenburg die Krone trug, hatten die Hanse¬<lb/>
städte sich weit in den Norden vorgedrängt und viele Deutsche leb¬<lb/>
ten in Stockholm. Sie waren voll Uebermuth und achteten nicht<lb/>
Gesetz noch Recht, wo es ihre Handelsvortheile galt. Die Hätte-<lb/>
brüder &#x2014; so nannte man sie &#x2014; tobten Nachts mit Waffen durch<lb/>
die Stadt. Fragte Einer: &#x201E;Was gibt's da?" so antworteten sie,<lb/>
ohne den Fiesko gelesen zu haben: &#x201E;Deutsche Hiebe!" und schlugen<lb/>
plump drauf los. Zuletzt trieben sie den Unfug gar zu arg, und<lb/>
als Bertil Brun, ein Schwede, zornig darüber sprach, wurde er von<lb/>
einem Hofmann halbtodt geprügelt und in den Thurm gesperrt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_633"> Jetzt klang die Sturmglocke durch Stockholm, beide Parteien<lb/>
wälzten sich in dichten Haufen nach dem großen Markte, und eS<lb/>
schien offenen Kampf geben zu sollen. Aber die Hättebrüder sahen<lb/>
wohl ein, daß sie es mit der Uebermacht nicht aufnehmen konnten;<lb/>
sie gaben Bertil Brun los, und da verlief sich der Tumult. Als<lb/>
Grenerot, der Deutschen Anführer, trat nun vor den versammelten<lb/>
Rath und klagte viele schuldlose Schweden der Meuterei und Ver¬<lb/>
schwörung an. Dieselben wurden ergriffen und mit hölzernen Sä¬<lb/>
gen gemartert, doch gestanden sie Nichts &#x2014; weil sie Nichts wußten.<lb/>
In der Nacht zum 12. Juni 139? kam Als Grenerot zum Schlo߬<lb/>
hauptmann und bot ihm die Hälfte vom Eigenthum der sechzig Ge¬<lb/>
fangenen, wenn er sie ausliefern wollte. Jener ging den Vorschlag<lb/>
ein; man schleppte sie in einem Boote fort, warf sie in ein altes<lb/>
Haus und zündete es an, daß sie drin verbrennen mußten. Spä¬<lb/>
ter richteten die Deutschen zur Sühne zwei steinerne Säulen auf,<lb/>
und damit war Alles abgethan.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_634"> Vivat das Mittelalter! Man kann die braven Leute wahrlich<lb/>
nicht hoch genug verehren, die sich alle Mühe geben, es aufzufrischen<lb/>
und zurückzuführen. Sie verdienen es wohl, daß man ihnen auf<lb/>
gut mittelalterlich dafür dankte! &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_635" next="#ID_636"> Stockholms älteste Gebäude sind im deutschen Styl gehalten und<lb/>
es finden sich im südlichen Stadtbezirk noch manche reichverzierte<lb/>
Giebelhäuser, die uns eben so altväterisch als heimathlich anschauen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] der unterm Stadt flössen die rothen Ströme nieder und brachten den Bürgern Borschaft von der entsetzlichen That. Einst standen auf diesem Platze auch Deutsche den Schweden gegenüber. Das war zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Wäh¬ rend Albrecht von Mecklenburg die Krone trug, hatten die Hanse¬ städte sich weit in den Norden vorgedrängt und viele Deutsche leb¬ ten in Stockholm. Sie waren voll Uebermuth und achteten nicht Gesetz noch Recht, wo es ihre Handelsvortheile galt. Die Hätte- brüder — so nannte man sie — tobten Nachts mit Waffen durch die Stadt. Fragte Einer: „Was gibt's da?" so antworteten sie, ohne den Fiesko gelesen zu haben: „Deutsche Hiebe!" und schlugen plump drauf los. Zuletzt trieben sie den Unfug gar zu arg, und als Bertil Brun, ein Schwede, zornig darüber sprach, wurde er von einem Hofmann halbtodt geprügelt und in den Thurm gesperrt. Jetzt klang die Sturmglocke durch Stockholm, beide Parteien wälzten sich in dichten Haufen nach dem großen Markte, und eS schien offenen Kampf geben zu sollen. Aber die Hättebrüder sahen wohl ein, daß sie es mit der Uebermacht nicht aufnehmen konnten; sie gaben Bertil Brun los, und da verlief sich der Tumult. Als Grenerot, der Deutschen Anführer, trat nun vor den versammelten Rath und klagte viele schuldlose Schweden der Meuterei und Ver¬ schwörung an. Dieselben wurden ergriffen und mit hölzernen Sä¬ gen gemartert, doch gestanden sie Nichts — weil sie Nichts wußten. In der Nacht zum 12. Juni 139? kam Als Grenerot zum Schlo߬ hauptmann und bot ihm die Hälfte vom Eigenthum der sechzig Ge¬ fangenen, wenn er sie ausliefern wollte. Jener ging den Vorschlag ein; man schleppte sie in einem Boote fort, warf sie in ein altes Haus und zündete es an, daß sie drin verbrennen mußten. Spä¬ ter richteten die Deutschen zur Sühne zwei steinerne Säulen auf, und damit war Alles abgethan. Vivat das Mittelalter! Man kann die braven Leute wahrlich nicht hoch genug verehren, die sich alle Mühe geben, es aufzufrischen und zurückzuführen. Sie verdienen es wohl, daß man ihnen auf gut mittelalterlich dafür dankte! — Stockholms älteste Gebäude sind im deutschen Styl gehalten und es finden sich im südlichen Stadtbezirk noch manche reichverzierte Giebelhäuser, die uns eben so altväterisch als heimathlich anschauen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/270>, abgerufen am 23.12.2024.