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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Verbrach. Man hat jetzt einen hohen, gußeisernen Thurm darauf
gestülpt, und das war ein recht täppischer Einfall, denn derselbe sieht
wie eine große Nachtlampe aus. Allenfalls bringt er aus der Ferne,
wenn blauer Himmel das dunkle Eisenfiligran durchschimmert, etwas
Eigenthümliches in das Bild von Stockholm. Edel und großartig
ist die Gustav-Adolphs-Kapelle. Zwar litt auch sie von der Muth,
aber sie wurde untadelhaft restaurirt, und man bedauert nur, daß sie
so an die Kirche angeklebt steht. Sie hat eine reine, würdige Tem¬
pelform, welche selbst durch eingemischte Nococoschnörkel nicht verun¬
staltet wird, und auf freiem Platze müßte sie einen sehr guten Ein¬
druck machen.

Steigen wir von hier die in Felsen gesprengte Straße abwärts,
so kommen wir zum Gestade, wo die Dampfschiffe landen, und man
findet deren, dort wohl zwölf bis zwanzig an der Zahl. Ungefesselt
schweift der Blick über die glitzernde Fläche des Mälarsees und fliegt
in die grünen Buchten hinein, die ihn umgrenzen. Aber weiter kön¬
nen wir unseren Schritt nicht setzen und müssen deshalb zum Schlosse
hin, um den Spaziergang nach Süden zu unternehmen.

Auf dieser Seite gelangt man zuerst an die große "Kirche", von
der sich nichts Besonderes sagen läßt. Sie sieht eben wie eine Kirche
aus, doch kaum wie eine große. nahebei erhebt sich die Börse und
vor derselben liegt seur tumet, der große Markt, in welchen sich acht
Straßen münden. Hier hat das Stockholmer Blutbad stattgefunden.
Christian, der Tyrann, kam in's Land und wurde gekrönt, ob auch
die wahrhaft treuen Bürger vor den Tagen seiner Herrschaft zitter¬
ten. Was ließ sich von einem Monarchen hoffen, dessen vertrauteste
Rathgeberin die Holländerin Siegbrit war, die frühere Bier- und
Branntweinverkäuferin -- ein Weib, halb Wollust und halb Fett.
Vier Tage nach der prächtigen Krönungsfeierlichkeit, am 8. Novem¬
ber 1520, schloß man die Thore Stockholms und gebot den Bewoh¬
nern unter Trompetenschall, ihre Häuser nicht zu verlassen. Dann
öffnete sich der Palast und vierundneunzig der besten Männer Schwe¬
dens kamen heraus. Draußen wartete der Henker, ihre Köpfe fielen,
und Christian stand wohlgefällig am Fenster, das blutige Schnitter¬
fest mit anzusehen. Man nahm die Leichen nicht fort, ein heftiger
Regen goß vom Himmel herab und spülte das Pflaster ab. Bis zu


Verbrach. Man hat jetzt einen hohen, gußeisernen Thurm darauf
gestülpt, und das war ein recht täppischer Einfall, denn derselbe sieht
wie eine große Nachtlampe aus. Allenfalls bringt er aus der Ferne,
wenn blauer Himmel das dunkle Eisenfiligran durchschimmert, etwas
Eigenthümliches in das Bild von Stockholm. Edel und großartig
ist die Gustav-Adolphs-Kapelle. Zwar litt auch sie von der Muth,
aber sie wurde untadelhaft restaurirt, und man bedauert nur, daß sie
so an die Kirche angeklebt steht. Sie hat eine reine, würdige Tem¬
pelform, welche selbst durch eingemischte Nococoschnörkel nicht verun¬
staltet wird, und auf freiem Platze müßte sie einen sehr guten Ein¬
druck machen.

Steigen wir von hier die in Felsen gesprengte Straße abwärts,
so kommen wir zum Gestade, wo die Dampfschiffe landen, und man
findet deren, dort wohl zwölf bis zwanzig an der Zahl. Ungefesselt
schweift der Blick über die glitzernde Fläche des Mälarsees und fliegt
in die grünen Buchten hinein, die ihn umgrenzen. Aber weiter kön¬
nen wir unseren Schritt nicht setzen und müssen deshalb zum Schlosse
hin, um den Spaziergang nach Süden zu unternehmen.

Auf dieser Seite gelangt man zuerst an die große „Kirche", von
der sich nichts Besonderes sagen läßt. Sie sieht eben wie eine Kirche
aus, doch kaum wie eine große. nahebei erhebt sich die Börse und
vor derselben liegt seur tumet, der große Markt, in welchen sich acht
Straßen münden. Hier hat das Stockholmer Blutbad stattgefunden.
Christian, der Tyrann, kam in's Land und wurde gekrönt, ob auch
die wahrhaft treuen Bürger vor den Tagen seiner Herrschaft zitter¬
ten. Was ließ sich von einem Monarchen hoffen, dessen vertrauteste
Rathgeberin die Holländerin Siegbrit war, die frühere Bier- und
Branntweinverkäuferin — ein Weib, halb Wollust und halb Fett.
Vier Tage nach der prächtigen Krönungsfeierlichkeit, am 8. Novem¬
ber 1520, schloß man die Thore Stockholms und gebot den Bewoh¬
nern unter Trompetenschall, ihre Häuser nicht zu verlassen. Dann
öffnete sich der Palast und vierundneunzig der besten Männer Schwe¬
dens kamen heraus. Draußen wartete der Henker, ihre Köpfe fielen,
und Christian stand wohlgefällig am Fenster, das blutige Schnitter¬
fest mit anzusehen. Man nahm die Leichen nicht fort, ein heftiger
Regen goß vom Himmel herab und spülte das Pflaster ab. Bis zu


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[0269] Verbrach. Man hat jetzt einen hohen, gußeisernen Thurm darauf gestülpt, und das war ein recht täppischer Einfall, denn derselbe sieht wie eine große Nachtlampe aus. Allenfalls bringt er aus der Ferne, wenn blauer Himmel das dunkle Eisenfiligran durchschimmert, etwas Eigenthümliches in das Bild von Stockholm. Edel und großartig ist die Gustav-Adolphs-Kapelle. Zwar litt auch sie von der Muth, aber sie wurde untadelhaft restaurirt, und man bedauert nur, daß sie so an die Kirche angeklebt steht. Sie hat eine reine, würdige Tem¬ pelform, welche selbst durch eingemischte Nococoschnörkel nicht verun¬ staltet wird, und auf freiem Platze müßte sie einen sehr guten Ein¬ druck machen. Steigen wir von hier die in Felsen gesprengte Straße abwärts, so kommen wir zum Gestade, wo die Dampfschiffe landen, und man findet deren, dort wohl zwölf bis zwanzig an der Zahl. Ungefesselt schweift der Blick über die glitzernde Fläche des Mälarsees und fliegt in die grünen Buchten hinein, die ihn umgrenzen. Aber weiter kön¬ nen wir unseren Schritt nicht setzen und müssen deshalb zum Schlosse hin, um den Spaziergang nach Süden zu unternehmen. Auf dieser Seite gelangt man zuerst an die große „Kirche", von der sich nichts Besonderes sagen läßt. Sie sieht eben wie eine Kirche aus, doch kaum wie eine große. nahebei erhebt sich die Börse und vor derselben liegt seur tumet, der große Markt, in welchen sich acht Straßen münden. Hier hat das Stockholmer Blutbad stattgefunden. Christian, der Tyrann, kam in's Land und wurde gekrönt, ob auch die wahrhaft treuen Bürger vor den Tagen seiner Herrschaft zitter¬ ten. Was ließ sich von einem Monarchen hoffen, dessen vertrauteste Rathgeberin die Holländerin Siegbrit war, die frühere Bier- und Branntweinverkäuferin — ein Weib, halb Wollust und halb Fett. Vier Tage nach der prächtigen Krönungsfeierlichkeit, am 8. Novem¬ ber 1520, schloß man die Thore Stockholms und gebot den Bewoh¬ nern unter Trompetenschall, ihre Häuser nicht zu verlassen. Dann öffnete sich der Palast und vierundneunzig der besten Männer Schwe¬ dens kamen heraus. Draußen wartete der Henker, ihre Köpfe fielen, und Christian stand wohlgefällig am Fenster, das blutige Schnitter¬ fest mit anzusehen. Man nahm die Leichen nicht fort, ein heftiger Regen goß vom Himmel herab und spülte das Pflaster ab. Bis zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/269>, abgerufen am 23.07.2024.