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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Vor dem Frührapport wurde derselbe zum Arzte geführt, welcher ihn
untersucht und in das diesfällige Marodbuch "8laut-me" einschreibt.
Der Kanonier erscheint beim Rapport und wiederholt neuerdings die
Ursache, warum er nicht stehen konnte, sondern sitzen mußte, und fügt
noch bei, daß er wegen einer halben Stunde, die er noch auf dem
Gang- oder Nachtposten zuzubringen hatte, nicht den Korporal wel-
ken und sich ablösen lassen wollte, bemerkt auch zugleich, daß wohl
zwischen einem Posten bei einem Magazin, bei Kanonen :c. und
zwischen einem Nachtpostcn, wo nicht einmal der Säbel gezogen werde,
ein großer Unterschied wäre. Der im ersten Falle citirte Kriegsarti¬
kel wurde dem Kanonier vorgelesen und dann derselbe befragt, was
er unter "strengstens bestraft" verstehe? Unter "strengstens bestraft"
war die Antwort, verstehe ich Stockprügel und Gassenlaufen. Nun
also iffs recht, versetzte der Hauptmann, -- da Er auf dem Posten
gesessen, statt gestanden ist, -- da der Arzt Seine vorgeblichen Fu߬
schmerzen als Verstellung anerkennt, und Er überhaupt noch die Keck¬
heit hat, den Nachtposten für einen minder wichtigen Posten als an¬
dere auszulegen, so werde ich Ihm heute, da Er noch keine Strafe
hat, fünfundzwanzig Stockstreiche geben lassen. Hiermit war der
Rapport beendigt und der anwesende Offizier erkielt den Auftrag,
den diesfälligen Befehl aufzusetzen und dem Hauptmann zur Unter¬
schrift vorzulegen. Es war an einem Geldtage, wo die Mannschaft
in Gegenwart deö Offiziers und der Unteroffiziere ihren Sold er¬
hält. Als die Mannschaft abgegangen war, fragte der Offizier, der
erst zur Compagnie kam, was der arretirte Kanonier für ein Mann
sei, und sowohl der Feldwebel als alle Unteroffiziere konnten ihn
nicht genug loben. Sie erzählten, daß derselbe mit dem Fuße mehr
als ein halbes Jahr im Spital zugebracht habe und auch im Bade
gewesen, daß dieser Fuß sichtbar um etwas kürzer als der andere sei und
derselbe ohne Weiteres seinen Abschied schon erhalten hätte, wenn er
nicht die Hoffnung zur Wiederherstellung hegte und den Militärdienst
nicht ungerne verlassen möchte. Es scheint, sagte der Feldwebel, daß
der Arzt auf diesen Menschen einen Groll habe; denn, setzte derselbe
hinzu, so viel ich weiß, hat er von ihm Geld unter dem Vorwande,
ihm die Entlassung vom Militär zu verschaffen, erpressen wollen, wel¬
ches aber der Kanonier, als seinem Wunsche entgegen, zurückwies,
und daher ist das heutige "Simulant" wohl erklärbar. -- Der


Vor dem Frührapport wurde derselbe zum Arzte geführt, welcher ihn
untersucht und in das diesfällige Marodbuch „8laut-me" einschreibt.
Der Kanonier erscheint beim Rapport und wiederholt neuerdings die
Ursache, warum er nicht stehen konnte, sondern sitzen mußte, und fügt
noch bei, daß er wegen einer halben Stunde, die er noch auf dem
Gang- oder Nachtposten zuzubringen hatte, nicht den Korporal wel-
ken und sich ablösen lassen wollte, bemerkt auch zugleich, daß wohl
zwischen einem Posten bei einem Magazin, bei Kanonen :c. und
zwischen einem Nachtpostcn, wo nicht einmal der Säbel gezogen werde,
ein großer Unterschied wäre. Der im ersten Falle citirte Kriegsarti¬
kel wurde dem Kanonier vorgelesen und dann derselbe befragt, was
er unter „strengstens bestraft" verstehe? Unter „strengstens bestraft"
war die Antwort, verstehe ich Stockprügel und Gassenlaufen. Nun
also iffs recht, versetzte der Hauptmann, — da Er auf dem Posten
gesessen, statt gestanden ist, — da der Arzt Seine vorgeblichen Fu߬
schmerzen als Verstellung anerkennt, und Er überhaupt noch die Keck¬
heit hat, den Nachtposten für einen minder wichtigen Posten als an¬
dere auszulegen, so werde ich Ihm heute, da Er noch keine Strafe
hat, fünfundzwanzig Stockstreiche geben lassen. Hiermit war der
Rapport beendigt und der anwesende Offizier erkielt den Auftrag,
den diesfälligen Befehl aufzusetzen und dem Hauptmann zur Unter¬
schrift vorzulegen. Es war an einem Geldtage, wo die Mannschaft
in Gegenwart deö Offiziers und der Unteroffiziere ihren Sold er¬
hält. Als die Mannschaft abgegangen war, fragte der Offizier, der
erst zur Compagnie kam, was der arretirte Kanonier für ein Mann
sei, und sowohl der Feldwebel als alle Unteroffiziere konnten ihn
nicht genug loben. Sie erzählten, daß derselbe mit dem Fuße mehr
als ein halbes Jahr im Spital zugebracht habe und auch im Bade
gewesen, daß dieser Fuß sichtbar um etwas kürzer als der andere sei und
derselbe ohne Weiteres seinen Abschied schon erhalten hätte, wenn er
nicht die Hoffnung zur Wiederherstellung hegte und den Militärdienst
nicht ungerne verlassen möchte. Es scheint, sagte der Feldwebel, daß
der Arzt auf diesen Menschen einen Groll habe; denn, setzte derselbe
hinzu, so viel ich weiß, hat er von ihm Geld unter dem Vorwande,
ihm die Entlassung vom Militär zu verschaffen, erpressen wollen, wel¬
ches aber der Kanonier, als seinem Wunsche entgegen, zurückwies,
und daher ist das heutige „Simulant" wohl erklärbar. — Der


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[0205] Vor dem Frührapport wurde derselbe zum Arzte geführt, welcher ihn untersucht und in das diesfällige Marodbuch „8laut-me" einschreibt. Der Kanonier erscheint beim Rapport und wiederholt neuerdings die Ursache, warum er nicht stehen konnte, sondern sitzen mußte, und fügt noch bei, daß er wegen einer halben Stunde, die er noch auf dem Gang- oder Nachtposten zuzubringen hatte, nicht den Korporal wel- ken und sich ablösen lassen wollte, bemerkt auch zugleich, daß wohl zwischen einem Posten bei einem Magazin, bei Kanonen :c. und zwischen einem Nachtpostcn, wo nicht einmal der Säbel gezogen werde, ein großer Unterschied wäre. Der im ersten Falle citirte Kriegsarti¬ kel wurde dem Kanonier vorgelesen und dann derselbe befragt, was er unter „strengstens bestraft" verstehe? Unter „strengstens bestraft" war die Antwort, verstehe ich Stockprügel und Gassenlaufen. Nun also iffs recht, versetzte der Hauptmann, — da Er auf dem Posten gesessen, statt gestanden ist, — da der Arzt Seine vorgeblichen Fu߬ schmerzen als Verstellung anerkennt, und Er überhaupt noch die Keck¬ heit hat, den Nachtposten für einen minder wichtigen Posten als an¬ dere auszulegen, so werde ich Ihm heute, da Er noch keine Strafe hat, fünfundzwanzig Stockstreiche geben lassen. Hiermit war der Rapport beendigt und der anwesende Offizier erkielt den Auftrag, den diesfälligen Befehl aufzusetzen und dem Hauptmann zur Unter¬ schrift vorzulegen. Es war an einem Geldtage, wo die Mannschaft in Gegenwart deö Offiziers und der Unteroffiziere ihren Sold er¬ hält. Als die Mannschaft abgegangen war, fragte der Offizier, der erst zur Compagnie kam, was der arretirte Kanonier für ein Mann sei, und sowohl der Feldwebel als alle Unteroffiziere konnten ihn nicht genug loben. Sie erzählten, daß derselbe mit dem Fuße mehr als ein halbes Jahr im Spital zugebracht habe und auch im Bade gewesen, daß dieser Fuß sichtbar um etwas kürzer als der andere sei und derselbe ohne Weiteres seinen Abschied schon erhalten hätte, wenn er nicht die Hoffnung zur Wiederherstellung hegte und den Militärdienst nicht ungerne verlassen möchte. Es scheint, sagte der Feldwebel, daß der Arzt auf diesen Menschen einen Groll habe; denn, setzte derselbe hinzu, so viel ich weiß, hat er von ihm Geld unter dem Vorwande, ihm die Entlassung vom Militär zu verschaffen, erpressen wollen, wel¬ ches aber der Kanonier, als seinem Wunsche entgegen, zurückwies, und daher ist das heutige „Simulant" wohl erklärbar. — Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/205>, abgerufen am 23.07.2024.