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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Offizier begab sich mit diesen Nachrichten zum Hauptmann und stellte
ihm vor, daß es ungerecht wäre, diesen Kanonier wegen des au¬
genscheinlich unverschuldeten und obendrein geringfügigen Vergehens
mit einer körperlichen Strafe zu belegen, um so mehr, da nach dem
allerhöchsten Befehle so viel als möglich diese verhaßte und entehrende
Strafe zu vermeiden wäre. Thun Sie Ihre Schuldigkeit, sagte der
Hauptmann, ich weiß, was ich thue und werde es verantworten; ob
ich recht oder unrecht handle, das kümmert Sie Nichts, -- ich bin
der Commandant. Nach einem nochmaligen Versuche, den Haupt¬
mann zu menschlicherer Gesinnungen zu stimmen, erfolgte die Ver¬
sicherung, daß der fragliche Kanonier fünfundzwanzig Prügel haben
müsse, so wahr er Hauptmann wäre. Nun stieg dem Offizier die
Galle auf, und er erwiederte ihm: Und er soll sie nicht bekommen,
wenn ich auch cassirt werden sollte. Ich lasse nunmehr den Offizier
selbst diesen Vorfall erzählen, wie ich ihn aus seinem eigenen Munde
hörte. -- Ich ging, erzählte er, zu einem Kameraden, um mir Rath
bei ihm zu holen. Er rieth mir, zum Major zu gehen. Ich that
es. Der Major überhäufte mich mit Vorwürfen, weil ich zu weit
gegangen sei, und fertigte mich mit den Worten ab, daß er sich in
Compagniegeschichten nicht mische und der Hauptmann ohnehin wisse,
was er zu thun habe. Uebrigens, sagte er, ist es gegen allen Dienst,
gegen alle Disciplin, den Hauptmann in seinen Gerechtsamen hem¬
men zu wollen und höhere Vorgesetzte außer der vorgeschriebenen Zeit
und außer der Ordnung zu behelligen. Der Commandant war ab¬
gereist und kehrte vor Abend nicht zurück. Ich weiß nicht, warum,
aber ich setzte es mir einmal in den Kopf, den Kanonier zu retten.
Was war zu thun? -- Ich wollte nur eben bei einem anderen Ka¬
meraden einen guten Rath einholen, als mir der Stabsarzt dieser
Garnison begegnete, dessen Freundschaft zu besitzen ich mich rühmen konnte.
Ich erzählte ihm in Kürze, in welchem Jmbroglio ich mich befände, und
er war so gütig, mir zu erlauben, ihm diesen Mann in derselben
Stunde vorzustellen. Ich eilte, den Kanonier aus dem Arreste zu
holen, und führte ihn zu diesem Stabsarzte. Kaum sah der Letztere
den Kanonier, so erinnerte er sich auch augenblicklich, ihn in der
Behandlung durch längere Zeit gehabt zu haben, und stellte also
gleich ein Zeugniß aus, daß derselbe wirklich mit einem Uebel be¬
haftet und kein SimulaM sei, und ich führte den Kanonier selbst


Offizier begab sich mit diesen Nachrichten zum Hauptmann und stellte
ihm vor, daß es ungerecht wäre, diesen Kanonier wegen des au¬
genscheinlich unverschuldeten und obendrein geringfügigen Vergehens
mit einer körperlichen Strafe zu belegen, um so mehr, da nach dem
allerhöchsten Befehle so viel als möglich diese verhaßte und entehrende
Strafe zu vermeiden wäre. Thun Sie Ihre Schuldigkeit, sagte der
Hauptmann, ich weiß, was ich thue und werde es verantworten; ob
ich recht oder unrecht handle, das kümmert Sie Nichts, — ich bin
der Commandant. Nach einem nochmaligen Versuche, den Haupt¬
mann zu menschlicherer Gesinnungen zu stimmen, erfolgte die Ver¬
sicherung, daß der fragliche Kanonier fünfundzwanzig Prügel haben
müsse, so wahr er Hauptmann wäre. Nun stieg dem Offizier die
Galle auf, und er erwiederte ihm: Und er soll sie nicht bekommen,
wenn ich auch cassirt werden sollte. Ich lasse nunmehr den Offizier
selbst diesen Vorfall erzählen, wie ich ihn aus seinem eigenen Munde
hörte. — Ich ging, erzählte er, zu einem Kameraden, um mir Rath
bei ihm zu holen. Er rieth mir, zum Major zu gehen. Ich that
es. Der Major überhäufte mich mit Vorwürfen, weil ich zu weit
gegangen sei, und fertigte mich mit den Worten ab, daß er sich in
Compagniegeschichten nicht mische und der Hauptmann ohnehin wisse,
was er zu thun habe. Uebrigens, sagte er, ist es gegen allen Dienst,
gegen alle Disciplin, den Hauptmann in seinen Gerechtsamen hem¬
men zu wollen und höhere Vorgesetzte außer der vorgeschriebenen Zeit
und außer der Ordnung zu behelligen. Der Commandant war ab¬
gereist und kehrte vor Abend nicht zurück. Ich weiß nicht, warum,
aber ich setzte es mir einmal in den Kopf, den Kanonier zu retten.
Was war zu thun? — Ich wollte nur eben bei einem anderen Ka¬
meraden einen guten Rath einholen, als mir der Stabsarzt dieser
Garnison begegnete, dessen Freundschaft zu besitzen ich mich rühmen konnte.
Ich erzählte ihm in Kürze, in welchem Jmbroglio ich mich befände, und
er war so gütig, mir zu erlauben, ihm diesen Mann in derselben
Stunde vorzustellen. Ich eilte, den Kanonier aus dem Arreste zu
holen, und führte ihn zu diesem Stabsarzte. Kaum sah der Letztere
den Kanonier, so erinnerte er sich auch augenblicklich, ihn in der
Behandlung durch längere Zeit gehabt zu haben, und stellte also
gleich ein Zeugniß aus, daß derselbe wirklich mit einem Uebel be¬
haftet und kein SimulaM sei, und ich führte den Kanonier selbst


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[0206] Offizier begab sich mit diesen Nachrichten zum Hauptmann und stellte ihm vor, daß es ungerecht wäre, diesen Kanonier wegen des au¬ genscheinlich unverschuldeten und obendrein geringfügigen Vergehens mit einer körperlichen Strafe zu belegen, um so mehr, da nach dem allerhöchsten Befehle so viel als möglich diese verhaßte und entehrende Strafe zu vermeiden wäre. Thun Sie Ihre Schuldigkeit, sagte der Hauptmann, ich weiß, was ich thue und werde es verantworten; ob ich recht oder unrecht handle, das kümmert Sie Nichts, — ich bin der Commandant. Nach einem nochmaligen Versuche, den Haupt¬ mann zu menschlicherer Gesinnungen zu stimmen, erfolgte die Ver¬ sicherung, daß der fragliche Kanonier fünfundzwanzig Prügel haben müsse, so wahr er Hauptmann wäre. Nun stieg dem Offizier die Galle auf, und er erwiederte ihm: Und er soll sie nicht bekommen, wenn ich auch cassirt werden sollte. Ich lasse nunmehr den Offizier selbst diesen Vorfall erzählen, wie ich ihn aus seinem eigenen Munde hörte. — Ich ging, erzählte er, zu einem Kameraden, um mir Rath bei ihm zu holen. Er rieth mir, zum Major zu gehen. Ich that es. Der Major überhäufte mich mit Vorwürfen, weil ich zu weit gegangen sei, und fertigte mich mit den Worten ab, daß er sich in Compagniegeschichten nicht mische und der Hauptmann ohnehin wisse, was er zu thun habe. Uebrigens, sagte er, ist es gegen allen Dienst, gegen alle Disciplin, den Hauptmann in seinen Gerechtsamen hem¬ men zu wollen und höhere Vorgesetzte außer der vorgeschriebenen Zeit und außer der Ordnung zu behelligen. Der Commandant war ab¬ gereist und kehrte vor Abend nicht zurück. Ich weiß nicht, warum, aber ich setzte es mir einmal in den Kopf, den Kanonier zu retten. Was war zu thun? — Ich wollte nur eben bei einem anderen Ka¬ meraden einen guten Rath einholen, als mir der Stabsarzt dieser Garnison begegnete, dessen Freundschaft zu besitzen ich mich rühmen konnte. Ich erzählte ihm in Kürze, in welchem Jmbroglio ich mich befände, und er war so gütig, mir zu erlauben, ihm diesen Mann in derselben Stunde vorzustellen. Ich eilte, den Kanonier aus dem Arreste zu holen, und führte ihn zu diesem Stabsarzte. Kaum sah der Letztere den Kanonier, so erinnerte er sich auch augenblicklich, ihn in der Behandlung durch längere Zeit gehabt zu haben, und stellte also gleich ein Zeugniß aus, daß derselbe wirklich mit einem Uebel be¬ haftet und kein SimulaM sei, und ich führte den Kanonier selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/206>, abgerufen am 23.12.2024.