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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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gazin vorhandene Holz zu schichten. Der auf der Wache stehende
Kanonier sah anfangs der Arbeit zu, aber da bei den geöffneten Thü¬
ren und bei der Anwesenheit so vieler Individuen für die Sicherheit
dieses Magazins Nichts zu befürchten war, so setzte sich derselbe in
einem Winkel im Magazin nieder und schlief sanft ein. Der Zufall
wollte, daß der Hauptmann dieses Kanoniers von eben der Seite in
dieses Magazin trat, wo derselbe fest schlief. Dem Hauptmann ge¬
lang es, ihm den gezogenen Säbel wegzunehmen, und dann weckte ihn
derselbe aus. Der Kanonier wurde alsogleich abgelöst und in Arrest
gesetzt. Der diesfällsige Kriegsartikel lautet: "Wer seinen Wachposten
treulos verläßt, auf demselben einschläft :c., soll in Kriegszeiten mit
dem Tode, in Friedenszeiten aber schärfstens bestraft werden." Als
die Kunde von der Arretirung dieses Kanoniers in der Compagnie
sich verbreitet hatte, wurden allerlei Urtheile über die Art seiner Be¬
strafung im Voraus gefällt, und dasjenige, daß derselbe an das Re-
gimcntscommando gemeldet würde, erhielt die größte Consistenz. Zur
größten Verwunderung Aller wurde dieser Kanonier vermöge Com¬
pagniebefehl wegen Nachlässigkeit auf den, Wachposten rücksichtlich
seiner sonstigen ausgezeichnet braven Aufführung zwölf Stunden in'S
letzte Glied versetzt, mit zweistündigem Intervall krumm geschlossen und
sodann seines Arrestes entlassen. Hätte der Haupfmcmn diesen Vorfall
dem Regimentscommando der Wahrheit gemäß gemeldet und diesen
Kanonier mittelst Species liicti übergeben, so würde derselbe unfehl¬
bar entweder vermöge kriegsrechtlichen Urtheils in die Gasse gekom-
men oder unmittelbar vom Obersten im Wege der Gnade mit fünf¬
zig Stockstreichen belegt worden sein. -- Der Hauptmann war aber
ein edler Mensch und ein gefühlvoller Mann, der seine Macht er¬
kannte, aber nicht mißbrauchte.

Ein Kanonier, der im vierten Jahre diente und durchaus gute
Conduite und vortheilhafte Bildung hatte, stand in einer gesperrten
Kaserne auf dem Nachtpoften, damit nicht während der Nacht die
Gänge verunreinigt und anderer Unfug getrieben werden könnte. Sein
Hauptmann kommt nach Mitternacht nach Hause und trifft diesen
Kanonier, statt auf- und abgehend, auf der Gangmauer sitzend an.
Er fragt ihn, warum er sitze? Der Kanonier antwortet, sein Fuß
schmerze ihm auf einmal so sehr, daß er durchaus nicht stehen
könne. Der Kanonier wird ebenfalls abgelöst und in Arrest gebracht.


gazin vorhandene Holz zu schichten. Der auf der Wache stehende
Kanonier sah anfangs der Arbeit zu, aber da bei den geöffneten Thü¬
ren und bei der Anwesenheit so vieler Individuen für die Sicherheit
dieses Magazins Nichts zu befürchten war, so setzte sich derselbe in
einem Winkel im Magazin nieder und schlief sanft ein. Der Zufall
wollte, daß der Hauptmann dieses Kanoniers von eben der Seite in
dieses Magazin trat, wo derselbe fest schlief. Dem Hauptmann ge¬
lang es, ihm den gezogenen Säbel wegzunehmen, und dann weckte ihn
derselbe aus. Der Kanonier wurde alsogleich abgelöst und in Arrest
gesetzt. Der diesfällsige Kriegsartikel lautet: „Wer seinen Wachposten
treulos verläßt, auf demselben einschläft :c., soll in Kriegszeiten mit
dem Tode, in Friedenszeiten aber schärfstens bestraft werden." Als
die Kunde von der Arretirung dieses Kanoniers in der Compagnie
sich verbreitet hatte, wurden allerlei Urtheile über die Art seiner Be¬
strafung im Voraus gefällt, und dasjenige, daß derselbe an das Re-
gimcntscommando gemeldet würde, erhielt die größte Consistenz. Zur
größten Verwunderung Aller wurde dieser Kanonier vermöge Com¬
pagniebefehl wegen Nachlässigkeit auf den, Wachposten rücksichtlich
seiner sonstigen ausgezeichnet braven Aufführung zwölf Stunden in'S
letzte Glied versetzt, mit zweistündigem Intervall krumm geschlossen und
sodann seines Arrestes entlassen. Hätte der Haupfmcmn diesen Vorfall
dem Regimentscommando der Wahrheit gemäß gemeldet und diesen
Kanonier mittelst Species liicti übergeben, so würde derselbe unfehl¬
bar entweder vermöge kriegsrechtlichen Urtheils in die Gasse gekom-
men oder unmittelbar vom Obersten im Wege der Gnade mit fünf¬
zig Stockstreichen belegt worden sein. — Der Hauptmann war aber
ein edler Mensch und ein gefühlvoller Mann, der seine Macht er¬
kannte, aber nicht mißbrauchte.

Ein Kanonier, der im vierten Jahre diente und durchaus gute
Conduite und vortheilhafte Bildung hatte, stand in einer gesperrten
Kaserne auf dem Nachtpoften, damit nicht während der Nacht die
Gänge verunreinigt und anderer Unfug getrieben werden könnte. Sein
Hauptmann kommt nach Mitternacht nach Hause und trifft diesen
Kanonier, statt auf- und abgehend, auf der Gangmauer sitzend an.
Er fragt ihn, warum er sitze? Der Kanonier antwortet, sein Fuß
schmerze ihm auf einmal so sehr, daß er durchaus nicht stehen
könne. Der Kanonier wird ebenfalls abgelöst und in Arrest gebracht.


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[0204] gazin vorhandene Holz zu schichten. Der auf der Wache stehende Kanonier sah anfangs der Arbeit zu, aber da bei den geöffneten Thü¬ ren und bei der Anwesenheit so vieler Individuen für die Sicherheit dieses Magazins Nichts zu befürchten war, so setzte sich derselbe in einem Winkel im Magazin nieder und schlief sanft ein. Der Zufall wollte, daß der Hauptmann dieses Kanoniers von eben der Seite in dieses Magazin trat, wo derselbe fest schlief. Dem Hauptmann ge¬ lang es, ihm den gezogenen Säbel wegzunehmen, und dann weckte ihn derselbe aus. Der Kanonier wurde alsogleich abgelöst und in Arrest gesetzt. Der diesfällsige Kriegsartikel lautet: „Wer seinen Wachposten treulos verläßt, auf demselben einschläft :c., soll in Kriegszeiten mit dem Tode, in Friedenszeiten aber schärfstens bestraft werden." Als die Kunde von der Arretirung dieses Kanoniers in der Compagnie sich verbreitet hatte, wurden allerlei Urtheile über die Art seiner Be¬ strafung im Voraus gefällt, und dasjenige, daß derselbe an das Re- gimcntscommando gemeldet würde, erhielt die größte Consistenz. Zur größten Verwunderung Aller wurde dieser Kanonier vermöge Com¬ pagniebefehl wegen Nachlässigkeit auf den, Wachposten rücksichtlich seiner sonstigen ausgezeichnet braven Aufführung zwölf Stunden in'S letzte Glied versetzt, mit zweistündigem Intervall krumm geschlossen und sodann seines Arrestes entlassen. Hätte der Haupfmcmn diesen Vorfall dem Regimentscommando der Wahrheit gemäß gemeldet und diesen Kanonier mittelst Species liicti übergeben, so würde derselbe unfehl¬ bar entweder vermöge kriegsrechtlichen Urtheils in die Gasse gekom- men oder unmittelbar vom Obersten im Wege der Gnade mit fünf¬ zig Stockstreichen belegt worden sein. — Der Hauptmann war aber ein edler Mensch und ein gefühlvoller Mann, der seine Macht er¬ kannte, aber nicht mißbrauchte. Ein Kanonier, der im vierten Jahre diente und durchaus gute Conduite und vortheilhafte Bildung hatte, stand in einer gesperrten Kaserne auf dem Nachtpoften, damit nicht während der Nacht die Gänge verunreinigt und anderer Unfug getrieben werden könnte. Sein Hauptmann kommt nach Mitternacht nach Hause und trifft diesen Kanonier, statt auf- und abgehend, auf der Gangmauer sitzend an. Er fragt ihn, warum er sitze? Der Kanonier antwortet, sein Fuß schmerze ihm auf einmal so sehr, daß er durchaus nicht stehen könne. Der Kanonier wird ebenfalls abgelöst und in Arrest gebracht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/204>, abgerufen am 23.12.2024.