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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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wir auch an ihnen vornberrauschten, und ich hatte das Vergnügen,
die persönliche Bekanntschaft von Geschöpfen zu machen, welche ich
bisher nur aus zoologischen Museen, aus Jagdstiefeln und Neisekof-
fern kannte.

Man schießt den Seehund hier an der schwedischen Küste ge¬
wöhnlich mit Flinten, und das Schrot muß ihm durch die Augen ge¬
hen. Trifft ihn eine Büchsenkugel, so sinkt er damit unter und wird
nicht wieder gefunden. Höher im Norden aber belauert man Nachts
auf dem Eise die schlafenden Heerden, umschleicht sie, daß sie nicht
in's Meer zurückfliehen können, und erlegt sie mit eisenbeschlagenen
Keulen. Die Schnauze ist ihr empfindlichster Theil, und einen flüch¬
tigen Schlag darauf, so richten sie sich niemals mehr empor. DaS
Meer, sagt man, sei des Nordländers Acker und die Robbe seine
Ernte. Grönländer und Eskimos leben allein von diesen Thieren.
Sie essen das Fleisch, trinken den Thran, erleuchten und erwärmen
ihre Hütten mit dem Speck. Mit den Sehnen nähen sie, -wie mit
Zwirn, und die Knochen liefern Nadeln dazu, aber auch Messer, Ga¬
beln und Werkzeuge. Aus den Gedärmen machen sie sich wasserdichte
Hemden, Zeltbehänge, Thranschläuche und halbdurchsichtige Fenster¬
scheiben. Die Bärte des Seehundes dienen ihnen zum Putz, wie
der Gemsbart den Tvrolem, wie die Marabouts den Damen in un¬
seren Salons. Aus den Fellen bereiten sie ihre Gewänder, schneiden
sie Riemen und überziehen sie ihre Canots damit. Kurz, die Noth
macht erfinderisch, und fängt der Polarbewohner nur Robben genug,
so ist für alle seine Wünsche hinreichend gesorgt. Wenn wir solche
Erzählungen hören, wird uns eiskalt und schaurig, und wir hüllen
uns dann noch einmal so wohlgefällig in den Mantel unserer besten
Cultur.

Um vier Uhr waren wir bei der Seefestung Warholm. Sie
bietet ein mehr malerisches, als imposantes Bild. Einige Mauern
und Wälle mit Schießscharten, ein starker runder Thurm von grauem
Stein -- das liegt Alles recht romantisch da, sieht aber gar nicht
finster drohend aus und soll den Seeweg doch unnehmbar beherrschen.
Oben auf der Mauer stand, frierend in den Mantel gewickelt, ein
Wachtposten und rief uns durch das Sprachrohr an. In demselben
Allgenblick, als der Capitän antworten wollte, bemerkte er ein Dampf¬
schiff, das, um die Krümmung biegend, dem Svithiod entgegenkam.


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wir auch an ihnen vornberrauschten, und ich hatte das Vergnügen,
die persönliche Bekanntschaft von Geschöpfen zu machen, welche ich
bisher nur aus zoologischen Museen, aus Jagdstiefeln und Neisekof-
fern kannte.

Man schießt den Seehund hier an der schwedischen Küste ge¬
wöhnlich mit Flinten, und das Schrot muß ihm durch die Augen ge¬
hen. Trifft ihn eine Büchsenkugel, so sinkt er damit unter und wird
nicht wieder gefunden. Höher im Norden aber belauert man Nachts
auf dem Eise die schlafenden Heerden, umschleicht sie, daß sie nicht
in's Meer zurückfliehen können, und erlegt sie mit eisenbeschlagenen
Keulen. Die Schnauze ist ihr empfindlichster Theil, und einen flüch¬
tigen Schlag darauf, so richten sie sich niemals mehr empor. DaS
Meer, sagt man, sei des Nordländers Acker und die Robbe seine
Ernte. Grönländer und Eskimos leben allein von diesen Thieren.
Sie essen das Fleisch, trinken den Thran, erleuchten und erwärmen
ihre Hütten mit dem Speck. Mit den Sehnen nähen sie, -wie mit
Zwirn, und die Knochen liefern Nadeln dazu, aber auch Messer, Ga¬
beln und Werkzeuge. Aus den Gedärmen machen sie sich wasserdichte
Hemden, Zeltbehänge, Thranschläuche und halbdurchsichtige Fenster¬
scheiben. Die Bärte des Seehundes dienen ihnen zum Putz, wie
der Gemsbart den Tvrolem, wie die Marabouts den Damen in un¬
seren Salons. Aus den Fellen bereiten sie ihre Gewänder, schneiden
sie Riemen und überziehen sie ihre Canots damit. Kurz, die Noth
macht erfinderisch, und fängt der Polarbewohner nur Robben genug,
so ist für alle seine Wünsche hinreichend gesorgt. Wenn wir solche
Erzählungen hören, wird uns eiskalt und schaurig, und wir hüllen
uns dann noch einmal so wohlgefällig in den Mantel unserer besten
Cultur.

Um vier Uhr waren wir bei der Seefestung Warholm. Sie
bietet ein mehr malerisches, als imposantes Bild. Einige Mauern
und Wälle mit Schießscharten, ein starker runder Thurm von grauem
Stein — das liegt Alles recht romantisch da, sieht aber gar nicht
finster drohend aus und soll den Seeweg doch unnehmbar beherrschen.
Oben auf der Mauer stand, frierend in den Mantel gewickelt, ein
Wachtposten und rief uns durch das Sprachrohr an. In demselben
Allgenblick, als der Capitän antworten wollte, bemerkte er ein Dampf¬
schiff, das, um die Krümmung biegend, dem Svithiod entgegenkam.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/185>, abgerufen am 03.07.2024.