Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.Die Schiffsuhr schlug Zehn, die glühenoe Erzkugel der Sonne Noch ein interessanter Anblick erwartete mich als Entschädigung Die Schiffsuhr schlug Zehn, die glühenoe Erzkugel der Sonne Noch ein interessanter Anblick erwartete mich als Entschädigung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180743"/> <p xml:id="ID_429"> Die Schiffsuhr schlug Zehn, die glühenoe Erzkugel der Sonne<lb/> war bereits im Meere verlöscht, und doch wurde es nicht dunkel.<lb/> Wir waren im Norden. Zwar tönte noch Gesang und Lautenspiel<lb/> auf dem Deck, allein ich suchte bald mein Lager, um desto zeitiger<lb/> wieder auf zu sein. Mit dem Glockenschlage Drei stand auch der<lb/> Graf S. in seiner Schlafmütze vor mir und weckte mich. Er ist ein<lb/> viel zu guter Schwede, als daß er zugeben könnte, ein Fremder solle<lb/> an den Schönheiten seines Landes schlafend vorüberfahren, und wir<lb/> waren nicht mehr weit von Warholm. Mit der Sonne zugleich kam<lb/> ich auf'S Verdeck, und ob mich gleich bitter fror, so wich ich doch<lb/> nicht von der Stelle. Karte, der einen wahren Jnstinct für unsere<lb/> Bedürfnisse besaß, hatte sich auch aus dem Schlafe gerafft und ließ<lb/> mir Kaffee kochen. Die Scheeren sahen jetzt nicht mehr so steinern<lb/> nackt wie am vorigen Abend <of. Hohe Tannen und Eichen um¬<lb/> hüllten sie zum Theil mit saftigem Grün, und rothe Bauerhäuschen<lb/> lugten durch den Baumschlag. Herrlich fluthete die blaue See in<lb/> unzählbaren Schlingungen und Windungen durch die gigantische Klip--<lb/> pengruppe; eine ganze Flotte von Fischerbooten mit weißen Segeln<lb/> schwamm gleich Möven dazwischen umher, und die Frühsonne glühte<lb/> Alles mit heißem Purpur an.</p><lb/> <p xml:id="ID_430" next="#ID_431"> Noch ein interessanter Anblick erwartete mich als Entschädigung<lb/> für die Stunden, die ich dem Morpheus entzogen hatte. Vor uns<lb/> rauschte und spritzte das Wasser an einer Stelle ganz eigenthümlich;<lb/> der Steuermann stieß mich an und sagte: ich solle Acht geben, das<lb/> seien Seehunde. Es mochte eine Horde von achtzehn bis zwanzig<lb/> sein; sie ließen uns ruhig herankommen, streckten furchtlos die Köpfe<lb/> aus der Fluth, unser großes Näderschiff verwundert anglotzend. Muth<lb/> und Neugierde sollen charakteristische Züge im Naturell der Robbe<lb/> sein, und ich habe wahrlich noch niemals ausdrucksvollere Thier¬<lb/> physiognomien gesehen. Aus dem dicken glatten Kopf, ohne bemerk¬<lb/> bare Ohren, funkeln die großen schwarzen Luchsaugen, und der dichte<lb/> Bart, der sich um's Maul hinzieht, gibt ihnen kecke, trotzige Mienen.<lb/> Ein gedrungener, dehnbarer Hals verbindet dies ernsthaft-komische<lb/> Antlitz init dem spitz zulaufenden Leibe, der die Länge eines ausge¬<lb/> wachsenen Mannes hat. Vorn sitzen, nahe am Kopfe, die kurzen<lb/> Ruderbeine, während die Hinterfüße sich beinahe ganz mit dem Schwanz<lb/> vereinen. Die Robben zeigten nicht die mindeste Furcht, wie nahe</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0184]
Die Schiffsuhr schlug Zehn, die glühenoe Erzkugel der Sonne
war bereits im Meere verlöscht, und doch wurde es nicht dunkel.
Wir waren im Norden. Zwar tönte noch Gesang und Lautenspiel
auf dem Deck, allein ich suchte bald mein Lager, um desto zeitiger
wieder auf zu sein. Mit dem Glockenschlage Drei stand auch der
Graf S. in seiner Schlafmütze vor mir und weckte mich. Er ist ein
viel zu guter Schwede, als daß er zugeben könnte, ein Fremder solle
an den Schönheiten seines Landes schlafend vorüberfahren, und wir
waren nicht mehr weit von Warholm. Mit der Sonne zugleich kam
ich auf'S Verdeck, und ob mich gleich bitter fror, so wich ich doch
nicht von der Stelle. Karte, der einen wahren Jnstinct für unsere
Bedürfnisse besaß, hatte sich auch aus dem Schlafe gerafft und ließ
mir Kaffee kochen. Die Scheeren sahen jetzt nicht mehr so steinern
nackt wie am vorigen Abend <of. Hohe Tannen und Eichen um¬
hüllten sie zum Theil mit saftigem Grün, und rothe Bauerhäuschen
lugten durch den Baumschlag. Herrlich fluthete die blaue See in
unzählbaren Schlingungen und Windungen durch die gigantische Klip--
pengruppe; eine ganze Flotte von Fischerbooten mit weißen Segeln
schwamm gleich Möven dazwischen umher, und die Frühsonne glühte
Alles mit heißem Purpur an.
Noch ein interessanter Anblick erwartete mich als Entschädigung
für die Stunden, die ich dem Morpheus entzogen hatte. Vor uns
rauschte und spritzte das Wasser an einer Stelle ganz eigenthümlich;
der Steuermann stieß mich an und sagte: ich solle Acht geben, das
seien Seehunde. Es mochte eine Horde von achtzehn bis zwanzig
sein; sie ließen uns ruhig herankommen, streckten furchtlos die Köpfe
aus der Fluth, unser großes Näderschiff verwundert anglotzend. Muth
und Neugierde sollen charakteristische Züge im Naturell der Robbe
sein, und ich habe wahrlich noch niemals ausdrucksvollere Thier¬
physiognomien gesehen. Aus dem dicken glatten Kopf, ohne bemerk¬
bare Ohren, funkeln die großen schwarzen Luchsaugen, und der dichte
Bart, der sich um's Maul hinzieht, gibt ihnen kecke, trotzige Mienen.
Ein gedrungener, dehnbarer Hals verbindet dies ernsthaft-komische
Antlitz init dem spitz zulaufenden Leibe, der die Länge eines ausge¬
wachsenen Mannes hat. Vorn sitzen, nahe am Kopfe, die kurzen
Ruderbeine, während die Hinterfüße sich beinahe ganz mit dem Schwanz
vereinen. Die Robben zeigten nicht die mindeste Furcht, wie nahe
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |