Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Thürme und Zinnen des Klosters Kolbatz in ihm. Hier wohnte seit
einiger Zeit der Pater Martin, welcher weit aus Italien hergekom¬
men war, doch nicht freiwillig, sondern auf Befehl seiner Obern und
zur Strafe für das Aergerniß, das er tagtäglich gegeben. Man
weiß ja, wie nachsichtig die Herren stets gewesen sind, wo es fleisch¬
liche Sünden galt, und deshalb kann man wohl behaupten: Pater
Martin muß es etwas toll getrieben haben. Derselbe sah sonst wie
andere fromme Mönche aus: seine Platte brauchte nicht geschoren
zu werden, denn es wuchsen doch keine Haare darauf; in seinem
glänzend feisten Antlitz funkelten zwei lüsterne Augen. Die rothen
Wangen, das Doppelkinn, der Bauch, dessen kein Falstaff sich hätte
schämen dürfen ... all diese Einzelheiten deuteten an, wie gut dem
ehrwürdigen Pater das Fasten und Kasteien in Italien bekommen
war. Aber wunderbarer Weise nahm, seit Martin sich zu Kolbatz
befand, der Vollmond seines Antlitzes immer mehr und mehr ab,
und auch das runde Bäuchlein wurde schwächer. Still und traurig
schlich er durch die gewölbten Hallen, aller Lebensmuth schien ihm
dahin, und seine Ordensbrüder brachten tausend Vermuthungen vor,
was ihm wohl fehlen möge.

Eines Tages, als Pater Martin aus dem Refectorio kam, hielt
er im Klostergarten folgendes Selbstgespräch: Nein, das ist nicht
auszuhalten! Statt des goldig blauen Himmels diese Witterung, die
aus drei Achtel Nebel und fünf Achtel Regen besteht! Statt der
weichen, feurigen Südländerinnen die kalten plumpen Bauerdirnen!
Statt der üppig schwellenden Tafeln diese Hospitalmahlzeilen --
ich magere so zusehends ab, daß sich leicht die Zeit berechnen läßt,
wo gar Nichts mehr von mir übrig sein wird. Wie haben wir heute
wieder gespeist! Zuerst jene sprichwörtliche "blaue Grütze", dann ein
Stückchen Rügenwalder Spickgans, und dann Maränen -- Marä-
nen? Gerechter Gott! diese kleinen grätigen Fischchen, die in Italien
kein Facchino essen würde, verhalten sich zu unseren hesperischen Ma¬
ränen, wie Disteln zu Dattelpalmen. Crassus hatte Fische in seinem
Behälter, die er so innig liebte, daß er die Hingeschiedenen beweinte
und sie prächtig bestatten ließ. O, ich möchte auch weinen, wenn
ich an die glänzenden Maränen denke, deren perlmutternes Fleisch
sich in feinen Blättern ablöst, einer silbernen Rose vergleichbar. Der
Teufel soll mich holen, und meinetwegen noch zwölf Mönche dazu,


Thürme und Zinnen des Klosters Kolbatz in ihm. Hier wohnte seit
einiger Zeit der Pater Martin, welcher weit aus Italien hergekom¬
men war, doch nicht freiwillig, sondern auf Befehl seiner Obern und
zur Strafe für das Aergerniß, das er tagtäglich gegeben. Man
weiß ja, wie nachsichtig die Herren stets gewesen sind, wo es fleisch¬
liche Sünden galt, und deshalb kann man wohl behaupten: Pater
Martin muß es etwas toll getrieben haben. Derselbe sah sonst wie
andere fromme Mönche aus: seine Platte brauchte nicht geschoren
zu werden, denn es wuchsen doch keine Haare darauf; in seinem
glänzend feisten Antlitz funkelten zwei lüsterne Augen. Die rothen
Wangen, das Doppelkinn, der Bauch, dessen kein Falstaff sich hätte
schämen dürfen ... all diese Einzelheiten deuteten an, wie gut dem
ehrwürdigen Pater das Fasten und Kasteien in Italien bekommen
war. Aber wunderbarer Weise nahm, seit Martin sich zu Kolbatz
befand, der Vollmond seines Antlitzes immer mehr und mehr ab,
und auch das runde Bäuchlein wurde schwächer. Still und traurig
schlich er durch die gewölbten Hallen, aller Lebensmuth schien ihm
dahin, und seine Ordensbrüder brachten tausend Vermuthungen vor,
was ihm wohl fehlen möge.

Eines Tages, als Pater Martin aus dem Refectorio kam, hielt
er im Klostergarten folgendes Selbstgespräch: Nein, das ist nicht
auszuhalten! Statt des goldig blauen Himmels diese Witterung, die
aus drei Achtel Nebel und fünf Achtel Regen besteht! Statt der
weichen, feurigen Südländerinnen die kalten plumpen Bauerdirnen!
Statt der üppig schwellenden Tafeln diese Hospitalmahlzeilen —
ich magere so zusehends ab, daß sich leicht die Zeit berechnen läßt,
wo gar Nichts mehr von mir übrig sein wird. Wie haben wir heute
wieder gespeist! Zuerst jene sprichwörtliche „blaue Grütze", dann ein
Stückchen Rügenwalder Spickgans, und dann Maränen — Marä-
nen? Gerechter Gott! diese kleinen grätigen Fischchen, die in Italien
kein Facchino essen würde, verhalten sich zu unseren hesperischen Ma¬
ränen, wie Disteln zu Dattelpalmen. Crassus hatte Fische in seinem
Behälter, die er so innig liebte, daß er die Hingeschiedenen beweinte
und sie prächtig bestatten ließ. O, ich möchte auch weinen, wenn
ich an die glänzenden Maränen denke, deren perlmutternes Fleisch
sich in feinen Blättern ablöst, einer silbernen Rose vergleichbar. Der
Teufel soll mich holen, und meinetwegen noch zwölf Mönche dazu,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180684"/>
            <p xml:id="ID_269" prev="#ID_268"> Thürme und Zinnen des Klosters Kolbatz in ihm. Hier wohnte seit<lb/>
einiger Zeit der Pater Martin, welcher weit aus Italien hergekom¬<lb/>
men war, doch nicht freiwillig, sondern auf Befehl seiner Obern und<lb/>
zur Strafe für das Aergerniß, das er tagtäglich gegeben. Man<lb/>
weiß ja, wie nachsichtig die Herren stets gewesen sind, wo es fleisch¬<lb/>
liche Sünden galt, und deshalb kann man wohl behaupten: Pater<lb/>
Martin muß es etwas toll getrieben haben. Derselbe sah sonst wie<lb/>
andere fromme Mönche aus: seine Platte brauchte nicht geschoren<lb/>
zu werden, denn es wuchsen doch keine Haare darauf; in seinem<lb/>
glänzend feisten Antlitz funkelten zwei lüsterne Augen. Die rothen<lb/>
Wangen, das Doppelkinn, der Bauch, dessen kein Falstaff sich hätte<lb/>
schämen dürfen ... all diese Einzelheiten deuteten an, wie gut dem<lb/>
ehrwürdigen Pater das Fasten und Kasteien in Italien bekommen<lb/>
war. Aber wunderbarer Weise nahm, seit Martin sich zu Kolbatz<lb/>
befand, der Vollmond seines Antlitzes immer mehr und mehr ab,<lb/>
und auch das runde Bäuchlein wurde schwächer. Still und traurig<lb/>
schlich er durch die gewölbten Hallen, aller Lebensmuth schien ihm<lb/>
dahin, und seine Ordensbrüder brachten tausend Vermuthungen vor,<lb/>
was ihm wohl fehlen möge.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_270" next="#ID_271"> Eines Tages, als Pater Martin aus dem Refectorio kam, hielt<lb/>
er im Klostergarten folgendes Selbstgespräch: Nein, das ist nicht<lb/>
auszuhalten! Statt des goldig blauen Himmels diese Witterung, die<lb/>
aus drei Achtel Nebel und fünf Achtel Regen besteht! Statt der<lb/>
weichen, feurigen Südländerinnen die kalten plumpen Bauerdirnen!<lb/>
Statt der üppig schwellenden Tafeln diese Hospitalmahlzeilen &#x2014;<lb/>
ich magere so zusehends ab, daß sich leicht die Zeit berechnen läßt,<lb/>
wo gar Nichts mehr von mir übrig sein wird. Wie haben wir heute<lb/>
wieder gespeist! Zuerst jene sprichwörtliche &#x201E;blaue Grütze", dann ein<lb/>
Stückchen Rügenwalder Spickgans, und dann Maränen &#x2014; Marä-<lb/>
nen? Gerechter Gott! diese kleinen grätigen Fischchen, die in Italien<lb/>
kein Facchino essen würde, verhalten sich zu unseren hesperischen Ma¬<lb/>
ränen, wie Disteln zu Dattelpalmen. Crassus hatte Fische in seinem<lb/>
Behälter, die er so innig liebte, daß er die Hingeschiedenen beweinte<lb/>
und sie prächtig bestatten ließ. O, ich möchte auch weinen, wenn<lb/>
ich an die glänzenden Maränen denke, deren perlmutternes Fleisch<lb/>
sich in feinen Blättern ablöst, einer silbernen Rose vergleichbar. Der<lb/>
Teufel soll mich holen, und meinetwegen noch zwölf Mönche dazu,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0125] Thürme und Zinnen des Klosters Kolbatz in ihm. Hier wohnte seit einiger Zeit der Pater Martin, welcher weit aus Italien hergekom¬ men war, doch nicht freiwillig, sondern auf Befehl seiner Obern und zur Strafe für das Aergerniß, das er tagtäglich gegeben. Man weiß ja, wie nachsichtig die Herren stets gewesen sind, wo es fleisch¬ liche Sünden galt, und deshalb kann man wohl behaupten: Pater Martin muß es etwas toll getrieben haben. Derselbe sah sonst wie andere fromme Mönche aus: seine Platte brauchte nicht geschoren zu werden, denn es wuchsen doch keine Haare darauf; in seinem glänzend feisten Antlitz funkelten zwei lüsterne Augen. Die rothen Wangen, das Doppelkinn, der Bauch, dessen kein Falstaff sich hätte schämen dürfen ... all diese Einzelheiten deuteten an, wie gut dem ehrwürdigen Pater das Fasten und Kasteien in Italien bekommen war. Aber wunderbarer Weise nahm, seit Martin sich zu Kolbatz befand, der Vollmond seines Antlitzes immer mehr und mehr ab, und auch das runde Bäuchlein wurde schwächer. Still und traurig schlich er durch die gewölbten Hallen, aller Lebensmuth schien ihm dahin, und seine Ordensbrüder brachten tausend Vermuthungen vor, was ihm wohl fehlen möge. Eines Tages, als Pater Martin aus dem Refectorio kam, hielt er im Klostergarten folgendes Selbstgespräch: Nein, das ist nicht auszuhalten! Statt des goldig blauen Himmels diese Witterung, die aus drei Achtel Nebel und fünf Achtel Regen besteht! Statt der weichen, feurigen Südländerinnen die kalten plumpen Bauerdirnen! Statt der üppig schwellenden Tafeln diese Hospitalmahlzeilen — ich magere so zusehends ab, daß sich leicht die Zeit berechnen läßt, wo gar Nichts mehr von mir übrig sein wird. Wie haben wir heute wieder gespeist! Zuerst jene sprichwörtliche „blaue Grütze", dann ein Stückchen Rügenwalder Spickgans, und dann Maränen — Marä- nen? Gerechter Gott! diese kleinen grätigen Fischchen, die in Italien kein Facchino essen würde, verhalten sich zu unseren hesperischen Ma¬ ränen, wie Disteln zu Dattelpalmen. Crassus hatte Fische in seinem Behälter, die er so innig liebte, daß er die Hingeschiedenen beweinte und sie prächtig bestatten ließ. O, ich möchte auch weinen, wenn ich an die glänzenden Maränen denke, deren perlmutternes Fleisch sich in feinen Blättern ablöst, einer silbernen Rose vergleichbar. Der Teufel soll mich holen, und meinetwegen noch zwölf Mönche dazu,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/125
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/125>, abgerufen am 23.12.2024.